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Eine persönliche Meditation
über
Schma Jisrael
[„Höre Israel“]

Brigitte Gensch

schma
Andacht für das STARK-Wochenende, Thema "Dogmatik"  am 17./18. 10. 03

          Lied EG 357 „Ich weiß, woran ich glaube“, Strophe 1 und 3.

Lied 357 Vers 1
   3. auch kenn ich wohl den Meister, / der mir die Feste baut, / 
     er heißt der Herr der Geister, / auf den der Himmel schaut, /
     vor dem die Seraphinen / anbetend niederknien, / um den die 
     Engel dienen: / ich weiß und kenne ihn.

„Ich weiß, woran ich glaube“ oder „wovon mein Herz voll und übervoll ist, davon geht mein Mund über“:

Und was ist nun das, was mich unbedingt angeht und so, daß es mich um und unter die Leute treibt, ihnen davon zu erzählen? So wie ein Kind es tut, das etwas Tolles gesehen und erlebt hat, nach Hause läuft und zu erzählen beginnt, voraussetzend, alle anderen müßten genauso interessiert und begeisterungsfähig wie es selbst sein – oder anders: sich darüber hinwegsetzt, ob die anderen gerade interessiert oder es nicht sind, so verliebt ist es in das Erlebte.

Was ist nun das, was mich – ganz individuell verstanden – angeht, auf daß ich es unbedingt weitererzählen muß?
Es ist das Geheimnis, daß G"tt mit Israel geredet hat, zuerst und liebevoll:

„Du bist mein Licht für die Welt; Dir vertraue ich an, was für die Menschen insgesamt und überhaupt gut ist. Du bist mein Zeuge – ohne Dich und ohne Dein Zeugnis bin ich nicht. Wen und was Du segnest, das segne auch ich. Und wo Du wegbleiben mußt und abstehst, da bin auch ich nicht.“

Natürlich, so exakt zitierbar steht das eben Gesagte nicht in der Bibel, doch ist es meine erfahrungsgetragene Lesart der Bibel in ihren beiden Testamenten. Erfahrungsgetragen...

„Höre Israel, der Ewige, unser G"tt, der Ewige ist einzig Einer.“

Sie kennen diesen Satz, es ist das „Schma Jisrael“, das auch das jüdische Glaubensbekenntnis genannt wird. Aber welch merkwürdiges Credo: da steht am Anfang des Satzes kein „Ich glaube“ oder „Wir glauben“, sondern eine Anrede, ein Imperativ: „Höre“.
Wer spricht? Mosche natürlich, er ist das Subjekt einer nahezu endlosen Abschiedrede im 5. Buch Mose: redet und redet...

Aber wer spricht wirklich? G"tt, der Ewige, spricht, und Mosche soll es weitersagen. Immer wieder stoßen wir in den ersten Kapiteln des 5. Buches auf die Wendung: 

„Da sprach Gott zu mir und sagte: sprich so zu den Kindern Israel.“ 

G"tt spricht Israel an – die Beziehung der Anrede und des Angesprochen-Seins beherrscht das jüdische Credo. (...)  Mein oder unser Bekennen gründet in einer Erfahrung, die nicht mehr in sich selbst gründet und also aufhört, Erfahrung zu sein (1), denn sie gründet in G"ttes Handeln und G"ttes Rede, die aller menschlichen Erfahrung überschwenglich sind.
Kein fester Boden, keine erste und letzte Gewißheit, sondern: Höre - G"ttes Anrede und Sein Zuvorkommen, Seine Zuvorkommenheit, auf die wir nie und nimmer ein Anrecht haben.
Die Anrede geht in das Bekenntnis über: Der Ewige, unser G"tt, der Ewige ist einzig Einer. Es heißt mit Bedacht nicht „mein G"tt“, und natürlich erst recht nicht „ein Gott“ (...).
Angesprochen bekennen wir – erkannt erkennen wir, so wird es Paulus dann im Neuen Testament sagen. 

Wie wunderbar: ein Credo, das seine „Betroffenheit“ – und hier einmal stimmt das oft mißbrauchte und inflationär gebrauchte Wort wirklich – mitformuliert: Höre!

Exkurs in Buchstaben-Weisheit: 

Das erste ajin Wort des Credo lautet in der hebräischen Sprache „Schma“ („
Höre“), der letzte Buchstabe – Ajin heißt er - dieses ersten Wortes wird in jeder Tanach-Ausgabe vergrößert wiedergegeben und so herausgehoben.  

Analog verhält es sich mit dem letzten Buchstaben – dalet Dalet heißt er - des letzten Wortes „echad“ („einzig Einer“). Warum gerade diese beiden Buchstaben traditionell exponiert sind, lassen wir heute einmal beiseite.

