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Predigt über die Bitte des Vater Unser:

vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern

 

 

Brigitte Gensch

 

G-ttesdienst für den 1.Sonntag nach Trinitatis
am 29.05.05 in Kendenich und Hürth

Gnade sei mit euch und Friede von Dem, Der da ist, Der da war und Der da kommt!

 

„Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“,

so lautet die fünfte Bitte des Vater Unser, das unser Herr Jesus Christus die Seinen, also uns, zu beten lehrte (Mt 6, 9-13; Lk 11, 1-4). Ein Bitte, gleich wichtig und gleich dringlich wie die ums tägliche Brot.

Aber ungleich schwerer zu verstehen und noch schwerer zu tun. Denn etwas zu tun, das sagt die Bitte ja zu – wie einen Vorsatz, wie ein Versprechen: „...wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.“

 

Reichlich dunkel, wie da Schuld und ihre Vergebung, wie da Schuldner und Gläubiger, wie da Mensch und G“tt und die Menschen untereinander zusam­men­hängen und miteinander verkettet sind.

Treten wir etwas näher zu und gehen wir ins Dunkel dieser Bitte, und wenn uns G“ttes Geist begleitet, können wir wohl Licht ins Dunkel bringen.

 

Eine erste Deutung kommt mit diesem Licht:

wir vergeben denen, die uns schadeten und bei uns in Schuld stehen, deshalb treten wir an G“tt mit der Bitte heran, nun auch uns zu vergeben. Wir sind gleichsam in Vorleistung getreten, und nun ist G“tt an der verdienten Reihe. Er, G“tt selbst, ist nun zum Schuldner unserer Tat geworden und muß mit Seiner Güte aufwiegen, worin wir Ihm mit unserer Güte zuvorkamen.

Kaum zu sagen, daß uns dieses Licht erst recht ins Dunkel bringt. Und sogleich  wäre es wieder an uns, G“tt um Verzeihung zu bitten, wenn wir Ihn, Dem wir alles verdanken, zum Schuldner machten.

So waren und sind und bleiben wir also Seine Schuldner, wie viele der guten Taten wir auch in die Waagschale legen können, wie reich und verdienstvoll unser Tun auch sein mag. Daran erinnert uns das Bitten allezeit, die Bitte um Vergebung aber besonders. Wenn wir bitten, werden wir dessen inne, wessen wir bedürfen. Und woher und von Wem wir erlangen, was uns fehlt. Und auf Wen wir hoffen, daß unser Bitten gehört und uns zugute gewährt oder versagt werde.

So sind wir Menschen Bittsteller und Bittstellerinnen allzumal vor unserem himmlischen Vater. Und so vor G“tt stehend sind wir gewiß von unserem hohen Roß heruntergekommen, von dem her wir über andere urteilen und richten.

Stehen da mit reichlich leeren Händen und arm an eigenem Recht, das uns etwas fordern ließe. Wir lernen uns zu öffnen, zuerst die Hand:

„Gib Du uns etwas hinein“, dann oder vielleicht auch schon früher unsere Seelen. Nicht nur die eigene, auch die der anderen.

Ich sage mir dann und erkenne:

Die Schroffheit, an der ich mich ritzte, reicht nicht an das Innere. Da gibt es eine Geschichte, schon lange, die machte, daß die andere so schroff wurde. Ich will diesen Hoffnungskern erinnern, am besten mit ihr zusammen – wenn das ginge.

Ich möchte andere Seiten kennenlernen und sehen, nicht nur das Vordringliche und Eckige. Aber dazu muß ich ein wenig auf Abstand gehen und einen weiteren Bogen schlagen; da komme ich dann vielleicht auf die andere Seite und sehe anderes. Verstehen begänne dann, vergeben wäre möglich.

 

Möglich aber auch, daß die Schroffheit doch bis ans Innerste verletzte, an mein Innerstes, und es ritzte. Verletzt wie ich bin, gewinne ich keinen Abstand zu ihr, die mich verletzte. Nur immer größere Entfernung, die uns voneinander entfernt und uns aus dem gemeinsamen Raum heraustreibt, in dem eine versöhnte Wiederbegegnung sein könnte.

„Geh du deiner Wege, ich gehe meiner; gut, wenn wir uns nicht wieder begegnen“ – Vergebung sähe wohl anders aus.  Immerhin, so sich zu meiden ist besser als der offene Krieg.

 

„Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“,

Licht ins Dunkel dieser Bitte brachte uns die zweite Deutung:

bittend sich zu öffnen, auf den Anderen zu, weil wir an Dem, Der so ganz anders ist, weil wir an G“tt das lernen: nichts vorbringen, nur empfangen zu können.

