Liebe
Gemeinde!
"Wer
Barmherzigkeit übt, tue es in Heiterkeit", so ermuntert uns der
Apostel. Er traut es uns zu, Gutes und Barmherziges zu tun,
-
nicht verhärmt und mit heruntergezogenen Mundwinkeln, weil man
für all das Gute sich selbst oder anderen etwas versagt hat und nun
an den bitteren Folgen seines Geizes zu schlucken hat,
-
nicht mit scheelem Blick und mit verrenktem Hals, was denn der
Lohn fürs Guttun sei und was die Welt wohl sage und ob da noch ein
anderer mit uns konkurriere, gar an uns vorbeirenne,
nein, er
traut uns zu, Gottes Willen heiter, in Freude und einfach so um
seiner selbst willen zu tun.
Paulus
ermuntert uns also, weniger denn daß er uns ermahnt. Denn nicht
wahr?
Ermunterung und Ermahnung, sie sind wohl nicht dasselbe. Wenn ich
jemanden ermahne, so ist das, wozu ich meinen Nächsten ermahne, ihm
gewiß nicht ganz fremd, aber er muß sich doch ein wenig oder auch
ein wenig mehr nach dem hin strecken, wozu ich ihn ermahne.
Ermuntere ich meine Nächste, so wende ich ihren Blick zurück auf
das, was ihr eignet und sie selbst ist, mit ihren Gaben und
Befähigungen, und ermutige sie, davon Gebrauch zu machen.
Paulus
macht uns Mut, daß wir von unseren Gaben und Begabungen Gebrauch
machen. Woher nimmt Paulus diesen Mut und dieses Vertrauen in uns?
Ganz
einfach, er nimmt beides, Mut und Vertrauen, aus seiner Erfahrung
mit
G"tt. Er
traut, weil er auf die Werke G"ttes sieht, die eine ein-einzige
Kette und Verkettung barmherzigen Handelns ist, von Anfang an.
„O welch
eine Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!
Wie unerforschlich sind seine Entscheidungen und unausdenkbar seine
Wege!
`Denn wer
hat den Sinn des Herrn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen?
Oder wer
hat ihm zuvor gegeben, daß es ihm wiedervergolten werden müßte?´
Denn aus
ihm und durch ihn und zu ihm hin sind alle Dinge. Sein ist die Ehre
in Ewigkeit.
Amen.“
(Rö 11, 33- 36)
Mit
diesem Hymnus und G"tteslob, welches am Ende des 11. Kap. steht,
beschließt Paulus den Hauptteil seines Römerbriefes, den Hauptteil
von elf Kapiteln, in denen er die unerforschlich guten Werke von
allen nur möglichen Seiten besieht, beleuchtet und erforscht, soweit
ein Mensch und Theologenkopf so etwas eben vermag.
G"tt kam
zur Welt und erbarmte sich ihrer, so scheint uns das Licht von
Weihnachten, so stehen wir noch im Licht von Weihnachten, heute am
ersten Sonntag nach Epiphanias und gewiß nicht nur heute.
G"tt
kommt zu Seiner Welt und verwandelt sie mit Seinem Erbarmen, von
Anbeginn:
- als
ER das Licht von der Finsternis scheidet und das Chaos, die
Maßlosigkeit in Sein G"ttesmaß rettet, da lebt nun alles und seitdem
nach G"ttgeschaffener Art,
- als
Er die ersten beiden
Menschen, die nackt und bloß zum ersten Mal die Scham erfahren
müssen, bekleidet, Adam und Eva eigenhändig Kleidungsstücke
anfertigt, damit sie vor der Kälte der Welt und der Kälte der Blicke
ein wenig geschützt sind.
G"tt
kommt zu Seiner Welt und verwandelt sie mit Seinem Erbarmen, über alle
Anfänge hinaus:
- als
Er Abraham besucht, der wund und in Schmerzen liegt und ihm die
Zukunft eines Sohnes, des Isaak nämlich, verheißt,
- und
endlich als Er Mose mit
einem Kuß zu sich holt und Moses Leichnam im Lande Moab begräbt.
