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Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist,
der da war und der da kommt!


Liebe Gemeinde!
Der Pharisäer bin ich. Vielleicht nicht gar so deutlich und schwarz gegen das Weiß des Zöllners, aber doch hinreichend ähnlich. Denn, nicht wahr, ist doch meine Reaktion, wenn ich den Text lese, so: 
„Meine Güte, was bin ich froh, nicht so zu sein wie dieser Pharisäer: so borniert und selbstgerecht, so engstirnig und kleinkariert, so überheblich und rechthaberisch. Und vor allem so unbeweglich und überaus langweilig, wie er da so steht und großtut. G"tt ist wahrscheinlich schon lange eingeschlafen oder hört jedenfalls nicht mehr zu, auf das, was der da alles zu beten hat.“
Und so bin ich dem Gleichnis vom Zöllner und vom Pharisäer in die Falle getappt, hat mich der Text bei meinem eigenen Pharisäertum ertappt. Da ist das Wort Jesu aus dem papiernen Rahmen herausgestiegen, um auf mich zu deuten:
„Du bist doch auch so eine selbstgerechte Pharisäerin, Du lebst doch auch vom Vergleich und davon, andere abzuwerten, um Dich desto besser herausstreichen zu können.“
Der Pharisäer bin ich. Vielleicht ist meine religiöse Eitelkeit sogar noch ein bißchen raffinierter. Dann gehe ich zum Zöllner hinüber und borge mir einiges von ihm und seiner Demut aus. Ich bin mir dann durchaus meiner Fehlerhaftigkeit bewußt, so ganz allgemein und rein theoretisch; natürlich, niemand ist perfekt, wir machen doch alle Fehler und sind auch Sünder allzumal. 
Und wenn es doch konkret wird, dann verweise ich auf die guten Absichten, die ich hatte, und daß es ganz gewiß nicht bös´ gemeint gewesen sei. Es gibt noch weitaus mehr Techniken der Selbstrechtfertigung. Z. B. sich sehr häufig und schon vorab zu entschuldigen, denn das hält den Anderen gewiß auf Abstand und dämpft so manche Kritik.
Der Pharisäer kann endlich sogar so perfekt Züge der Demut annehmen, daß er nicht mehr vom Zöllner zu unterscheiden ist, weder äußerlich noch auch vor sich selbst. „Bin ich auch zerknirscht genug? Gewiß sind andere noch demütiger als ich. Ich muß noch weiter hinunter, auf daß G"tt mir gnädig ist. Ich muß mich noch viel strenger prüfen und alle meine Herzenswinkel durchsuchen. Ich muß noch weit ehrlicher über mich zu Gericht sitzen, damit G"tt mit mir zufrieden ist und mich lobt.“
Und vor lauter Gewissensverrenkung und nach innen verdrehten Augen sieht ein solch demütiger Mensch weder G"ttes schönen Himmel noch gar, was seinen Nächsten umtreibt, sei es das Leid und ein Kummer oder sei es eine große Freude; auf jeden Fall etwas, was mindestens zwei miteinander teilen sollten.

Aber wie gesagt: äußerlich, in den Augen der Welt und vor sich selbst ein demütiger Mensch wie der Zöllner, im Kern aber und vor den Augen G"ttes ein Pharisäer. Denn immer noch lebt er davon, sich mit anderen zu vergleichen.
Aus dem Vergleich, der andere bewertet, gewinnt er sein Selbstbewußtsein. Und das trägt er vor G"tt. Dabei ist es gar nicht wichtig, ob es heißt:
„G"tt, ich danke dir, daß ich nicht so schlecht bin wie die da“, oder ob es heißt: „G"tt, ich bitte dich, denn ich bin aus besonders krummem Holz, ein unnützes Gefäß, ein schlechteres wüßte ich nicht“. Oder ob es ein laues Urteil über mich selbst zwischen den beiden Extremen ist: „G"tt, so streng wirst du schon nicht dreinschauen, sicher, andere bringen mehr und Besseres vor dich, aber ich habe mich doch bemüht, meistens, und ein Verbrechen habe ich nun wirklich nicht begangen...“
Sie haben sicher gemerkt, liebe Gemeinde, was diesen drei Urteilen gemeinsam ist. Sie schaffen G"tt ab. Diese Urteile und die, die sie fällen und damit zu G"tt gelaufen kommen, sie brauchen G"tt nicht mehr, sondern sind sich selbst genug.
Sie rechnen schon noch mit G"tt, genau in dem Sinne, daß sie Ihn ausgerechnet und in Seinen Antworten berechnet haben. Aber sie erwarten nichts mehr, jedenfalls nichts anderes als daß G"tt bestätigt, was Ihm vorgelegt wird.

