Predigten Liturgie theologische Texte Links

Predigt über Rö 12, 1-8 

Sehen können wir Ihn so nicht, das Nachsehen haben wir.
 

Brigitte Gensch
G"ttesdienst am 11.1.04 in Lindlar [1.So nach Epiphanias]
Liturgie

William Turner: Light and Color 1853
 

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war
und der da kommt!

 

Der Predigttext für den heutigen Sonntag, den ersten Sonntag nach Epiphania, steht im Römerbrief des Apostel Paulus, Kap 12, 1-8.

1) So ermahne (ermuntere) ich euch nun, Geschwister, bewegt durch die Barmherzigkeit Gottes eure Leiber darzubringen zu einem lebendigen, heiligen, Gott wohlgefälligen Opfer – das sei euer vernünftiger Gottesdienst! –

2) und euch diesem Weltalter (Äon) nicht anzupassen, sondern euch zu verwandeln durch Erneuerung eures Denkens, damit ihr ein Gefühl bekommt für das, was der Wille Gottes ist, das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.

3) So sage ich nun durch die mir gegebene Gnade zu jedem, der in eurer Mitte ist, er soll sich in seinem Sinn nicht auf eine Höhe begeben, die keinen Sinn hat, sondern sinnen auf Besonnenheit, jeder nach dem ihm von Gott zugeteilten Maß des Glaubens.

4) Denn wie wir an einem Leibe viele Glieder haben, aber kein Glied hat die nämliche Verrichtung wie das andere,

5) so sind wir als Gesamtheit ein Leib im Christus, aber als Einzelne verhalten wir uns zueinander wie Glieder

6) und haben Gaben, die nach der uns verliehenen Gnade verschieden sind: vielleicht das prophetische Wort: zur getreuen Wiedergabe dessen, was wir glauben.

7) Vielleicht Geschick für den Dienst: zur Dienstleistung.

Vielleicht einer als Lehrer: zum Lehramt

8) Vielleicht eine andere als Seelsorgerin: zur Seelsorge.

Hat einer etwas  mitzuteilen (zu geben): er tue es in Einfalt!

Hat jemand etwas zu befehlen, so tue man es mit Ernst.

Wer Barmherzigkeit übt, tue es in Heiterkeit!

 

(Übersetzung in Anlehnung an Karl Barths Übersetzung in „Der Römerbrief“, erste Fassung 1919)

 Liebe Gemeinde!

"Wer Barmherzigkeit übt, tue es in Heiterkeit", so ermuntert uns der Apostel. Er traut es uns zu, Gutes und Barmherziges zu tun,

- nicht verhärmt und mit heruntergezogenen Mundwinkeln, weil man für all das Gute sich selbst oder anderen etwas versagt hat und nun an den bitteren Folgen seines Geizes zu schlucken hat,

- nicht mit scheelem Blick und mit verrenktem Hals, was denn der Lohn fürs Guttun sei und was die Welt wohl sage und ob da noch ein anderer mit uns konkurriere, gar an uns vorbeirenne,

nein, er traut uns zu, Gottes Willen heiter, in Freude und einfach so um seiner selbst willen zu tun.

Paulus ermuntert uns also, weniger denn daß er uns ermahnt. Denn nicht wahr?

Ermunterung und Ermahnung, sie sind wohl nicht dasselbe. Wenn ich jemanden ermahne, so ist das, wozu ich meinen Nächsten ermahne, ihm gewiß nicht ganz fremd, aber er muß sich doch ein wenig oder auch ein wenig mehr nach dem hin strecken, wozu ich ihn ermahne. Ermuntere ich meine Nächste, so wende ich ihren Blick zurück auf das, was ihr eignet und sie selbst ist, mit ihren Gaben und Befähigungen, und ermutige sie, davon Gebrauch zu machen.

Paulus macht uns Mut, daß wir von unseren Gaben und Begabungen Gebrauch machen. Woher nimmt Paulus diesen Mut und dieses Vertrauen in uns?

Ganz einfach, er nimmt beides, Mut und Vertrauen, aus seiner Erfahrung mit

G"tt. Er traut, weil er auf die Werke G"ttes sieht, die eine ein-einzige Kette und Verkettung barmherzigen Handelns ist, von Anfang an.

 

„O welch eine Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind seine Entscheidungen und unausdenkbar seine Wege!

`Denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen?

Oder wer hat ihm zuvor gegeben, daß es ihm wiedervergolten werden müßte?´

Denn aus ihm und durch ihn und zu ihm hin sind alle Dinge. Sein ist die Ehre in Ewigkeit.

