Vermischte Bemerkungen zum Thema |
Dipl.-Psych./Psychotherapeut |
"Sterben,
schlafen, Wer vom "Träumen und Hoffen" spricht, darf von der Schlaflosigkeit, der Angst vorm Träumen, den Alpträumen und dem Verzweifeln nicht schweigen. Im Folgenden kann ich nur wenige Aspekte des Themas anreißen, werde zwischen den Begriffen Traum & Trauma hin- und herwandern und lade Sie ein, mir darin zu folgen. |
Nicht
von ungefähr habe ich meinem Vortrag ein Shakespeare-Zitat
vorangestellt. Dieser Autor war nicht nur der
Lieblingsschriftsteller Sigmund Freuds, dem Begründer
der Psychoanalyse; Metaphern aus der Welt des Theaters,
der Verkleidung & Verfremdung und der Welt
politischer Macht finden wir auch in den
wissenschaftlichen Kategorien der "Traumdeutung"
wieder jenem Werk, das seit 100 Jahren nicht nur
die Psychotherapeutische Gemeinschaft an- und auf-regt. Der manifeste, vermeintlich 'verrückte' Traum, also der Traum, den wir nächstens träumen und erinnern, dieser Traum ist Ergebnis einer zensierenden Bearbeitung, die ihre eigenen Formgesetze hat: Verdichtung und Verschiebung, Verkehrung ins Gegenteil, bildliche Darstellung etc. Die wichtigste, deutend zu rekonstuierenden Quelle ist der latente - dh. triebbestimmte, unbewußte - Traumgedanke aus der frühkindlichen Szenerie. Spätere bzw. bewußtere Erinnerungen, Tagesreste und Körperbedürfnisse während des Schlafs bilden lediglich das Material, dessen sich der latente Traumgedanke zu seiner Verbildlichung und Verfremdung bedient. Mehr noch als diese Trennung und Gewichtung von 'manifestem Traum' und 'latentem Traumgedanken' also dem was wir nächstens träumend erleben und dem, was sich auf der analytischen Couch rekonstruieren läßt - war es die These: jeder Traum sei eine "Wunscherfüllung" (1), die Widerspruch erregte. Traumata blieben so lange Zeit außerhalb des Focus' der psychoanalytischen Traumdeutung. Es ist eine bittere Ironie der Wissenschaftsgeschichte, daß Freuds etwas anders akzentuierten Bemerkungen zur "Kriegsneurose"(2) dagegen fast unbeachtet blieben. Denn es waren wiederum die psychischen Kriegsfolgen, die in den späten 60iger Jahren die jüngere Traumaforschung in Gang brachten. Nicht nur die sozial ungezügelten Triebansprüche - so Freud bereits 1919 (3) - sondern gleichermaßen auch reale äußere Gefahren bzw. ihre innerpsychischen Repräsentanzen bedrohen die Integrität des Ichs. Angst- Selbst- und Welt-Vernichtungsträume gibt es auch ohne Traumata, sie gehören z.B. zum Leidensspektrum schwer depressiver Menschen und doch ist es ihr eigenes Über- und Ideal-Ich, vor dem sie versagen und das sie mit archaischer Gewalt auch in den Träumen heimsucht. Diese Patienten hatte Freud in der Verteidigung seiner Wunscherfüllungs-These vor Augen. Eine
genauere Leküre seines gesamten Werkes zeigt jedoch eine
systematische Begriffsverschiebung: das strikte Dogma der
Wunscherfüllung entschärft sich je nach Kontext
zur Aussage, auch bedrohliche, ängstigende Träume
hätten ein Telos, eine sinnvolle Funktion (4). Na ja? - mag
da mancher von Ihnen denken: Lassen wir diesen Punkt einmal offen und befragen den zweiten Begriff dieser vermeintlich so leichtzüngigen Wortverknüpfung (Alliteration) von 'Traum und TRAUMA'. Ist
Inzest ein Trauma? - eine fast Empörung herausfordernde