Schuldner zu sein, jeder und jede in Vertretung des anderen und der anderen, denn darin sind wir alle gleich.

Aber wohltuend und erhellend ist dieses Licht nur, sofern es in der Intimität unserer jeweiligen G“ttesbeziehung und –erfahrung verbleibt. Grell wird es und verletzend, ja unheilvoll, wenn wir es ins Allgemeine wenden. Was uns je einzeln guttun kann, wird allgemein-theoretisch genommen zu einem Satz, der uns niederschlägt. Die Bitte und das Versprechen der Vergebung verkehrt sich in ein eherndes Gesetz, das fordert und vielfach überfordert. Es heißt so:

weil wir doch allesamt Schuldner vor G“tt sind und an Ihn rechtens nichts zu fordern haben, deshalb haben auch wir Menschen rechtens aneinander keine Forderung. Deshalb haben wir einander nur immer und immer wieder zu vergeben.

 

Liebe Gemeinde,

es sind nicht wenige, die sich mit dieser Forderung quälen. Und wiederum damit, dieser Forderung nicht genügen zu können. Menschen, die verletzt und beschädigt wurden. Die es nicht gelernt haben und niemals dazu ermutigt wurden, ihre Verletzung zu klagen, weder G“tt noch demjenigen, der ihnen das Leid anttat.

Ein Schuldbewußtsein, früh und dauerhaft eingepflanzt, hält nieder und stumm, was besser als Klage und Anklage sich äußerte. Stattdessen redet das Schuldbewußtsein, und redet ein:

„Schuldig bist du, deshalb bist du verpflichtet, dem zu vergeben, der gegen dich schuldig geworden ist. Wie willst du vor G“tt Vergebung erlangen, wenn du nicht zuvor deinem Nächsten vergeben hast.“

Aber das verstummte Leid ist da und hält die Seele gefangen. Sie heilt nicht, und ihre Pein vermehrt, daß sie an die scharfe Verpflichtung stößt, dem zu vergeben, der ihr das Leid antat.

 

Sprechen wir deshalb jetzt endlich vom Tun und von Tätern. Und tragen wir dies an die Bitte des Vater Unser heran, nun eine dritte Deutung versuchend.

„Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“.

Ich habe mich gegen ein Gebot vergangen, ganz konkret und sehr benennbar.

Und bitte G“tt, Den ich mit dieser Gebotsübertretung verletzt habe, um Vergebung. Von ganzem Herzen, ohne Ausflüchte. Ohne nach rechts und nach links zu schielen, ob da noch jemand oder etwas wäre, mit dem ich meine Schuld teilen könnte.

Ich sehe meine Schuld an, weil ich sie G“tt zur Ansicht und zum Urteil übergebe. Meine Bitte tut das. Meine Bitte um Vergebung durchmißt den Raum, der zwischen meiner Schuld und G“ttes Barmherzigkeit geöffnet ist. Der Raum ist geöffnet, darauf hoffe ich. Wie könnte ich sonst überhaupt wagen zu bitten.

Ich hoffe auf G“ttes Vergebung; darauf, daß es ein Jenseits meiner Schuld gibt.

Daß G“tt mich von diesem Jenseits meiner Taten her ansieht und ich Ihm mehr als die Summe meiner Taten bin. Da ist die Differenz, der so kleine und doch so wichtige Unterschied zwischen meiner Tat und meiner Person. Daran glaube ich. Deshalb kann ich auf das, was ich getan zurückkommen: es sehend, annehmend, bereuend.

Hielte G“tt diesen Zwischenraum nicht auf, ich würde ganz blind an meiner Schuld, so ganz ohne Abstand, so ganz und gar mit ihr identisch. Mit meiner Bitte betrete ich diesen Raum, und ich drehe mich um und gehe auf G“tt zu.

Die Bitte um Vergebung und die Umkehr, beide sind so sehr auf G“tt zu, daß sinnvoll sie kaum voneinander zu trennen sind.

 

Ich habe mich gegen ein Gebot vergangen, ganz konkret und sehr benennbar. Und ich bitte meinen Nächsten, den ich mit dieser Gebotsübertretung geschädigt und verletzt habe, um Verzeihung. Von ganzem Herzen und ohne Ausflüchte. Ohne mich auf unverfügbar-äußere Umstände herauszureden oder mich auf andere, die vielleicht auch mittaten, abzustützen. Ich bitte um Vergebung, ich fordere nicht. Ein Recht, daß mir vergeben würde, habe ich nicht. Nur eine Hoffnung, diese: mein Nächster wisse, wie ernst es mir mit meiner Bitte sei, weil auch er sich ganz der Barmherzigkeit eines Anderen überantwortete, als er G“tt um Vergebung bat.