Eben so wie der eine Pharisäer des Gleichnisses, von dem Lukas mit Bedacht sagt: „Er stellte sich für sich allein hin.“ Allein und für sich, denn er bedarf der anderen Menschen und G"ttes nicht. Deshalb spricht er auch so häufig von sich selbst und seinen Vorzügen. Die Anderen und G"tt: Kulisse, Publikum, weit entfernt. Er selbst: gefangen im System seiner religiösen Fitneß, ein Beziehungskrüppel, der sich auf nichts und niemanden einläßt, der nichts riskiert, auf nichts neugierig ist, nichts erwartet.

Es ist viele, sehr viele Jahre her, daß ich in einem Café irgendwo in Norddeutschland saß und zu meiner Verwunderung auf der Getränkekarte ein Getränk mit dem Namen „Pharisäer“ entdeckte. Darunter stand: ein Kaffee mit einem guten Schuß Schnaps. Die Bedienung erläuterte mir die Herkunft der Bezeichnung. Die Bauern, früher, hätten dem Schnaps so gerne zugesprochen, um aber vor dem Pastor nicht als Säufer dazustehen, hätte man den Schnaps mit ein bißchen Kaffee verdeckt. Also so ein rechtes Heuchlergesöff, der „Pharisäer“.
Achten Sie einmal darauf, wie häufig die abwertend gemeinte Charakterisierung „wie ein Pharisäer, typisch pharisäisch“ in der Alltagssprache oder in den Medien vorkommt. So z. B. vor einem guten Jahr, als der damalige PDS-Vorsitzende Gregor
Gysi in der sog. Bonusflugmeilenaffäre sich verstrickte und seinen Rücktritt erklärte. Ein hochrangiger Politiker und Gegner Gysis sprach in einem Interview dann davon, daß er die Entscheidung zwar respektiere, die „Begründung“ aber „pharisäerhafte Züge habe“.
Gregor Gysi ist jüdischer Herkunft, der Vater, Kommunist und Jude, wurde von den Nazis verfolgt, und ganz unabhängig davon, ob Gysi nun schuldig war und seine Rücktrittsbegründung fragwürdig und vielleicht auch selbstgerecht, der Griff zum Klischee „pharisäerhaft“ war so bezeichnend wie verletzend. Denn es gehört in unser großes Arsenal antijüdischer und judenfeindlicher Klischees.
Daß diese oft gedankenlos und ohne böse Absicht gebraucht werden, macht den Sachverhalt nicht besser.

Der Pharisäer“, das sind wir, ich meine uns Christen und unsere christliche Tradition. Denn, nicht wahr, wir haben uns doch dadurch unserer selbst vergewissert, daß wir andere und zunächst und vor allem Israel abgewertet haben: wir seien das neue Israel nach dem Geiste, mit dem alten Israel, dem aus Fleisch und Blut, sei es aus. Wir hätten das Neue Testament und den Neuen Bund der Liebe, die das Alte Testament und den Alten Bund der Rache und Vergeltung überwänden. Wir lebten allein aus der Liebe und Gnade G"ttes und bedürften der vielen Weisungen und Gebote G"ttes nicht mehr, vielmehr schädlich und ein Fallstrick sei das Gesetz G"ttes, weil es uns zur Selbstgerechtigkeit verleite, auch ohne G"tt und Christus gerecht zu werden, nämlich aufgrund unserer Leistungen und Verdienste. Mit Christus also sei die ganze jüdische Gesetzes-Fitneß erloschen und vor G"tt vernichtet.
G"tt sei Dank ist dieses Gerede in den Kirchen wenn zwar noch nicht ganz verstummt, so doch erheblich leiser geworden. Und damit es sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kirchen noch leiser wird, ermahne ich uns alle und bitte Sie alle sehr herzlich, diesem Klischee (und den anderen natürlich auch) zu widerstehen und zu widersprechen. 