Frage. Bezeichnet der Begriff ein gravierendes, äußeres Ereignis, ein Erlebnis bzw. eine Erfahrung, eine Form der Verarbeitung oder bezeichnet er langfristige psychische Folgeschäden? Beruhigten wir uns vorschnell bei einer 'ungefähren' Begriffsbestimmung nach dem Motto: wir wissen doch eigentlich, wovon wir reden , so verfehlen wir vielleicht unser therapeutisches Selbstverständnis: Begriffen wir Trauma z.B. vornehmlich als 'äußeres Ereignis', so betätigten wir uns dedektivisch-kriminalistisch in der "Aufklärung eines Sachverhaltes", in der "Identifizierung einer Ursache oder eines Täters", dann wollen wir haargenau wissen, wie "es" geschah, statt unsere Empathie darauf zu richten, wie "es" hier & jetzt immer noch geschieht: in Flashbacks, Träumen oder sich Beziehungskonflikten wiederholt und re-inszeniert; wobei dieses "es" sexueller Mißbrauch, physische Mißhandlung, Geiselnahme, ein schwerer Unfall oder eine Brandkatastrophe bedeuten kann. Freud beschrieb das Trauma als "ein Erlebnis, welches dem Seelenleben innerhalb kurzer Zeit einen so starken Reizzuwachs bringt, daß die Erledigung oder Aufarbeitung desselben in normal-gewohnter Weise mißglückt" (5). Zwar noch gültig, bedarf diese recht formale Bestimmung einer Differenzierung, die insbesondere dem zeitlichen Verlaufs-charakter psychischer Traumatisierung Rechnung trägt. Mit Fischer & Riedesser (6) unterscheiden wir daher drei Phasen: a) Die traumatische
Situation; ad a) Situationen seien es Katastrophen, Unfälle oder Gewalteinwirkungen sind nicht per se (für sich) traumatisierend, sie enthalten aber ein "traumatisierendes Potential", dh. immer gibt es eine Wechselwirkung von Ereignis und Erlebnis, von realer Situation und psychischer Disposition des Individuums. Dies ist von besonderer Bedeutung bei Mehrfach- traumatisierungen, wenn also metaphorisch gesprochen der Alptraum nicht enden will. ad b) Traumatische Situation und traumatische Reaktion sind demgemäß nicht ganz trennscharf. Bei letzterer liegt der Schwerpunkt aber mehr auf der innerpsychischen Ebene von "Abwehr- und Bewältigungsversuchen". Typischeweise finden hier einen Wechsel zwischen Verleugnung und Reizüberflutung, wobei die Verleugnung oft mit Alkohol und/oder Drogen - i.w.S. - unterstützt wird. Manchmal äußern sich die Zustände der Reizüberflutung in der anfänglich benannten Schlaflosigkeit oder in fürchterlichen Alpträumen. Gleichwohl haben wir es bei dieser traumatischen Reaktion mit einer Notfallmaßnahme der leib-seelischen Person, nicht mit einer Krankheit/ Pathologie im engeren Sinne, zu tun. ad c) Die mittel- und langfristigen Folgen von Traumata für die Erlebnis- bzw. Beziehungsfähigkeit und die Persönlichkeitentwicklung bestimmen das, was Fischer & Riedesser den "traumatischen Prozeß" nennen. Ein traumatisiertes Kind wird z.B. auf die Entwicklungsaufgaben in der Pubertät oder Adoleszens kaum noch angemessen "antworten" können, da sein gesamtes Selbst- und Weltverhältnis massiv erschüttert wurde. Wir haben es in unserer klinischen Arbeit zumeist mit dieser Phase zu tun. Und so entziffern sich manche depressive Erkrankungen, Zwangsrituale, Phobien, Beziehungsstörungen und Selbstwertproblematiken als innerseelische Reaktionsformen auf lang zurückliegende traumatische Situationen. Auch hier bestätigt sich der Satz: "Zeit allein