Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist,
der da war und der da kommt!
Der Predigttext für den heutigen So steht
im Ev nach Mk, Kap 14, 3-9
Markus, Kap.
14, 3-9 |
3 Und als er
in Bethanien im Hause Simons des Aussätzigen war, kam, während er bei Tische
sass, eine Frau mit einer Alabasterflasche voll echter, teurer Nardensalbe;
sie zerbrach die Alabasterflasche und goss sie ihm über das Haupt.
4 Da murrten
etliche bei sich selbst: Wozu ist diese Vergeudung der Salbe geschehen?
5 Man hätte
diese Salbe ja für mehr als dreihundert Denare verkaufen und [den Erlös] den
Armen geben können. Und sie fuhren sie an.
6 Jesus aber
sprach: Lasset sie! Was betrübt ihr sie? Sie hat eine schöne Tat an mir getan,
7 Die
Armen habt ihr ja allezeit bei euch, und sooft ihr wollt, könnt ihr ihnen
wohltun; mich aber habt ihr nicht allezeit.
8 Was sie vermochte,
hat sie getan; sie hat im voraus meinen Leib zum Begräbnis gesalbt.
9 Und wahrlich,
ich sage euch: Wo immer in der ganzen Welt das Evangelium gepredigt wird,
da wird auch das, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis erzählt werden.
Ü: Züricher |
Liebe
Gemeinde,
lassen Sie uns ein Gedankenspiel spielen:
nehmen wir einmal an, wir hätten den Predigttext
aus dem Markus-Evangelium
heute noch nicht oder überhaupt noch nie gehört,
könnte es dann sein, wir würden folgende Erzählung für glaubhaft und vertraut
halten?
Die Geschichte begibt sich so (nach einer
Idee von J. Roloff, GPM 82, 1993, H. 2, 171):
„Und als Jesus in Bethanien im Hause Simeons
des Aussätzigen war, kam, während er bei Tische saß, eine Frau mit einer Alabasterflasche
voll echter, teurer Nardensalbe. Und da Jesus sah, daß sie die Flasche zerbrechen
und das Salböl auf sein Haupt gießen wollte, wurde er unwillig und fuhr sie
an:
Lass das! Was soll diese Verschwendung? Geh
hin, verkaufe die Flasche samt dem Salböl. Den Erlös der 300 Dinare aber gib
den Armen, und dann komm wieder und folge mir nach
(vgl Mk 10, 21). Denn was
du einem dieser meiner geringsten Geschwister getan hast, das hast du mir
getan (vgl. Mt 25, 40).
Der Sohn des Menschen
aber ist nicht gekommen, um zu herrschen und wie ein Herrschender
gesalbt zu werden, sondern damit er diene und sein Leben gebe als
Lösegeld für die Vielen
(vgl. MK 10, 45).
Und die Jünger, die Jesus so reden hörten,
murrten und sprachen untereinander:
warum betrübt er diese Frau so und ist so
hart zu ihr? Sie kam doch aus Liebe zu ihm und wollte ihn ehren!
Jesus, der ihren Widerwillen hörte, antwortete
ihnen so...“
Nun, lassen wir ungesagt und unserer Phantasie
überlassen, wie Jesu Antwort die Geschichte möglicherweise zuendebringt. Deutlich
aber wurde mit unserem Gedankenspiel, wie ungewöhnlich und quergehend die
Geschichte ist, die Markus uns für heute erzählt. Vor dem Hintergrund
der vertrauten Gegenversion tritt der Skandal der Szenerie deutlich
zutage. Der Hintergrund des Vertrauten präsentiert uns eine Abfolge von Jesus-
und G“ttesbilder, vielleicht unserer eigenen: Vorerwartungen und Meinungen,
wie G“tt und Jesus zu sein und zu handeln haben - falsche Vertrautheiten,
zu Klischees erstarrt und mürrisch wie die Jünger gegen alles, was anders
wäre.
Was anders ist, bringt der Skandal. Ein Frau, ohne Namen, betritt die Szene. Ihre Tat und
Jesu Reaktion schieben die vordergründigen Urteile in den Hintergrund, Richtung
Kulisse: Murren der Männermehrheit dort – was die sich traut!