Amen.“ (Rö 11, 33- 36)

 

Mit diesem Hymnus und G"tteslob, welches am Ende des 11. Kap. steht, beschließt Paulus den Hauptteil seines Römerbriefes, den Hauptteil von elf Kapiteln, in denen er die unerforschlich guten Werke von allen nur möglichen Seiten besieht, beleuchtet und erforscht, soweit ein Mensch und Theologenkopf so etwas eben vermag.

G"tt kam zur Welt und erbarmte sich ihrer, so scheint uns das Licht von Weihnachten, so stehen wir noch im Licht von Weihnachten, heute am ersten Sonntag nach Epiphanias und gewiß nicht nur heute.

 

G"tt kommt zu Seiner Welt und verwandelt sie mit Seinem Erbarmen, von Anbeginn:

-    als ER das Licht von der Finsternis scheidet und das Chaos, die Maßlosigkeit in Sein G"ttesmaß rettet, da lebt nun alles und seitdem nach G"ttgeschaffener Art,

-    als Er die ersten beiden Menschen, die nackt und bloß zum ersten Mal die Scham erfahren müssen, bekleidet, Adam und Eva eigenhändig Kleidungsstücke anfertigt, damit sie vor der Kälte der Welt und der Kälte der Blicke ein wenig geschützt sind.

 

G"tt kommt zu Seiner Welt und verwandelt sie mit Seinem Erbarmen, über alle Anfänge hinaus:

-    als Er Abraham besucht, der wund und in Schmerzen liegt und ihm die Zukunft eines Sohnes, des Isaak nämlich, verheißt,

-    und endlich als Er Mose mit einem Kuß zu sich holt und Moses Leichnam im Lande Moab begräbt.

 

G"tt geht durch Seine Welt und verwandelt sie in ihrem Innersten, G"tt geht Seiner Welt und uns allen durch und durch, alle „Organe und Atome der alten Welt“ baut Er um und um, so hat es einmal der große Theologe Karl Barth gesagt (Römerbrief, erste Fassung S. 313). Dort, wo G"tt hinkommt, bleibt nichts beim Alten; dort, wo ER uns berührt und uns so durch und durch geht, da bleiben wir nicht die Alten.

Aber so wie G"tt in Seine Welt hineingeht und an ihr unendlich interessiert ist – inter-essiert, d.h. ja „darin sein, dazwischen sein“, sich nicht heraushalten – so bleibt ER doch gegen sie frei. Hindurch geht Er und vorbei und voraus, so daß alle unsere Versuche, G"tt in die Enge unserer Vorstellungen einzuzwängen, scheitern müssen. Und wollte Er doch Seine Gegenwart mit uns teilen, so nur, indem Er Seine Hand schützend über uns hielte. Sehen können wir Ihn so nicht, das Nachsehen haben wir.

 

Liebe Gemeinde,

in der heutigen Lesung aus dem 2. Buch Mose hörten wir, wie es selbst einem so G"tterfahrenen Mann wie Mose nicht anders erging. Mose begehrt, G"ttes Herrlichkeit von Angesicht zu Angesicht zu schauen, sozusagen in Augenhöhe mit G"tt zu verkehren. Aber G"tt schützt Mose vor seiner eigenen Kühnheit, stellt ihn in eine schützende Felsspalte und wölbt Seine schützende Hand über ihn, während Er selbst vorbeigeht. Und als Mose wieder schauen kann, da sieht er G"tt hinterher und nach. Er erkennt, wie G"tt ist: barmherzig und gnädig, langmütig, reich an Huld und übermäßig treu, tausendfach in Seiner Gnade, nur vierfach ist Seine Ahndung der Missetaten. Er erkennt, wie G"tt ist, denn G"tt hat es ihm gerade gezeigt, nämlich durch die Art und Weise, wie Er an Mose gehandelt hat: fürsorglich, seelsorglich das menschliche Maß achtend, gibt Er ihm doch Anteil, von G"tt zu wissen.

G"tt geht vorbei und voraus, Mose schaut hinterdrein; das Nachsehen bleibt ihm, aber auch die Nachfolge: in den Fußstapfen G"ttes zu gehen und seine Werke der Barmherzigkeit nachzutun. Kein Wunder, daß das Antlitz des Mose da gestrahlt hat, als er die zweiten Tafeln vom Berg Sinai herunterbrachte, mit den 10 Geboten. Oder wir könnten auch sagen: mit den 10 Weisungen, G"ttes Güte und Vollkommenheit hinterherzugehen.