heilt keine Wunden". Die psychische Struktur, die Erlebnisweisen, die Wahrnehmungs-, Selbst- und Weltinterpretationsmuster bilden bzw. verändern sich in Antwort auf die traumatische Situation. So mag die reale traumatische Situation, der Unfall, die Prügel, der Mißbrauch, schon lange zurückliegen. Sie bleibt aber gleichsam als Hohlform erhalten, da die Antwort und Reaktionsmusrter auf das Trauma weiterbestehen. Dieses bestimmt so nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart & Zukunft der Traumatisierten. Es ist eine leere Zeit, die da vergeht; wie im Apltraum, wo wir laufen und laufen und nicht von der Stelle kommen. Sehr assoziativ möchte ich den letzten Satz mit einem Phänomen verknüpfen, bei dem es in ganz anderer Hinsicht darum geht, "von der Stelle zu kommen", sich aus der traumatischen Situation bzw. aus der aufdringlich-überflutenden Erinnerung herauszukatapultieren: Wie oft hören wir (7): "ich
bin dann oben auf dem Schrank gesessen und habe das nur
noch von oben herab beobachtet"; Das Selbst, überflutet von Affekten und Schmerz, rettet sich vor der endgültigen Vernichtung, indem es wie wir es nennen dissoziiert. Das Selbst ist nicht mehr wie in der klassischen Bestimmung z.B. bei Heinz Kohut (8) unabhängiger Mittelpunkt von Antrieb & Wahrnehmung, nicht mehr leib-geistige Einheit in Raum und Zeit. Personalität und Realität sind sprichwörtlich "ver-rückt". Und dennoch sind hier De-personalisation und De-realisation keine einfach "pathologischen" Phänomene; sie schützen das traumatisierte Individuum vor vollständiger Desintegration / Vernichtung. Wir können sogar noch weitergehen: das Hier & Jetzt verlassen, sich vom 'Pflock des Augenblicks' (Nietzsche) losreißen zu können, gehört zu den ureigensten menschlichen Möglichkeiten. Hierin gründen Phantasie und Imagination. Die Betonung liegt aber auf dem 'Können', einem Freiheitsmoment, welches den Traumatisierten gerade fehlt. Zudem ist das Erleben in der Dissoziation kein angnehmer Zustand; wie beim neurotischen Symptom ist es nur die zweitbeste Lösung und ebenso ein unfreier Zustand des Ausgeliefertseins, ein Erleben im Zustand des ohnmächtig leidenen Objekts. Dem zu begenen also Subjekt zu werden hilft oft nichts anderes als sich selbst aktiv, dh. in der Rolle der Wirkursache Schmerz zuzufügen. Z.B. sich zu schneiden, sich zu verletzen stellt ein Mittel dar, aus der Dissoziation herauszukommen. Gleichwohl bedeutet das letztlich etwas schlagwortartig ausgedrückt den Teufel mit Belzebub auszutreiben. Mögen bei diesem Vorgang auch physiologische Prozesse eine Rolle spielen, mir kommt es mehr darauf an, Versuche der Umkehrung von Ursache-Wirkung / Opfer-Täter zu benennen. In diesen Zusammenhang gehört auch das, was mir eine Inzest-Patientin erzählte, die - in größeren Abständen - sich einen sichtlich in sie verliebten Mann "nahm", mit ihm - ohne Gefühlsbeteiligung - schlief, um ihn anschließend rauszuschmeißen, "fallen zu lassen". Ineins war dies eine Wiederholung und andeutungsweise eine Opfer-Täter-Umkehrung. Diesen vermeintlichen Akt der Freiheit bezahlte sie aber mit heftigen Scham- und Schuldgefühlen. |
Wir
lenken unseren Blick nun wieder auf das TRÄUMEN, aber