Aber dazu muß ich Ihnen wohl ein wenig erzählen, was denn Pharisäer eigentlich sind: 
Wörtlich genommen bedeutet „
Pharisäer“ oder hebr. „peruschim“ „Abgesonderte“. Sich abzusondern und heilig zu sein, das ist biblisch ungefähr dasselbe. Und so könnte man auch sagen, Pharisäer sind Menschen, die nach Heiligkeit streben, doch nicht nur zu besonderen Gelegenheiten und an besonderen Orten, dem Tempel etwa, und auch nicht nur für besondere Leute, eine Elite eben, sondern für möglichst viele und möglichst immer und überall. 
Heiligung des Alltags“ könnte man das Konzept der Pharisäer nennen, und in diesem Sinne war auch Jesus ein Pharisäer. Er hat von pharisäischen Rabbinern gelernt, und die pharisäische Frömmigkeit hat sich historisch gegen andere Konzepte im Judentum durchgesetzt. 
Etwas grob gesagt, ist die heutige rabbinische Lehre in ihren Wurzeln pharisäisch; und wenn wir abfällig vom Pharisäertum sprechen, sollten wir wissen, daß wir damit alle Rabbiner und alle Rabbinerinnen beleidigen.
Auch zu Jesu Zeiten wußte man bereits, daß das Streben nach Heiligkeit und die ganze Religion überhaupt eine gefährliche Sache sind, mit der sich Mißbrauch gegen G"tt betreiben läßt. Und deshalb unterschieden die jüdischen Weisen (im
Talmud) sieben Arten von Pharisäern voneinander. Fünf sind reichlich mies, ungefähr so wie der Pharisäer in unserem Gleichnis. Da gibt es z.B. den Schulter-Pharisäer; er heißt so, weil er vor aller Welt seine Frömmigkeit zur Schau stellt. Oder es gibt den Sparsamkeits-Pharisäer, der damit prahlt, sich alles abzusparen, um noch mehr gute Werke zu verrichten, oder, oder...
Aber dann gibt es zwei bewährte Arten des Pharisäertums: denjenigen, der rein aus G"ttesfurcht das Gute um seiner selbst willen tut wie Hiob G"ttesfürchtig war, und denjenigen, der rein aus Liebe zu G"tt das Gute um seiner selbst willen tut wie Abraham fromm war.

Ja, und nun?  -  Nun stürzt das ganze Spiegelkabinett mit all den falschen Pharisäern und falschen Zöllnern, mit den Pharisäern im Zöllnerpelz, nun stürzen all die Zerrspiegel und ihre verzerrten Eitelkeiten und die ganze Maskerade in die Kulisse. Und übrig bleiben der fromme Pharisäer und der demütige Zöllner, oder sollte ich besser sagen: es bleibt ein frommer Mensch übrig, wobei für heute es nicht wichtig ist, ob er denn ein Zöllner oder Pharisäer sei. Denn was ihre G"ttesleidenschaft anlangt, so sind sie einander ganz gleich. Sie brauchen beide G"tt und Sein Urteil mehr denn das tägliche Brot. 
Und das meint doch Jesu Wort von der Selbst-Erniedrigung. Nur das: vor G"ttes Antlitz und unter Sein Urteil kommen zu wollen, ganz ohne Vergleich und Schielen auf den Nächsten. 
Sich ganz G"tt und Seinem Urteil zu überlassen, Seinem Ja wie Seinem Nein, sich ganz hinzuschütten, sei es wie der Zöllner, der von ferne voller Scham steht und sich in den knappen fünf Worten ausschüttet: „O Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Oder sei es der rechtschaffene Pharisäer, der zu G"tt gelaufen kommt, um sich und alle seine guten Taten in ein großes G"tteslob dahinzugeben. Vielleicht will er gleich wieder loslaufen, um aller Welt zu erzählen, wie herrlich doch G"tt alles regiert, und vielleicht steht der sündige Zöllner noch lange vor G"ttes Schweigen, vielleicht...

Da war einmal ein Geschwisterpaar, Simon, der etwas skeptische ältere Bruder mit seinen 12 J., und die jüngere Schwester Rifka, 9 J. alt. Sie spricht häufig mit G"tt und verspricht sich alles davon. Eines Tages, Rifka hat einen sehnlichen Wunsch und unterhält sich deswegen intensiv mit G"tt, eines Tages fragt sie der Bruder, auch um sie ein wenig zu foppen: „Na, was hat G"tt denn zu Deinem Wunsch gesagt?“ „Oh“, strahlt Rifka, „ er hat NEIN gesagt“.
Und von solchen und anderen Kindern, die zu G"tt gelaufen kommen, weiß uns auch Lukas zu erzählen, aber dann wären wir wieder im Text und an einem anderen Sonntag.
Amen.

Und der Friede G"ttes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere 
Herzen und Sinne in Christus 
Jesus. Amen.


Revidierte Elberfelder Bibel 1992
Lk 18, 9-14
9 Er sprach aber auch zu einigen, die auf sich selbst vertrauten, daß sie gerecht seien, und die übrigen verachteten, dieses Gleichnis:
10 Zwei Menschen gingen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer und der andere ein Zöllner.
11 Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Gott, ich danke dir, daß ich nicht bin wie die übrigen der Menschen: Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner.
12 Ich faste zweimal in der Woche, ich verzehnte alles, was ich erwerbe.
13 Der Zöllner aber stand weitab und wollte sogar die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir, dem Sünder, gnädig!
14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus im Gegensatz zu jenem; denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; wer aber sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.

Predigt für den 31.08.03

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31.08.2003