G"tt
geht durch Seine Welt und verwandelt sie in ihrem Innersten, G"tt
geht Seiner Welt und uns allen durch und durch, alle „Organe und
Atome der alten Welt“ baut Er um und um, so hat es einmal der große
Theologe Karl Barth gesagt (Römerbrief, erste Fassung S. 313). Dort,
wo G"tt hinkommt, bleibt nichts beim Alten; dort, wo ER uns berührt
und uns so durch und durch geht, da bleiben wir nicht die Alten.
Aber so
wie G"tt in Seine Welt hineingeht und an ihr unendlich interessiert
ist – inter-essiert, d.h. ja „darin sein, dazwischen sein“, sich
nicht heraushalten – so bleibt ER doch gegen sie frei. Hindurch geht
Er und vorbei und voraus, so daß alle unsere Versuche, G"tt in die
Enge unserer Vorstellungen einzuzwängen, scheitern müssen. Und
wollte Er doch Seine Gegenwart mit uns teilen, so nur, indem Er
Seine Hand schützend über uns hielte. Sehen können wir Ihn so nicht,
das Nachsehen haben wir.
Liebe
Gemeinde,
in der
heutigen Lesung aus dem
2. Buch Mose hörten wir, wie es
selbst einem so G"tterfahrenen Mann wie Mose nicht anders erging.
Mose begehrt, G"ttes Herrlichkeit von Angesicht zu Angesicht zu
schauen, sozusagen in Augenhöhe mit G"tt zu verkehren. Aber G"tt
schützt Mose vor seiner eigenen Kühnheit, stellt ihn in eine
schützende Felsspalte und wölbt Seine schützende Hand über ihn,
während Er selbst vorbeigeht. Und als Mose wieder schauen kann, da
sieht er G"tt hinterher und nach. Er erkennt, wie G"tt ist:
barmherzig und gnädig, langmütig, reich an Huld und übermäßig treu,
tausendfach in Seiner Gnade, nur vierfach ist Seine Ahndung der
Missetaten. Er erkennt, wie G"tt ist, denn G"tt hat es ihm gerade
gezeigt, nämlich durch die Art und Weise, wie Er an Mose gehandelt
hat: fürsorglich, seelsorglich das menschliche Maß achtend, gibt Er
ihm doch Anteil, von G"tt zu wissen.
G"tt geht
vorbei und voraus, Mose schaut hinterdrein; das Nachsehen bleibt
ihm, aber auch die Nachfolge: in den Fußstapfen G"ttes zu gehen und
seine Werke der Barmherzigkeit nachzutun. Kein Wunder, daß das
Antlitz des Mose da gestrahlt hat, als er die zweiten Tafeln vom
Berg Sinai herunterbrachte, mit den 10 Geboten. Oder wir könnten
auch sagen: mit den 10 Weisungen, G"ttes Güte und Vollkommenheit
hinterherzugehen.
Es mag ja
Leute gegeben haben und vielleicht immer noch geben, die behaupten,
die Kirche und überhaupt Menschen, die mit G"tt in Kontakt gekommen
sind, die seien so etwas wie eine gesellschaftliche Avant-Garde, ein
Vorposten und eine Vorhut der Welt. Das mag ja auch so sein, was
aber G"tt anlangt, so sind wir allesamt immer nur
Hinterdrein-Schauer und Nachgänger – weil G"tt stets schon weiter
und zukünftig ist.
Und wenn
uns Paulus im heutigen Predigttext rät:
„Jeder
solle sich in seinem Sinn nicht auf eine Höhe begeben, die keinen
Sinn hat, sondern besonnen sein nach dem von G"tt zugeteilten Maß
des Glaubens“, dann wollen wir uns das jetzt mit der Erfahrung, die
Mose macht, verdeutlichen:
laß deine
Höhenflüge und Fels-Klimmzüge, um mit G"tt gleichauf sein zu wollen,
laß dich vielmehr von Seiner Hand in die bergende Felsspalte
hinabstellen – und wenn ER dich wieder aufschauen läßt - siehe: da
ist G"tt.
