Dr. Eckhard
Schiffer berichtete von Patienten, deren
Therapie unter Verwendung gestalterischer Mittel
stattfindet bzw. -fand. Dem stellte er einige allgemeine
Überlegungen über das Verhältnis von Kunst und
Gestaltungstherapie, Bild und Sprache voran.
Es
gibt zwar die berühmten Sammlungen von Bildarbeiten
psychiatrischer Patienten (Prinzhorn, Navratil), aber der
systematische Einsatz gestalterischer Therapiemethoden
ist trotzdem immer noch Neuland, mehr noch die
begriffliche Durchdringung dieses Feldes. Begriffe sollen
hier nicht einzwängen und "abschließen",
sondern Erfahrungen transparenter machen.
Die
Verwendung des Begriffes Kunst im
psychotherapeutischen Zusammenhang sei aber - so der
Vortragende - problematisch: Bei Patienten mit
hochgespanntem Ich-Ideal bedeutet die Konfrontation mit
Kunst ein Anheizen ihrer Leistungsproblematik. (Komm: Dies trifft
sicher nicht nur auf diese Gruppe zu, die Bereitschaft,
sich mit Kunst auseinander- zusetzen, hat auch viel mit
der Vorerfahrung, Schichtenzugehörigkeit u.a. zu tun
sowie dem Vermögen von Therapeuten, Vorurteilsstrukturen
- besonders moderner Kunst gegenüber - zu unterlaufen .)
Kunsterfahrung
gilt es zudem in
a) Rezeption von (vorgegebenen) Kunstwerken und
b)
eigene Kunstproduktion zu differenzieren.
Rezeption
meint dabei aber nicht passive Aufnahme, sie ist in sich
selbst schon aktive Interpretation. (Komm: Die
Interpretation kann nun wiederum in zwei - polaren -
Richtungen erfolgen: Bildanalyse nach Stil, formalen
Mitteln, Motive, Traditionsbezug u.a. oder sie nimmt die
eigenen Erfahrungen, Stimmungen, Anmutungen und
Assoziationen i.S. einer "phantasierenden
Bildbetrachtung" in Anspruch.)
Therapeutisch
steht mit Recht die eigene gestalterische Produktion im
Vordergrund. Sie ist aktive Selbstdarstellung und damit
ein Schritt aus dem passiven, leidenden Objektstatus
heraus. Zudem gibt sie Gelegenheit, sich gesamt-leiblich
mit Lebensgeschichte, Konflikten und Gefühlen
auseinander- zusetzen. Diese Arbeit mit dem Titel "künstlerische
Therapie" zu versehen (so Petersen, 1992)
fördert eher die Widerstände des Patienten und entleert
den Begriff der Kunst: Kunst ist Kreativität (doch nicht
allein), nicht alle kreative Gestaltung bedeutet Kunst.
Der Begriff Gestaltungstherapie
scheint deshalb nicht nur bescheidender, sondern auch
angemessener zu sein. (Komm: Dies würde auch Petersen von
der Aufgabe entlasten, Kunst von traditionellen
Vorurteilen zu befreien z.B. dem klassizistischen Ideal
vom Guten, Wahren und Schönem, dem Gedanken der Harmonie.
Petersen erliegt diesem Vorurteil aber an anderer Stelle
selbst, wo er - neben der modernen - gerade die
vorgriechische Kunst und Mythologie ins Spiel bringt. Das
kann hier nicht ausgeführt werden, aber es sei daran
erinnert, daß "Harmonia" nicht nur die Tochter
Aphrodites (Göttin der Liebe), sondern auch der Ares',
dem streithaften (Kriegs)-Gott, war.)
"Malen
hat für mich deutlich die Nebenbedeutung des
Widerstandes gegen meine Eltern, der Rebellion gegen
Autorität, auch gegen die innere Autorität, gegen mein
Pflichtgefühl, mein 'Überich'". Mit diesem Zitat
aus Piet C. Kuipers "Seelenfinsternis" (1991)
kommt der Titel des Vertrages - die Aufsässigkeit der
Bilder - zur Sprache. Kuiper malte seine Bilder als er
sich - mittels Medikamente aus der Phase der endogenen
Depression bereits herausgearbeitet hatte. Dennoch
bedeutet das Malen für ihn nicht eine einfache Beschäftigung
im Genesungsprozeß .
|
Für E.