lassen Sie mich ein Beschreibung mit hinübernehmen: "Ich bin dann oben auf dem Schrank gesessen und habe das nur noch von oben herab beobachtet". Ein solches Dissoziationserlebnis kennen wir alle, Neurotiker, Traumatiserte und sogenannt' Gesunde, jedoch nicht aus dem wachen Leben, sondern aus unseren Träumen. Auch dort löst - zumindest lockert - sich oft die Einheit des Selbst, das Raum-Zeit-Kontinuum auf. "Eigentlich sind wir nachts" so Ulrich Sachsse (9) "zwei- bis dreimal psychotisch: wir hören Stimmen, ... sehen Bilder, sind delirant. (...) Morgens werden wir wach, unser Frontalhirn hat sich alle Mühe gegeben, daraus einen sinnvollen Traum zu machen man nennt das sekundäre Traumarbeit". Die Stimmen &
Geräusche, Bilder und Szenerien in den Träumen
wie absurd & verfremdet sie auch erscheinen mögen
sind Spuren, Versatzstücke aus unserer
Lebensgeschichte. Gemeinsam ist ihnen, daß sie
Unabgegoltenes: ambivalente Gefühle, Konflikte,
unbegreifbare Situationen & Einbrüche, Wünsche
& Hoffnungen repräsentieren. Die Mechanismen der
Traumarbeit stellen gleichsam das Handwerkszeug dar, mit
dem diese Szenen und Problem-Konstellationen in eine
Ordnung gebracht werden. Was diese Ordnung so schwer
entziffern läßt ist der Reichtum der Verknüpfungen von
Elementen. Wenn wir im Wachen eine Aufgabe oder ein Thema
vor uns haben, versammeln wir vor- und unbewußt all
unser Wissen, unsere Erinnerungen, unser Handlungskönnen
und die leitenden Gefühle, um dem Thema gerecht zu
werden. Egal, ob wir einen Bericht schreiben oder uns über
eine Beziehung klar werden wollen, ganz selbstverständlich
unterscheiden wir, was wesentlich für unsere Aufgabe,
unser Thema ist uns was nicht. Unwesentliches wird
abgeschattet. Träume dagegen verknüpfen alles, was sie
bekommen können, wobei die Gefühle, emotionale
Konflikte die Zentren bilden, die um sich Bilder &
Szenen versammeln. Ohne auf die Realität im Sinne der
Handlungslogik oder der Raum-Zeit-Struktur zu achten,
kann ein Gefühl der Trauer die verlorene Puppe der
Kinderzeit mit dem Tod der Oma und dem Scheitern einer
Beziehung in einer Traumszene 'verdichten'. Träume sind damit aber trotzdem Vollzugsformen unserer Selbst- und Weltverständigung. Des nachts arbeiten wir an unerledigten Aufgaben, wir "verträumen" - wie Sachsse es so schön ausdrückt - unsere Probleme. Ich denke, auf dieser - zugegebenerweise - recht abstrakten Interpretationsfolie einer "Vollendungstendenz der Träume"(11) läßt sich auch Freuds Wunscherfüllungsthese abbilden. Und die
Schlaflosigkeit, die wiederkehrenden Alpträume? Läßt
sich dem ein Sinn abgewinnen? - Ja und Nein! Häufig wiederkehrende Alpträume - besonders bei Traumatisierten - deuten auf das, was Horowitz (12) "frozen states" (eingefrorene Zustände) nennt. In den Träumen und/oder im Erleben, Verhalten herrscht die "Wiederkehr des ewig Gleichen"; immer die gleichen Ängste, Selbstverurteilungen, Beziehungskrisen, die gleichen nächtlichen Alpträume; wie "eine Schallplatte, mit einen Sprung". Klinisch besonders bedeutungsvoll ist dieses Phänomen, weil sich diese 'frozen states' auch nach einer erfolgreichen ersten Therapiesequenz einstellen können. Was sagt
nun die empirische Traumforschung zu unserem
Vortragsthema? In Träumen
wiederholt sich nicht einfach die traumatische Situation,
sondern Träume bringen vornehmlich psychodynamischer
Vorgänge - wie Schutzverlust, Verlassenheit, Verrat etc.