G"tt kam
zur Welt und verwandelte sie nach dem Maß Seiner Barmherzigkeit.
Im
weihnachtlichen Licht, das aus der Krippe scheint, wissen nun auch
wir, die Völker, davon, wie der Ewige, der G"tt Israels es von jeher
macht. Nein, genauer und viel wichtiger noch, wir wissen nicht nur
davon, wir sind verwandelt worden. Wir sind bis in unser Innerstes
hinein und hinab empfindlich geworden dafür, wie G"tt kommt und
geht, für seine Wege und Bewegungen:
Herab aus
Seinen Höhen und hinab bis in die Niedrigkeit der Krippe, auf daß
das anmaßend Hohe herabkommt und Geringe erhöht werden.
Wir
beginnen ein Gefühl für G"ttes Willen zu entwickeln, wie wir G"tt
die Rechten werden können, indem wir Seiner Güte und Vollkommenheit
nachfolgen.
Unsere
Leiber und unser Denken sind aufmerksam dafür geworden, wie sehr
noch die Welt in den Fesseln des Alten verfangen ist und wie sehr
sie sich nach G"ttes Reich sehnt. Unsere Leiber und unser
Denken, denn nicht wahr, Paulus trennt da nicht das Eine vom anderen
ab; er wertet auch nicht den Leib zugunsten des Denkens ab.
Mit
unserem Leib und mit unserem Denken also leben wir in der
Welt, leiden an ihr, handeln in ihr, scheitern an ihr, gelingen mit
ihr.
Mit Leib
und Denken sollen wir G"tt zur Hand gehen, Seine Verwandlung der
Welt zu vollenden. Paulus nennt dies, ungewöhnlich genug, „unseren
vernünftigen Gottesdienst“. Denn beides, unser Leib und unsere
Vernunft sind Organe G"ttes, mit denen ER Seiner alten Welt in Sein
Reich helfen will, beide sind so G"tt zu Diensten.
So sind
wir vom weihnachtlichen Licht getroffen und verwandelt worden, an
Leib und Geist – es geht uns durch und durch.
G"tt aber
ist bereits unterwegs und voraus, auf dem Weg nach Jerusalem, dort,
wo das Kreuz wartet. Dort wird G"tt erneut das Maß Seiner
Barmherzigkeit aufrichten: der Niedrige wird erhöht, der Welt zur
Beschämung, uns allen aber zugute.
Liebe
Gemeinde,
nach all
unserem Miteinander-Gehen dieser Predigt werden Sie vielleicht
fragen: ja, wo und wann sind denn nun die alte und die neue Welt?
Und ich
antworte Ihnen: in gewisser Weise waren sie immer schon, das Alte
und das Neue. Neu ist die Welt, seit G"tt sie in seinem Wort erschuf
und das Licht von der Finsternis trennte. Seine Welt ist so neu wie
ihr allerältester Anfang.
Wo aber
G"tt und Sein schaffendes Wort wegbleiben, da ist sie alt, und
keine Theorie der Weltentstehung, sie mag noch so neu und
fortschrittlich sein, wird daran etwas ändern. Wer aber den Blick
hebt, G"tt nachsieht und nachgeht, für den ist alles stets neu und
eine Gunst aus G"ttes Zukunft.
Und das
wird so sein, bis G"tt sich einmal umwenden wird und wir uns
ansehen, von Angesicht zu Angesicht. Dann aber wird das Alte ganz
vergangen sein, wir aber und Seine ganze Welt werden im Paradies
sein.
Amen.
Und der
Friede G"ttes, der höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen
(G"ttesdienst am 11. 1. 04 Lindlar)