Schiffer gilt die "Aufsässigkeit der Bilder"
besonders bei "bösartigen Introjekten",
die zwar als ichfremd erlebt werden, von denen
sich der/die Patient/in aber nicht befreien kann.
Sind diese sedimentierten Erfahrungen mit einem
Tabu behaftet, kann das Malen des Tabus (z.B. überwachende
Augen und ein Mund, der durchgestrichen ist - bei
der Patientin Sarah) etwas ausdrücken,
mitteilen, ohne zu sprechen. Dh. das Tabu wird
eingehalten und dennoch übertreten. |
(Komm: Zur Ergänzung: H.Junge
(1990) berichtet von einer 51 jährigen Patientin mit
schwerer Depression. Diese malte "ein Bild mit vier
großen gelben Blumen, die wie Osterglocken aussahen (Abb.1).
In einer früheren Therapiestunde hatte sie ein Bild
gemalt, auf dem eine ausgestreckte Hand vergeblich nach
einem Blumenstrauß griff. Ein Depressionsteufel, den sie
neben die Hand gemalt hatte, hinderte sie daran, die
Blumen zu ergreifen (Abb.2)".
Während des Malens und des
Betrachtens des Bildes weinte sie, erstmals seit langer
Zeit. Später wurde von einer Patientin berichtet, die
zeichnete einen wiederkehrenden Traum: sie liegt im Bett
und eine große, gefährliche Gestalt nähert sich; sie
erwacht im Traum und stellt verwundert fest, selbst neben
dem Bett zu stehen.
Im
Gespräch war es ihr nahezubringen, daß die gefährliche
Gestalt ein Aspekt ihres eigenen Wesens sei, der Traum
vergleichbar dem pavor nocturnus aus der Kindheit.
|
Wir haben
es hier mit einem dreifach gegliederten
Gestaltungsprozeß zu tun: dem manifesten,
erinnerten Traum, der sich einer "Traumarbeit"
verdankt; der Umsetzung in gemalte Bilder und
einer gemeinsamen Deutung der Traum-Bilder im
Gespräch. Der latente Traum- gedanke (Original)
zeigt sich -so Freud- immer in "Verkleidungen".
Aber vielleicht ist das Original eine Fiktion,
die Kommentare sind selbst der Urtext, gehalten
durch einen Sinn, der sich am Ende -in der
Zukunft- (der Therapie) erst konstituiert. |
Im
Gestaltungsprozeß wirken Primär- und Sekundärprozeßhaftes
zusammen; der Primärprozeß gibt infantiles Material in
einer "wilden Ordnung" - ohne Rücksicht auf
Raum, Zeit und Kausalität in der "Realität" -
vor, das aber gebändigt werden muß, um in der
Wirklichkeit der therapeutischen Situation überhaupt zur
Darstellung kommen zu können.
(Komm: Der drängende
Impuls z.B. droht zur aggressiven Handlung zu
werden, die Denkidentität des nur Phantasierten
droht, in die Herbeiführung einer "Wahrnehmungs-identität"
- dh. Realisierung der Phantasie - umzuschlagen.)
Dem Patienten M. ermöglicht das Malen dieser
Phantasien, in immer neuen und anders gestalteten
Bildern eine gebändigte Realisierung. Die Bilder
sind nicht die aggressive Tat, aber sie "bedeuten"
sie; ihre Produktion lenkt den leiblichen Impuls
in eine sozial verträgliche Tat um, wobei das
nach Agieren rufende Moment aufge- nommen wird,
was das Phantasieren allein nicht vermag.
|
|
Es gibt eine
Wahrnehmungsidentität zweiter Art, einen Kompromiß.
Insofern wären die Bilder induzierte Symptome, aber
solche die verträglicher sind und eine Bearbeitung
erlauben. Das letzte Bild M.s zeigt eine
postapokalyptische Landschaft mit einem Flöte spielenden
Mädchen, das dem Betrachter den Rücken zukehrt - der
Krieg ist aus, die Trauer bleibt. M. ist Kunstmaler, das
Malen der Phantasien knüpft so auch an vorhandenen
Ichleistungen positiv an. Andere Patienten müssen für diese Art
des Ausdrucks oft erst gewonnen werden.
Das Zusammenspiel von Primär- und Sekundärprozeßhaftem
befreit von der Diktatur des Primärprozesses (Trieb-
bestimmtheit und drängende Gegenwärtigkeit des
Vergangenen), gewährt so ein Stück Freiheit im Sinne
von Autonomie (Selbstgesetzgebung).
