Gnade sei mit euch und Friede von Dem, Der da ist, Der
da war und Der da kommt!
„Und
vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“,
so lautet
die fünfte Bitte des Vater Unser, das unser Herr Jesus Christus die Seinen,
also uns, zu beten lehrte (Mt 6, 9-13; Lk 11, 1-4). Ein
Bitte, gleich wichtig und gleich dringlich wie die ums tägliche Brot.
Aber
ungleich schwerer zu verstehen und noch schwerer zu tun. Denn etwas zu
tun, das sagt die Bitte ja zu – wie einen Vorsatz, wie ein Versprechen:
„...wie
auch wir vergeben unsern Schuldigern.“
Reichlich
dunkel, wie da Schuld und ihre Vergebung, wie da Schuldner und Gläubiger,
wie da Mensch und G“tt und die Menschen untereinander zusammenhängen und
miteinander verkettet sind.
Treten
wir etwas näher zu und gehen wir ins Dunkel dieser Bitte, und wenn uns G“ttes
Geist begleitet, können wir wohl Licht ins Dunkel bringen.
Eine
erste Deutung kommt mit diesem Licht:
wir
vergeben denen, die uns schadeten und bei uns in Schuld stehen, deshalb treten
wir an G“tt mit der Bitte heran, nun auch uns zu vergeben. Wir sind gleichsam
in Vorleistung getreten, und nun ist G“tt an der verdienten Reihe. Er, G“tt
selbst, ist nun zum Schuldner unserer Tat geworden und muß mit Seiner Güte
aufwiegen, worin wir Ihm mit unserer Güte zuvorkamen.
Kaum
zu sagen, daß uns dieses Licht erst recht ins Dunkel bringt. Und sogleich
wäre es wieder an uns, G“tt um Verzeihung zu bitten, wenn wir Ihn, Dem wir
alles verdanken, zum Schuldner machten.
So
waren und sind und bleiben wir also Seine Schuldner, wie viele der
guten Taten wir auch in die Waagschale legen können, wie reich und verdienstvoll
unser Tun auch sein mag. Daran erinnert uns das Bitten allezeit, die Bitte
um Vergebung aber besonders. Wenn wir bitten, werden wir dessen inne, wessen
wir bedürfen. Und woher und von Wem wir erlangen, was uns fehlt. Und auf Wen
wir hoffen, daß unser Bitten gehört und uns zugute gewährt oder versagt werde.
So
sind wir Menschen Bittsteller und Bittstellerinnen allzumal vor unserem himmlischen
Vater. Und so vor G“tt stehend sind wir gewiß von unserem hohen Roß heruntergekommen,
von dem her wir über andere urteilen und richten.
Stehen
da mit reichlich leeren Händen und arm an eigenem Recht, das uns etwas fordern
ließe. Wir lernen uns zu öffnen, zuerst die Hand:
„Gib
Du uns etwas hinein“, dann oder vielleicht auch schon früher unsere Seelen.
Nicht nur die eigene, auch die der anderen.
Ich
sage mir dann und erkenne:
Die
Schroffheit, an der ich mich ritzte, reicht nicht an das Innere. Da gibt es
eine Geschichte, schon lange, die machte, daß die andere so schroff wurde.
Ich will diesen Hoffnungskern erinnern, am besten mit ihr zusammen – wenn
das ginge.
Ich
möchte andere Seiten kennenlernen und sehen, nicht nur das Vordringliche und
Eckige. Aber dazu muß ich ein wenig auf Abstand gehen und einen weiteren Bogen
schlagen; da komme ich dann vielleicht auf die andere Seite und sehe anderes.
Verstehen begänne dann, vergeben wäre möglich.
Möglich aber auch, daß die Schroffheit doch bis ans Innerste verletzte, an mein
Innerstes, und es ritzte. Verletzt wie ich bin, gewinne ich keinen Abstand
zu ihr, die mich verletzte. Nur immer größere Entfernung, die uns voneinander
entfernt und uns aus dem gemeinsamen Raum heraustreibt, in dem eine versöhnte
Wiederbegegnung sein könnte.
„Geh
du deiner Wege, ich gehe meiner; gut, wenn wir uns nicht wieder begegnen“
– Vergebung sähe wohl anders aus. Immerhin,
so sich zu meiden ist besser als der offene Krieg.
„Und
vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“,
Licht
ins Dunkel dieser Bitte brachte uns die zweite Deutung:
bittend
sich zu öffnen, auf den Anderen zu, weil wir an Dem, Der so ganz anders ist,
weil wir an G“tt das lernen: nichts vorbringen, nur empfangen zu können.
Schuldner
zu sein, jeder und jede in Vertretung des anderen und der anderen, denn darin
sind wir alle gleich.