Es mag ja Leute gegeben haben und vielleicht immer noch geben, die behaupten, die Kirche und überhaupt Menschen, die mit G"tt in Kontakt gekommen sind, die seien so etwas wie eine gesellschaftliche Avant-Garde, ein Vorposten und eine Vorhut der Welt. Das mag ja auch so sein, was aber G"tt anlangt, so sind wir allesamt immer nur Hinterdrein-Schauer und Nachgänger – weil G"tt stets schon weiter und zukünftig ist.

Und wenn uns Paulus im heutigen Predigttext rät:

„Jeder solle sich in seinem Sinn nicht auf eine Höhe begeben, die keinen Sinn hat, sondern besonnen sein nach dem von G"tt zugeteilten Maß des Glaubens“, dann wollen wir uns das jetzt mit der Erfahrung, die Mose macht, verdeutlichen:

laß deine Höhenflüge und Fels-Klimmzüge, um mit G"tt gleichauf sein zu wollen, laß dich vielmehr von Seiner Hand in die bergende Felsspalte hinabstellen – und wenn ER dich wieder aufschauen läßt -  siehe: da ist G"tt.

 

G"tt kam zur Welt und verwandelte sie nach dem Maß Seiner Barmherzigkeit.

Im weihnachtlichen Licht, das aus der Krippe scheint, wissen nun auch wir, die Völker, davon, wie der Ewige, der G"tt Israels es von jeher macht. Nein, genauer und viel wichtiger noch, wir wissen nicht nur davon, wir sind verwandelt worden. Wir sind bis in unser Innerstes hinein und hinab empfindlich geworden dafür, wie G"tt kommt und geht, für seine Wege und Bewegungen:

Herab aus Seinen Höhen und hinab bis in die Niedrigkeit der Krippe, auf daß das anmaßend Hohe herabkommt und Geringe erhöht werden.

Wir beginnen ein Gefühl für G"ttes Willen zu entwickeln, wie wir G"tt die Rechten werden können, indem wir Seiner Güte und Vollkommenheit nachfolgen.

Unsere Leiber und unser Denken sind aufmerksam dafür geworden, wie sehr noch die Welt in den Fesseln des Alten verfangen ist und wie sehr sie sich nach G"ttes Reich sehnt. Unsere Leiber und unser Denken, denn nicht wahr, Paulus trennt da nicht das Eine vom anderen ab; er wertet auch nicht den Leib zugunsten des Denkens ab.

 Mit unserem Leib und mit unserem Denken also leben wir in der Welt, leiden an ihr, handeln in ihr, scheitern an ihr, gelingen mit ihr.

Mit Leib und Denken sollen wir G"tt zur Hand gehen, Seine Verwandlung der Welt zu vollenden. Paulus nennt dies, ungewöhnlich genug, „unseren vernünftigen Gottesdienst“. Denn beides, unser Leib und unsere Vernunft sind Organe G"ttes, mit denen ER Seiner alten Welt in Sein Reich helfen will, beide sind so G"tt zu Diensten.

So sind wir vom weihnachtlichen Licht getroffen und verwandelt worden, an Leib und Geist – es geht uns durch und durch.

G"tt aber ist bereits unterwegs und voraus, auf dem Weg nach Jerusalem, dort, wo das Kreuz wartet. Dort wird G"tt erneut das Maß Seiner Barmherzigkeit aufrichten: der Niedrige wird erhöht, der Welt zur Beschämung, uns allen aber zugute.

 

Liebe Gemeinde,

nach all unserem Miteinander-Gehen dieser Predigt werden Sie vielleicht fragen: ja, wo und wann sind denn nun die alte und die neue Welt?

Und ich antworte Ihnen: in gewisser Weise waren sie immer schon, das Alte und das Neue. Neu ist die Welt, seit G"tt sie in seinem Wort erschuf und das Licht von der Finsternis trennte. Seine Welt ist so neu wie ihr allerältester Anfang.

Wo aber G"tt und Sein schaffendes Wort wegbleiben, da ist sie alt, und keine  Theorie der Weltentstehung, sie mag noch so neu und fortschrittlich sein, wird daran etwas ändern. Wer aber den Blick hebt, G"tt nachsieht und nachgeht, für den ist alles stets neu und eine Gunst aus G"ttes Zukunft.

Und das wird so sein, bis G"tt sich einmal umwenden wird und wir uns ansehen, von Angesicht zu Angesicht. Dann aber wird das Alte ganz vergangen sein, wir aber und Seine ganze Welt werden im Paradies sein.

Amen.

 

Und der Friede G"ttes, der höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen

 

 

(G"ttesdienst am 11. 1. 04 Lindlar)

 


Besucher seit dem
13.11.2003

Predigten Liturgie theologische Texte Links


top