- zum Ausdruck. Ein sechsjähriger Junge, der von seiner
Mutter fast erwürgt wurde, wenn sein Vater nicht im
letzten Augenblick eingegriffen hätte, träumte u.a.
wiederholt: sein Vater fährt mit dem Wagen vor,
steigt aus und schlägt den Jungen, während die Mutter
teilnahmslos dabeisteht. Schreiend erwachte er mit den
Worten: "sie (dh. die Mutter) hat mir nicht geholfen"
(15). In der
Betrachtung von Träumen sollte man auch auf die nicht-visuellen
Aspekte, also auf Geräusche, Geruchs- und
Geschmacksempfindungen achten. Belicki & Cuddy (17) befragten in einer Vergleichstudie Opfer (weitgefaßter) sexueller Übergriffe (A) und Opfer physischer Gewalt (B). Zwar fanden sich in den Träumen der ersten Gruppe mehr sexualisierte Szenen, aber insgesamt überwogen eindeutig bei beiden Gruppen Gewalt-Themen. (Dh. auch in den Träumen bestätigt sich die These, daß es bei sexuellen Übergriffen wesentlich um Gewalt, Macht & Herrschaft und nicht um Sexualität i.e.S. geht.) In Träumen vom Tod zeigten sich signifikante Unterschiede: Opfer physischer Gewalt erleben in Träumen eher ihren eigenen Tod, während die zweite Gruppe eher vom Tod anderer Personen träumte. Äußerst
selten - wie schon erwähnt - replizieren Träume die
traumatischen Situationen i.S. einer Abbildung. Mißbrauchsopfer
träumen häufig von gesichtslosen männlichen Gestalten,
Schatten, Schlangen, Würmern oder isolierten Körperteilen. In ihrer Zusammenfassung betonen die Autorinnen jedoch ausdrücklich, solche Träume sind - im vermeintlichen Umkehrschluß - kein Beweis für die Existenz von sexueller und/oder physischer Gewalt in der Lebensgeschichte der Träumerinnen. King & Sheehan (19) untersuchten die Veränderung von Trauminhalten während der Therapie bei "Inzest-Überlebenden". Dabei kristallisierte sich eine fünfstufige Phasenfolge heraus, die die Autorinnen "Dream Stages of Healing" (Taumstufen der Heilung) nennen. 1.
Anfänglich steht der "Selbst-Schutz" (Self-Protection),
die Abwehr der sich aufdrängenen Bilder & Gefühle
im Vordergrund. Z.B. träumte eine Frau: Ich bekam ein
Tonband mit Informationen für mich, wollte sie aber
nicht hören. Ich packte das Band in eine Tasche, in der
Ameisen & Käfer krabbelten und steckte sie ins
Gefrierfach. 2. In der zweiten Stufe (Acknowledgment = Eingeständnis, Bestätigung) stellen sich die Frauen der Tatsache des Mißbrauchs. Bilder, Gedanken und Gefühle überwältigen sie fast; oft träumen sie sich als Kind oder es erscheinen andere Kinder als Gewaltopfer. - Eine spätere Patientin träumte: Ich saß in einem Zug neben einem unheimlichen, gräßlichen Mann, der meinte, wir führen zu unserer Hochzeit. Da saß noch ein anderes Kind im Abteil, von dem ich mir Hilfe erhoffte, aber sie unternahm nichts.... Es war so schrecklich, ich brachte keinen Ton heraus.... 3. In der Stufe der "Folgen" (Effects) wird so die Autorinnen - den Frauen der Zusammenhang zwischen der frühen Traumatisierung und ihren gegenwärtigen Schwierigkeiten - z.B. in der Partnerschaft - klarer. Dies ist oft auch jener Zeitpunkt, zu dem sie sich in Psychotherapie begeben. Aus einer sehr frühen Therapiesitzung, in der sich die Patientin von der Therapeutin lediglich ausgefragt und belehrt fühlte, stammt folgender Traum: Ich schwamm mit meinem Freund in einem sehr tiefen Fluß. Am Ufer lag ein Mädchen, gerade aus dem Fluß gezogen. Eine Frau (Mischung aus Therapeutin und einer Dozentin) trat hinzu und sagte in einem kalten, oberlehrerhaften Ton: 'Schau, da ist kein Hymen'. Ich fühlte den brennenden Schmerz des Kindes.... 4. Mit der Zeit wandeln sich die Träume, ihre Stimmung & Inhalte werden positiver, eigene Möglichkeiten werden entdeckt. Die Autorinnen sprechen hier von "Wachstum & Verständnis" (Growth and Understanding). Von einem Messer in der Achselhöhle schwer verwundet - so träumte eine Frau - stürmte sie ins Krankenhaus und sagte (dort): 'fast wäre ich gestorben, aber ich hänge doch an meinem Freund und meiner Schwester'... 5.