Abgeschoben sind nunmehr die Bornierungen,
die falschen Alternativen und Einseitigkeiten:
- als gäbe es gegenüber der Pflicht der Almosengabe
nicht auch das Recht und
den Raum der Verschwendung. Eingeräumt gerade
von dem G“tt, der Partei
für die Armen ist
- als müßten die gute Tat für die Bedürftigen
und das schöne Werk des
flüchtigen Duftes für immer einander Feind
sein
- als könne der dienende G“ttesknecht nicht
auch ein gesalbter König sein
Überhaupt passiert in unsere Geschichte für
den heutigen Palmsonntag einiges an Vertauschung und Verwechslung, nicht nur
des Platzes. Eine Frau, Angehörige der reichen städtischen Oberschicht, läßt
ihren Stand und Anstand hinter sich und geht in ein armseliges judäisches
Bauernhaus, dort in Bethanien, nahe Jerusalem. Ins Haus eines Aussätzigen
geht sie, der den Namen Simeon trägt. Ob er noch an Aussatz leidet, ob Jesus
ihn geheilt und alle dort im Hause versammelt sind, der Heilung dankbar zu
gedenken, oder ob Simeon einmal an Aussatz litt und deshalb einen Beinamen
trägt, gleichviel: in sein Haus zu gehen, in das Haus eines ehemals oder noch
sozial Ausgegrenzten, kommt einem Tabubruch gleich.
Die wohlhabende Frau, durchaus mit Sinn für
die dramatische Geste, geht durch die männliche Mahlgesellschaft der Jünger
hindurch auf Jesus zu, zerbricht eine Alabasterflasche – für sich genommen
schon eine Kostbarkeit – und schüttet das sündhaft teure Salböl auf Jesu Haupt.
Eine Wohltat, auf den Kopf zugetan, nicht zu Füßen; nein, heute einmal
nicht: eine Frau zu Jesu Füßen.
Nur Könige und Priester werden so gesalbt.
Könige, wie wir in der ersten Lesung hörten, werden von Propheten gesalbt
aufgrund eines g“ttlichen Auftrags – so salbt Samuel den jungen David, ausersehen
und erwählt von G“tt.
Und so wechselt die reiche Jerusalemer Bürgerin
in die Rolle eines Propheten und salbt den Wanderrabbi zum König der Juden,
im Kreise seiner verständnislosen Jünger, im Hause eines sozial Isolierten,
unter Ausschluß der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, ganz und gar umsonst.
Und
Jesus, der sonst immer aktive und initiative Jesus, läßt es an sich geschehen, annehmend, hinnehmend
– und heißt die Tat gut, ja schön.
Schön ist etwas, das erfreulich
ist, dem zu begegnen Freude und Lust weckt.
Schön ist das Absichts- und Zwecklose: umsonst
sich verschenkend, rechnet es nicht auf Tausch und Gegenwert. Das Schöne
ist wie die Liebe.
Aber nun melden sich doch zu Recht die murrend-mürrischen
Jünger zu Wort, dort hinten aus dem Hintergrund der Kulisse. Denn einen konkreten
Gegenwert für das verschüttete Salböl nennen sie: Mehr als 300 Dinare.
Das entspricht in etwa dem Jahreslohn eines
Arbeiters, vergeben im Nu für den flüchtigen Duft – was für eine Vergeudung!
Aber wie teuer darf eine Wohltat sein? Nach
damaligem jüdischen Recht soll eine Wohltat, eine wohltätige Handlung (hebr.:
gemiluth chassadim) mindestens den zehnten Teil, höchstens jedoch den fünften
Teil des eigenen Vermögens betragen, da der oder die Wohltätige sonst selbst
in Armut geraten würde.
An diesen Maßverhältnissen gemessen bewegt
sich die Wohltat der vermögenden Bürgerin durchaus im Rahmen des Gebotenen
– einerseits.
Nach ihrer anderen Seite jedoch überschreitet
jede Wohltat die Grenzen des Maßes und gehört zu den maßlosen Handlungen.