Und außer der Hoffnung habe ich übrigens auch die Pflicht, meinen Nächsten, den ich schädigte, um Vergebung zu bitten. Eine Friedenspflicht, sozusagen. Nicht die einzige, aber doch eine sehr wichtige. Andere Pflichten kommen dazu. Solche des Schadenersatzes. Die auch etwas kosten, anderes als die Selbstüberwindung, um Vergebung zu bitten und möglicherweise mit dieser Bitte ins Leere zu gehen.

Die auch etwas kosten, finanziell, materiell.

„Und wenn jemand seinen Nächsten verletzt, so soll, wie er getan hat, ihm getan werden. Ersatz des Bruches für einen Bruch, Ersatz des Auges für ein Auge, Ersatz des Zahnes für einen Zahn – wie er den Menschen verletzt, so soll durch ihn gegeben werden“,

so hörten wir es vorhin in der ersten Lesung aus dem 3. Buch Mose, also aus dem sog. Alten Testament. Hören wir genau:

Es geht nicht darum, in einer grausamen und gewalttätigen Wiedervergeltung den Täter zu schädigen, durch Schädigung zu bestrafen, es geht vielmehr darum, dem Opfer einen Ersatz für den Schaden zukommen zu lassen, den es erlitten hat. Das Recht des Opfers steht im Mittelpunkt, nicht das Unrecht des Täters.

Dem Opfer zu geben, ist wichtiger als die Kehrseite, daß der Täter eine Einbuße erleidet. Eine Einbuße finanzieller Art und gerade nicht seines Leibes.

 

Gewiß, christliche Tradition hat jahrhundertelang wiederholt:

„Auge um Auge, Zahn um Zahn“

und damit das antijüdische Vorurteil eingeschärft, der G“tt Israels sei ein G“tt der Vergeltung und des grausamen Rechts ohne Erbarmen. Vor diesem dunklen Hintergrund sollte sich der barmherzige Christus des neuen Testaments desto leuchtender abheben. So hat die christliche Tradition Feindschaft gesät zwischen Christus und seinen Vater. Und wir haben dafür Abbitte zu leisten und um Vergebung zu bitten, gar nicht allgemein so von Mensch zu Mensch, sondern sehr konkret von Christ zu Jude. Wir kehren also um und lesen mit den Lehrern und Weisen Israels neu:

Ersatz für den angerichteten Schaden hat der Täter dem Opfer zu geben. Damit ihm Gerechtigkeit widerfahre, soweit wir Menschen Gerechtigkeit üben können.

Damit dem Verletzten Entschädigung zuteil würde, soweit wir Menschen es vermögen, einen Schaden aus der Welt zu bringen.

Dazu gehört: der direkte Schadenersatz, Schmerzensgeld, Heilungskosten, Ersatz für Arbeitsausfall und ein sog. Beschämungsgeld, d.i. ein Schmerzensgeld der Seele, so könnte man sagen.

All das gehört nach rabbinischer Auslegung zu dem, was das biblische Wort „Ersatz des Auges für ein Auge“ fordert. Mindestens das.

Aber es bleibt ein Rest, den auch eine verfeinerte Praxis der Entschädigung nicht tilgen kann. Denn wir ersetzen damit nur, wiedergutmachen können wir so nicht. Wieder gut wird es zwischen Menschen nur, wenn Vergebung geschieht, es sei mit oder ohne eine Bitte. Ohne Vergebung bleibt ein Riß in der Welt, den jede Verletzung in die Wirklichkeit reißt.

Und wenn da niemand mehr ist, an den ich meine Bitte um Vergebung wenden kann? Und wenn da niemand mehr lebt, um Vergebung zu gewähren?

 

Kann dann G“tt ins Mittel treten und anstelle der Opfer vergeben?

Nein, das kann Er nicht. Täte Er es, er schnitte den Opfern das Wort ab, machte sie stumm – wie ihre Mörder.

 

G“tt aber hört auf die Opfer und auf das, was sie zu sagen haben, auch zu schreien. Abels Blut etwa, das ganz von unten aus der Erde hoch schreit.

Hört auf das, was ein anderes Opfer zu sagen hat, ganz nah, näher kam G“tt noch kein Opfer. Es sitzt zu seiner Rechten und bittet für die Menschen:

Vater, vergib ihnen.

 

So bittet Christus, und der Raum der Barmherzigkeit bleibt offen, immer noch.

Wir aber können eintreten und umkehren.

Amen.

Und der Friede G“ttes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre
unsere Herzen in Christus Jesus.

Amen.

 

Liturgie


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