Nie können traumatischen Erlebnisse "gelöst"
oder beseitigt werden. Im günstigsten Fall gelingt es
den Frauen, das Trauma so in den Kontext ihrer
Lebensgeschichte zu stellen, daß es nicht mehr ihr
gesamtes Erleben, Fühlen und Verhalten bestimmt, sie
einen relativen Neuanfang wagen können. Dies ist die
Stufe der sog. Solche Theorien von Traumstufen oder -phasen, wie alle psychodynamischen Schemata, sind mit Vorsicht zu betrachten. Sofern sie die therapeutische Begegnung um Interpretationshorizonte anreichern, sollten wir sie aufnehmen, aber sie dürfen unseren Blick nicht für die Einmalig- & Eigentümlichkeit einer jeden Patentin / eines jeden Patienten, die oder der zu uns in Therapie kommmt, verstellen. Unsere bisherige Rede von Träumen nahm diese ganz selbstverständlich, so als hielten wir sie - gleich einem Gegenstand - fest in unserer Hand. Doch schon im Erwachen entzieht sich zumeist das, was wir soeben noch träumten. Auch der uns verfolgende Alptraum befindet sich in ständiger Bearbeitung; die Fragen nach dem, was er sei, was er von mir will, läßt ihn nicht unverändert. Wie
steht es erst dann um Träume, die uns andere - z.B.
Patienten - erzählen, die sie als gemaltes Bild oder
Tonarbeit in die Therapie mitbringen. Versuchten wir ein
"Original" des Traums in Händen zu halten, so
trennten uns Welten von ihm; wie schon vor 2500 Jahren
der Philosoph Heraklit sagte: "Die Wachenden
haben eine gemeinsame Welt (koinon kosmos), die
Schlafenden aber wenden sich jeder seiner eigenen Welt (idion
kosmos) zu" (20). Es gibt Träume, die drängen nach Ausdruck, indem sie sich verdeutlichend wiederholen. Jaqueline Sheehan berichtet den folgenden Traum ihrer Patientin Karen: "1.