„Dies sind die Dinge, die kein Maß haben:
die Feldecke, die der Bauer von seinem Feld für die Armen stehen läßt, die
Erstlingsfrüchte, die zum Tempel zu bringen sind, das Ausüben von Wohltaten
und das Studium der Tora (der Weisung G"ttes)“.
Diese Reihung der maßlosen Handlungen ist
bis auf den heutigen Tag Teil des jüdischen Morgengebets.
Und woher nun die Maßlosigkeit der Wohltat,
die doch auch ins relative Maß gefügt wird? Daher, daß anders als bei der
Gabe des Almosens, der oder die Wohltätige sich selbst, die eigene Person in die Tat mit- und dahingibt – was für eine Verschwendung:
- So zu handeln, als verlöre man sich darin,
- so zu geben, ohne auf irgendeine Rückkehr
des Gegebenen zu rechnen
- so naheliegend wie der Augenblick und so
weitgehend wie die Ewigkeit
- eben so zu handeln wie die reiche, verschwenderische
Frau.
Woher hat sie ihren maßlosen Reichtum? Daher,
daß sie liebt. Und wie sicher sie das macht. In Zeit und Raum. Anders als
seine Jünger weiß ihre Liebe hellsichtig, daß jetzt die Zeit des Abschiedes
gekommen ist.
Der, der eben noch heilte, wird bald zerschlagen werden – und
so gibt sie ihm das Heilungszeichen des Salböls.
Der, der kein Unrecht
tat, wird unter die Verbrecher gerechnet werden – „und doch bist du der König“,
und sie gibt ihm das Königszeichen des Salböls.
Der, der für das Leben
eintrat, wird bald schon zu den Toten zählen – deshalb gibt sie ihm das Lebenszeichen
des Salböls.
Sie geht durch den Raum,
souverän durch die Blicke der gaffenden und perplexen Jünger hindurch; angstfrei
bewegt sie sich im Raum, der doch ein Ort der Beschämung hätte werden können
– wenn Jesus ihr ausgewichen oder gar sie abgewiesen hätte. Aber Liebe verrechnet sich eben nicht.
Liebe
Gemeinde,
ist es nicht überaus befreiend, in Zeiten
der steten Berechnung, des Sparens und des Mangels eine Handlung der Verschwendung
ins Recht gesetzt zu wissen?
Von G“tt her sich sagen zu lassen, daß Ihm
nicht nur die gerechte und gleichmäßige Verteilung der knappen Güter recht
ist, sondern auch die vergeudende Wohltat – und daß beide, das maßgebundene
Teilen und die maßvergessene Verschwendung, von Ihm und Seiner Art erzählen:
„O große Lieb, o Lieb ohn alle Maße“, wie
es in einem Passionslied [EG 81,6] heißt.
Wenn wir diesen Welt-Grund vergessen,
werden wir bald nichts mehr zu verteilen haben. Die Logik des Mangels wird
sich alles unterwerfen und uns wie eine Garrotte erwürgen. Verschlossen gegen
G“ttes unerschöpfliche Quelle wird unser Geiz, der des Geldes und der der
Gefühle, das Wenige, das wir zu behalten trachten, zernagen. Und manchmal
scheint es, daß dieser geistliche Tod uns schon durchs Fenster hineingestiegen ist.
Zuletzt noch eine Verwechslung dieser an Wechseln
und Umkehrungen so reichen Geschichte: G“ttes nicht verrechenbare Liebe wird
für heute erkennbar in der Handlung einer anonymen Frau. Mit nichts und niemandem
konkurrierend kommt sie und vergibt, nicht das Ihrige suchend, sondern
das des Anderen, den sie liebt.
Und dieser tritt zurück
von dem, was das Seinige wäre; stattdessen entnimmt er die Frau der Vergessenheit
und Namenlosigkeit. Nicht zu seinem Gedächtnis, sondern um ihretwillen und
zu ihrem Gedenken wird das Evangelium von ihrer Tat erzählen:
„Amen, ich sage euch: wo immer in der ganzen
Welt das Evangelium gepredigt wird, da wird auch das, was sie getan hat, zu
ihrem Gedächtnis erzählt werden.“
Reicher kann eine Liebende nicht werden.
Amen.
Liturgie
des G"ttesdienstes