Aber
wohltuend und erhellend ist dieses Licht nur, sofern es in der Intimität unserer
jeweiligen G“ttesbeziehung und –erfahrung verbleibt. Grell wird es und verletzend,
ja unheilvoll, wenn wir es ins Allgemeine wenden. Was uns je einzeln guttun
kann, wird allgemein-theoretisch genommen zu einem Satz, der uns niederschlägt.
Die Bitte und das Versprechen der Vergebung verkehrt
sich in ein eherndes Gesetz, das fordert und vielfach überfordert. Es heißt
so:
weil
wir doch allesamt Schuldner vor G“tt sind und an Ihn rechtens nichts zu fordern
haben, deshalb haben auch wir Menschen rechtens aneinander keine Forderung.
Deshalb haben wir einander nur immer und immer wieder zu vergeben.
Liebe
Gemeinde,
es
sind nicht wenige, die sich mit dieser Forderung quälen. Und wiederum damit,
dieser Forderung nicht genügen zu können. Menschen, die verletzt und beschädigt
wurden. Die es nicht gelernt haben und niemals dazu ermutigt wurden, ihre
Verletzung zu klagen, weder G“tt noch demjenigen, der ihnen das Leid anttat.
Ein
Schuldbewußtsein, früh und dauerhaft eingepflanzt, hält nieder und stumm,
was besser als Klage und Anklage sich äußerte. Stattdessen redet das Schuldbewußtsein,
und redet ein:
„Schuldig
bist du, deshalb bist du verpflichtet, dem zu vergeben, der gegen dich schuldig
geworden ist. Wie willst du vor G“tt Vergebung erlangen, wenn du nicht zuvor
deinem Nächsten vergeben hast.“
Aber
das verstummte Leid ist da und hält die Seele gefangen. Sie heilt nicht, und
ihre Pein vermehrt, daß sie an die scharfe Verpflichtung stößt, dem zu vergeben,
der ihr das Leid antat.
Sprechen
wir deshalb jetzt endlich vom Tun und von Tätern. Und tragen wir dies an die
Bitte des Vater Unser heran, nun eine dritte Deutung
versuchend.
„Und
vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“.
Ich
habe mich gegen ein Gebot vergangen, ganz konkret und sehr benennbar.
Und
bitte G“tt, Den ich mit dieser Gebotsübertretung verletzt habe, um Vergebung.
Von ganzem Herzen, ohne Ausflüchte. Ohne nach rechts und nach links zu schielen,
ob da noch jemand oder etwas wäre, mit dem ich meine Schuld teilen könnte.
Ich
sehe meine Schuld an, weil ich sie G“tt zur Ansicht und zum Urteil übergebe.
Meine Bitte tut das. Meine Bitte um Vergebung durchmißt den Raum, der zwischen
meiner Schuld und G“ttes Barmherzigkeit geöffnet ist. Der Raum ist geöffnet,
darauf hoffe ich. Wie könnte ich sonst überhaupt wagen zu bitten.
Ich
hoffe auf G“ttes Vergebung; darauf, daß es ein Jenseits meiner Schuld gibt.
Daß
G“tt mich von diesem Jenseits meiner Taten her ansieht und ich Ihm mehr als
die Summe meiner Taten bin. Da ist die Differenz, der so kleine und doch so
wichtige Unterschied zwischen meiner Tat und meiner Person. Daran glaube ich.
Deshalb kann ich auf das, was ich getan zurückkommen: es sehend, annehmend,
bereuend.
Hielte
G“tt diesen Zwischenraum nicht auf, ich würde ganz blind an meiner Schuld,
so ganz ohne Abstand, so ganz und gar mit ihr identisch. Mit meiner Bitte
betrete ich diesen Raum, und ich drehe mich um und gehe auf G“tt zu.
Die
Bitte um Vergebung und die Umkehr, beide sind so sehr auf G“tt zu, daß sinnvoll
sie kaum voneinander zu trennen sind.
Ich habe mich gegen ein Gebot vergangen, ganz konkret und sehr benennbar.
Und ich bitte meinen Nächsten, den ich mit dieser Gebotsübertretung geschädigt
und verletzt habe, um Verzeihung. Von ganzem Herzen und ohne Ausflüchte. Ohne
mich auf unverfügbar-äußere Umstände herauszureden oder mich auf andere, die
vielleicht auch mittaten, abzustützen. Ich bitte um Vergebung, ich
fordere nicht. Ein Recht, daß mir vergeben würde, habe ich nicht. Nur
eine Hoffnung, diese: mein Nächster wisse, wie ernst es mir mit meiner Bitte
sei, weil auch er sich ganz der Barmherzigkeit eines Anderen überantwortete,
als er G“tt um Vergebung bat.