Traumsequenz: 2. Traumsequenz: 3. Traumsequenz: Träumen wohnt die Tendenz inne, - so sagten wir - Geschichten, Episoden unserer Lebensgeschichte zu erzählen. Träume reproduzieren keine photographischen Abbilder vergangener Ereignisse, nicht einmal Erinnerungen tun dies. Schon wenn wir "Ereignis", "Situation" sagen, z.B. "der Weihnachtsnachmittag, als wir den Baum schmückten" heben wir aus dem Fluß der Erfahrung etwas hervor, bestimmen einen Anfang, ein Ende, eine Bedeutung, ordnen es in unsere allgemeinen vertrauten Erfahrungsmuster ein. Neues, Fremdes kann nur als Abweichung vom Bekannten, als "Ver-rückung" des Vertrauten erfahren werden. Vergegenwärtigen wir uns selbst oder erzählen wir anderen bedeutsame Szenen unserer Lebensgeschichte, so sind es - wie gesagt - keine Abbilder, sondern eher "Modellszenen (23)", die das Gemeinsame, Wesentliche unterschiedlicher konkreter Ereignisse zu einer Erinnerung 'verdichten'. Diese 'Modellszenen' sind konstruiert, gleichwohl keine Erfindungen, es sind "wahre Geschichten". Der
genaue Inhalt und die Konsequenzen dieser These sind im
Rahmen dieses Vortrages nicht auslotbar. Es kommt mir
hier nur darauf an, zu zeigen, daß unsere
Erfahrungsmuster, die unseres Gefühles und unseres
Verstandes, nicht in der Aneinandereihung gleichwertiger
Einzelsituationen bestehen. Es sind keine konkreten
Situationen, die wie Perlen auf einer Schnur aufgereiht
sind. Überrascht
uns z.B. ein Partner/eine Partnerin mit einem
unvertrauten Verhalten - sei es besonders distanzierend
oder distanzlos brutal - so suchen wir die Situation zu
'normalisieren', dh. wir suchen bei ihm/ihr oder bei uns
Anhaltspunkte, die uns das Verhalten erklären. Wir
suchen also nach alternativen Modellszenen. Plötzlich
riechen wir die Alkoholfahne. Bewußt-unbewußt
versammelt dieser Sinneseindruck Szenen aus der
Vergangenheit, die wiederum unsere Erwartung daran
bestimmen, wie die gegenwärtige Situation weitergehen
kann und welche Einwirkungmöglichkeiten mir darauf haben.
Wir können nun zwar ärgerlich sein oder Angst
empfinden, den Partner zum Teufel wünschen etc.,
gleichwohl haben wir die Situation und Die
Bewegung der Erfahrung des Neuen, Überraschenden (a), Vor
diesem, recht grob skizzierten Hintergrund - und darauf
geht der Sinn meiner ganzen Rede - bedeutet das TRAUMA
eine Ausnahmesituation. Zu den
Versuchen, eine neue Melodie oder die alte wieder-zu-finden,
gehören besonders auch die Selbstvorwürfe &
Selbstentwertungen Traumatisierter. Für ein Kind sind
die Eltern Quelle ihres Selbst- und Weltvertrauens
dies ist die Skizze von der ich vorhin sprach. Alle Gefühle,
alle Erfahrung sind in dieser Skizze, diesem
Koordinatensystem eingeordnet. Gewalt jeglicher Form kann
diesen Lebensgrund bedrohen, so daß es erträglicher
erscheint, sich selbst als die 'Störung', den 'Fehler'
der Ordnung zu verstehen. Freunde, Partner und auch professionelle Helfer können Traumatisierten keine 'Normalität', keine neue Melodie aufzwingen. Mehr noch: auch unser Weltvertrauen bleibt davon nicht unberührt. Was ist mit unseren Vorstellungen von Humanität, Zivilisation, normaler Familie, wenn wir mit Traumatisierten sprechen. Wir 'normalisieren' doch ständig selbst - oftmals mit Hilfe unserer wissenschaftlichen Erklärungsmodelle - und tun dies immer mit einem gerüttelt Maß an Selbsttäuschung & Selbstberuhigung (25). Vielleicht sollte deshalb auch das 'Buch Hiob' zur "Fachliteratur" gehören, gerade weil es uns keine glatten Antworten liefert (26). Am Ende