(Komm: Autonomie wird in
diesem Zusammenhang immer als Limes- (Grenz)-gestalt
verstanden, polar auf leidvolle Abhängigkeit (Heteronomie)
bezogen. Von den Beispielen her erscheint dies
einsichtig, doch eignet dem Prinzip der Autonomie
ein eigener Zwangscharakter:
Selbstgesetzgebung heißt, alles selbst setzen,
hervorbringen und verantworten müssen. Die Kehrseite von
Unabhängigkeit ist Bindungslosigkeit, alles was nicht
auch nicht sein könnte, verfällt dem Mißtrauen.
Vorgegebenheiten wie die der eigenen Geburt, der Natur,
der Zufälligkeit von Begegnungen, des Todes und der
Liebe entziehen sich letzlich der Selbstbestimmung. Was
wir mit Erickson als 'Urvertrauen' bezeichnen, verweist
auf eine positive Heteronomie, deren volle Gestalt uns
nicht aus der Ambivalenz von Zwang und Ermöglichung entläßt.
Realisierung der Autonomie als Ideal bedeutete die
Vergesellschaftung des schizoiden Charakters, stets der
Welt gegenüber, nie sich ihr vertrauensvoll-selbstvergessen
überlassend. In diesem Sinne können wir auch den
progressiven Aspekt des Primärprozeßhaften - sicher im
Einklang mit dem Referenten verstehen. Auf Überlegungen
dieser Art kommen wir noch zurück.)
"Das
Bild steht dem Primärprozeß näher als der
Begriff". Der Begriff überfliegt die
Dinge und Erfahrungen, hält sich in
abstrahierender Distanz und in der logisch-kausalen
Ordnung (Sekundärprozeß). Die Sprache kann
verschleiern, täuschen, folgt einer vorgegebenen
Struktur (z.B Grammatik).
(Komm: Die Gegenüberstellung
von Bild und Begriff/ Sprache
speist sich - so unsere Vermutung --- von einigen
anderen Oppositionen: Wahrnehmung vs. Idee,
Empfindung vs. Sprache, Wissenschaft vs.
Lebenswelt und Unmittelbarkeit vs. Vermittlung,
ohne daß es um die Entscheidung für eine Seite
geht. Das Bild steht nicht für unvermittelte
Empfindung --- das entspräche der hohlen Kopf-
und- Bauch- Dichotomie, von der sich der
Vortragende mit Recht immer wieder distanziert
hat. Es ist richtig, wenn wir dem Glauben mißtrauen,
mit dem Namen, dem Begriff schon die Sache selbst
zu haben. Ein einfachen Beispiel: Wir sehen ein
Haus, genauer: wir sehen etwas als Haus.
Dieses Etwas ist uns in einer unendlichen Fülle
von perspektivischen Wahrnehmungen gegeben. Die
Reihe der Hinsichten ist unabschließbar; mit dem
Begriff vollziehen wir einen Sprung, der alle möglichen
Wahrnehmungen übersteigt. Dieser Sprung
unterscheidet dann auch wesentliche von
unwesentlichen Wahrnehmungsaspekten, die
abgeschattet werden. |
|
Sind wir zu schnell beim Begriff,
sehen wir nicht mehr, was wir sehen. Der berühmt- berüchtigte
"Blinddarm auf Zimmer 13" entspricht - in
Analogie - diesem Phänomen.
Wir
können die Sache aber auch umdrehen, indem wir auf den blickeröffnenden
Charakter der Sprache, des Begriffs hinweisen. In eine
Situation hineingestellt - einem Bild, einem Gegenstand
oder einem Menschen gegenüber - interpretieren wir immer
schon das, was wir sehen / erfahren: immer ist uns 'etwas
als etwas' gegeben. Es gibt keine "Tatsache"
als factum brutum, der wir eine Bedeutung, einen Sinn
erst anhängen müssen. Nur müssen wir unseren ersten
Eindruck gegebenfalls revidieren, dh. wir suchen
wahrnehmend und auf unsere sprachlich sedimentierte
Erfahrung zurückgreifend einen erweiterten Kontext, von
dem her sich auch unser Blick wandelt. Konkret: Wissen
wir von einer Patientin, daß sie zu Spaltungstendenzen
neigt (Borderline), so sehen wir ihr Verhalten in anderer
Weise und prüfen Differenzen im Team auf den
Verursachungs- Anteil seitens der Patientin.