Und
außer der Hoffnung habe ich übrigens auch die Pflicht, meinen Nächsten,
den ich schädigte, um Vergebung zu bitten. Eine Friedenspflicht, sozusagen.
Nicht die einzige, aber doch eine sehr wichtige. Andere Pflichten kommen dazu.
Solche des Schadenersatzes. Die auch etwas kosten, anderes als die
Selbstüberwindung, um Vergebung zu bitten und möglicherweise mit dieser Bitte
ins Leere zu gehen.
Die
auch etwas kosten, finanziell, materiell.
„Und
wenn jemand seinen Nächsten verletzt, so soll, wie er getan hat, ihm getan
werden. Ersatz des Bruches für einen Bruch, Ersatz des Auges für ein Auge,
Ersatz des Zahnes für einen Zahn – wie er den Menschen verletzt, so soll durch
ihn gegeben werden“,
so
hörten wir es vorhin in der ersten Lesung aus dem 3. Buch Mose, also aus dem
sog. Alten Testament. Hören wir genau:
Es
geht nicht darum, in einer grausamen und gewalttätigen Wiedervergeltung den
Täter zu schädigen, durch Schädigung zu bestrafen, es geht vielmehr darum,
dem Opfer einen Ersatz für den Schaden zukommen zu lassen, den es erlitten
hat. Das Recht des Opfers steht im Mittelpunkt, nicht das Unrecht des Täters.
Dem
Opfer zu geben, ist wichtiger als die Kehrseite, daß der Täter eine Einbuße
erleidet. Eine Einbuße finanzieller Art und gerade nicht seines Leibes.
Gewiß,
christliche Tradition hat jahrhundertelang wiederholt:
„Auge
um Auge, Zahn um Zahn“
und
damit das antijüdische Vorurteil eingeschärft, der G“tt Israels sei ein G“tt
der Vergeltung und des grausamen Rechts ohne Erbarmen. Vor diesem dunklen
Hintergrund sollte sich der barmherzige Christus des neuen Testaments desto
leuchtender abheben. So hat die christliche Tradition Feindschaft gesät zwischen
Christus und seinen Vater. Und wir haben dafür Abbitte zu leisten und um Vergebung
zu bitten, gar nicht allgemein so von Mensch zu Mensch, sondern sehr konkret
von Christ zu Jude. Wir kehren also um und lesen
mit den Lehrern und Weisen Israels neu:
Ersatz
für den angerichteten Schaden hat der Täter dem Opfer zu geben. Damit ihm
Gerechtigkeit widerfahre, soweit wir Menschen Gerechtigkeit üben können.
Damit
dem Verletzten Entschädigung zuteil würde, soweit wir Menschen es vermögen,
einen Schaden aus der Welt zu bringen.
Dazu
gehört: der direkte Schadenersatz, Schmerzensgeld, Heilungskosten, Ersatz
für Arbeitsausfall und ein sog. Beschämungsgeld, d.i. ein Schmerzensgeld der
Seele, so könnte man sagen.
All
das gehört nach rabbinischer Auslegung zu dem, was das biblische Wort „Ersatz
des Auges für ein Auge“ fordert. Mindestens das.
Aber
es bleibt ein Rest, den auch eine verfeinerte Praxis der Entschädigung nicht
tilgen kann. Denn wir ersetzen damit nur, wiedergutmachen können wir so nicht.
Wieder gut wird es zwischen Menschen nur, wenn Vergebung geschieht, es sei
mit oder ohne eine Bitte. Ohne Vergebung bleibt ein Riß in der Welt, den jede
Verletzung in die Wirklichkeit reißt.
Und
wenn da niemand mehr ist, an den ich meine Bitte um Vergebung wenden kann?
Und wenn da niemand mehr lebt, um Vergebung zu gewähren?
Kann
dann G“tt ins Mittel treten und anstelle der Opfer vergeben?
Nein,
das kann Er nicht. Täte Er es, er schnitte den Opfern das Wort ab, machte
sie stumm – wie ihre Mörder.
G“tt
aber hört auf die Opfer und auf das, was sie zu sagen haben, auch zu schreien.
Abels Blut etwa, das ganz von unten aus der Erde hoch schreit.
Hört
auf das, was ein anderes Opfer zu sagen hat, ganz nah, näher kam G“tt noch
kein Opfer. Es sitzt zu seiner Rechten und bittet für die Menschen:
Vater,
vergib ihnen.
So
bittet Christus, und der Raum der Barmherzigkeit bleibt offen, immer noch.
Wir
aber können eintreten und umkehren.
Amen.
Und der
Friede G“ttes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre
unsere Herzen in
Christus Jesus.
Amen.
Liturgie