meiner Ausführungen überlasse ich Ihnen die Antwort auf
die Frage nach dem Sinn Ihres Träumens: Ich danke Ihnen für Ihre Konzentration & Aufmerksamkeit. |
Anmerkungen und Literatur:
Vortrag auf
der Tagung: Vom Träumen und Hoffen am 6.12.2000 |
1 "Ich habe in die Literatur hineingeblickt" schrieb Freud 1897 an Fließ "und komme mir vor wie das keltische Zaubermännchen 'Ach wie bin ich froh, daß es niemand, niemand weiß'. Niemand hat eine Ahnung, daß der Traum kein Unsinn ist, sondern eine Wunscherfüllung" (Brief v.16.5.1897), in: Aus den Anfängen der Psychoanalyse 18871902, Frankf./M. 1962, S.173 2 Freud, S. (1919) Einleitung zur Psychoanalyse der Kriegsneurosen, GW Bd. 12, S. 321ff 3 ebd. S.324 4 Bartels, M. (1977) Ist der Traum eine Wunscherfüllung?, PSYCHE 2/1978, S. 97131 5 Freud, S. (1915) Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, Vorl.18, GW Bd. XI, S.284 6 Fischer / Riedesser (1998) Lehrbuch der Psychotraumatologie (2.Aufl.), Mnch.Basel 1999. Wir folgen hier der guten Zusammenfassung von Rosemarie Bawinski Fäh (2000) Psychisches Trauma ein unmögliches Konzept, in: aus: Internet-Zeitschrift für Psychotraumatologie, Nr. 1, Thieme-Verlag, 2000, Zürcher Fachstelle für Psychotraumatologie ZFP http://www.psychotrauma.ch/Artikel%20R.%20Barwinski.htm 7 vgl. Sachsse, U. (1998) Trauma, Trauma-Coping und Posttraumatische Belastungsstörung: Theorie und Therapeutische Ansätze", online: http://www.fachklinik-furth.de/sachs.htm Das dort Ausgeführte deckt sich weitgehend mit eigenen klinischen Erfahrungen. 8 vgl. Süsske, R. (1998) Was meint Heinz Kohut, wenn er vom Selbst spricht?, Online 9 Sachsse (a.a.O.) 10 Hartmann, E. (1996) OUTLINE FOR A THEORY ON THE NATURE AND FUNCTIONS OF DREAMING in: Dreaming, Vol. 6, No. 2, 1996 online: http://www.asdreams.org/journal/articles/outline.htm 11 vgl. Horowitz (1976) zitiert in: Fischer/Riedesser (1998), S.93 u.ö. 12 ebd. 13 Deirdre Barrett (Ed.)(1996) Trauma and Dreams, Harvard University Press 14 Ich beschränke mich wesentlich auf das Thema der physischen & sexuellen Gewalt, da ich PatientInnen mit diesen Erfahrungen aus eigenen Psychotherapien kenne. 15 Children's Traumatic Dreams, in: Barrett a.a.O. S.19 16 ebd. S.20 17 Belicki & Cuddy, Identifying Sexual Trauma Histories, in Barrett (a.a.O.), S.46ff 18 King & Sheehan, The Use of Dreams with Incest Survivors, in: ebd. S. 62 19 ebd., in: Barrett (1996). S. 56ff 20 Heraklit, Fragment 89 (zit. nach Lenk, E.(1983) Die unbewußte Gesellschaft, Mnch., S.152 21 Nader, K., Children's Traumatic Dreams, in: Barrett (a.a.O.), S.15 22 King & Sheehan (a.a.O.), S.65 23 J.D. Lichtenberg u.a. (2000) Zehn Prinzipien psychoanalytischer Behandlungstechnik, Stuttg. 24 vgl. Süsske, R. (2000)
Das Leiden an der
vergangenen Zukunft, Erscheint im Band 2 der
"Beiträge der Gesellschaft für Philosophie und
Wissenschaften der Psyche" zum Thema: 25 vgl. die 'Diskussionsbemerkung' von Erwin Straus zu den psychiatrischen Gutachten der "KZ-Dauerschädigungen" in: Der Nervenarzt 32, 1961, S.551f 26 vgl. Süsske, R. (2000) Sind wir Freunde Hiobs? Online Traumatherapie bei |
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siehe
auch:
Kein sicherer Ort?
- Missbrauch und Gewalterfahrungen bei Männern
(Vortrag
in der DIAKONIE Oldenburg)