Nochmal
zur Sprache: "Die Rede ist Gedetzgebung, die
Sprache ist deren Code. Wir sehen die in der Sprache
liegende Macht deshalb nicht, weil wir vergessen, daß
jede Sprache eine Klassifikation darstellt und daß jede
Klassifikation oppressiv ist: ordo bedeutet zugleich
Aufteilung und Strafandrohung" (R. Barthes, 1980, S.17).
Gilt
dies für Bilder nicht oder nur in anderer Weise? Es
kommt sicher auch auf die Bilder an. Die allegorische
Darstellung der Vergänglichkeit unterwirft sich strengen
Kompositions- und Motiv- gesetzlichkeiten, die Bilder der
depressiven Patientin kaum.)
Bilder
und das Malen sind primärprozeßhafter als Sprache und
Sprechen, ihnen eignet deshalb auch ein höherer Grad von
Individualität. Sprache hat einen Allgemeinheits-
Charakter, den Bilder unterlaufen. Gleichwohl kann dies
auch die Sprache - in Form der Poesie, der Dichtung (Komm: E.Schiffer
verweist auf dadaistische Gedichte, die viel vom Primärprozeßhaften
haben; gilt das auch für die Lyrik Celans?
Malen
macht das Unsichtbare sichtbar (P. Klee) - eine
These, die sich wiederum in Opposition zur Sprache
versteht (s.o. Sprache kann verschleiern), aber
auch dem Vorurteil widerspricht, Malerei sei Nachahmung (Mimesis)
der visuellen Welt (i.S. von Photorealismus).
Das
Unsichtbare sichtbar machen, kann heißen, es in
Analogien oder Symbolen malen (Sonne, Blumen; dunkle
Balken u.a.) oder es in Auslassungen abwesend- anwesend
sein zu lassen: (s. Abb.3)
 |
"Das
Bild wurde von einem 50jährigen Patienten
gemalt, der unter diffusen Ängsten litt, die ihn
anfallsartig überkamen. (...) Nach mehrwöchigem
Aufenthalt in unserer Klinik wagte er erstmals,
seine Angst in Form eines Bildes auszudrücken.
Auf der rechten Seite ... ein großer Hai mit
weit aufgerissenem Maul .... Das übrige Blatt
bleibt leer, da ist nur noch Raum für Angst"
(H. Junge, 1990, S.736). |
"Das
fünfte Bein dieser Katze ist ein umgestalteter
Penis. Die keusche ältere Patientin konnte ihrer
sexuellen Problematik anders keinen Ausdruck
verleihen". (A.Bader, 1974))
Das Malen versammelt Sensorium
und Motorik durch eine Aufgabenstellung, aber
ohne sie -- wie beim Sprechen -- unterzu- ordnen.
Das zeigt sich z.B. bei hyperaktiven Kindern, die
im Unterricht nur "stören" und beim
Malen voll konzentriert und diszipliniert sind.
|
 |
Auf zwei weitere Ausführungen
des Vortrages gehe ich hier nicht mehr ein: mit Bezug auf
Furrer, 'Neue Wege des Unbewußten' (Bern 1969) erläuterte
Eckhard Schiffer die Primärprozeßhaftigkeit bei
Kinderzeichnungen und die Produktivität des gemeinsamen
Malens bzw. dialogischen Malens von Patient und Therapeut.
Diese Felder werden uns im Folgenden noch beschäftigen,
aber mit Hilfe anderer Autoren.
Schluß des kommentierten
Darstellungsteils.
weiter
zum Teil 2
B. "Unter dem
Pflaster liegt der Strand"
Die Phantasie ist eine anarchische
Kraft
Die Mechanik des Wunsches
Künstlerische Produktivität als
Sublimierung
Zwischenspiel: "Atmen und
Schreiben"
|
|
Kunst als Selbsttherapie
Was eine Kinderzeichnung verrät
Das Bild, das Malen und der
therapeutische Dialog
Literatur
|
Die Überlegungen seines
Vortrages fanden Eingang in:
Eckhard Schiffer:"Warum
Hieronymus B. keine Hexe verbrannte
Möglichkeiten und Motive gegen
Gewalt bei Kindern und Jugendlichen"
Beltz Quadriga Verlag, Weinheim
Berlin 1994.
Weitere Bücher von Eckhard Schiffer bei:
|
|