Das Ajin des „Schma“ und das Dalet des „echad“ kombinieren sich vorwärts gelesen zu dem Wort „ed“, welches „Zeuge“ bedeutet, rückwärts gelesen lautet das Wort „da“ (das Ajin kann je nach Vokalisation nach „E“ oder nach“A“ hin ausgesprochen werden), welches „wisse“ besagt, den Imperativ zum Verb „wissen“. „Wisse, daß Du mein Zeuge bist“, so könnte man die beiden Worte kombinieren, aber auch die Kombination „Sei Zeuge dessen, was Du weißt / bezeuge, was Du weißt“ ist sinnvoll und möglich. Damit nähern wir uns der Liedzeile „Ich weiß, woran ich glaube“ – Glaube und Zeugnis einerseits, Wissen andererseits berühren sich.

Erfahrungsgetragen sei meine Theologie und Lesart der Bibel und so auch meine Lesart des „Höre Israel“, und also rede ich jetzt von meiner Erfahrung.
Ich sitze auf der Frauenempore in der Synagoge der Roonstraße, es ist Samstag Vormittag, so ungefähr der Zeitpunkt, da ich gerade zu Ihnen spreche: Der Schabbat-G"ttesdienst hat soeben begonnen. Bald werden die obligaten Berachot, die Lobsprüche vor dem Glaubensbekenntis gesagt sein, dann folgt das Bekenntnis selbst. Alle Betenden verdecken mit der rechten Hand die Augen, der Vorbeter hat eine besondere Melodie angestimmt, äußerste Konzentration herrscht, Kawana nennt sich das hebräisch, Hingabe im Akt des Betens und Sprechens:

„Schma Israel, Adonai eloheinu, Adonai echad.“

Jeder, der sich ein wenig mit der Auslegungsgschichte des „Schma“ auskennt, weiß, daß das hebräische Wort für „einzig Einer“, „echad“, als eine Art Seelenfahrzeug dient, im Leben wie im Sterben. 
Mit äußerster Konzentration gesagt, dient es als Steg oder als Brücke, über die der oder die Betende seine oder ihre Seele hin zu G"tt schickt – es ist der Augenblick intimster G"ttesnähe und G"tteshingabe: Hier bin ich, "Hinneni" heißt das im Hebräischen, und das Gebet erreicht im Worte „echad“ seine höchste Intensität.
„Hinneni“, „hier bin ich“; diese Selbstpreisgabe und – hingabe findet sich nicht zufälligerweise an prominenter Stelle im Tanach: so z.B. antwortet Abraham, als der Engel G"ttes ihn ruft und von der Absicht, den Sohn, den einzigen und geliebten, zu töten, zurückruft. So auch antwortet Jesaja, als er von G"tt berufen wird. An dieses biblische „Hinneni“ der Selbst-Überlassung vor dem Ewigen kann man denken, wenn man zum Wort „echad“ kommt oder über es meditiert.
G"tt ist Einer und einzig, und ER will mich ganz. Einheit und Ganzheit gehören zusammen.
Sowohl die Sprache des jüdischen Glaubensbekenntnisses (Dtn 6, 4-9) als auch die leibliche Praxis des Gebetes vollziehen diese ganzheitliche Inanspruchnahme.

Aber ich bin doch keine Jüdin, da oben auf der Empore in der Roonstraße oder in welcher Synagoge auch immer. Mich geht doch das „Schma“ nicht unmittelbar an. Und trotzdem sage ich, daß mich die Liebe G"ttes zu Israel unbedingt angeht, nicht unmittelbar, aber unbedingt.

Mittelbar, denn ein glücklicher biographischer Zufall hat mich an die Seite Israels geführt, dafür bin ich dankbar, aber ich spare die Mystifikation.
Unbedingt: ja, insofern ich alles, was mich zu G"tt zieht, was mich trägt und stärkt, alles, was ich an G"tt erkannt habe, aus Seiner Beziehung zu Seinem Volk erfahren habe. Ich weiß mir G"ttes Liebe – wir traktierten gestern den Satz „Gott ist die Liebe“ – nicht anders zu erhellen als im Blick auf seine Liebe zu Israel, daran bewährt sich für mich all mein Reden von G"tt, da bekommt es Wärme und Farbe, wie in Goethes „Kirchenfensterscheiben-Gedicht“, von innen besehen.

Unbedingt, aber nicht unmittelbar: nicht ich, nicht wir, die Nicht-Juden und Nicht-Jüdinnen, sind die Erstgeliebten; wir sind nicht G"ttes Erste Liebe. Und trotzdem, ich kann mich über alle Maßen an G"ttes Rede und Erster Liebe zu Israel freuen. Warum und wie das möglich ist? Vielleicht geht da etwas vom Wesen der Liebe auf, nämlich sich freuen zu können, unbedingt und vorbehaltlos, an G"ttes Ja-Wort zu einem Anderen, der wir nicht sind.
Freude und Dank und Segensspruch und Lobgesang jeden Tag also über Israels Erwählung und dann und deshalb auch über Jesus, den Sohn aus Israel, der zunächst für die Seinen, dann aber auch zu uns Heiden kommt.

Und so kann ich singen:
„Das ist das Licht der Höhe, das ist der Jesus Christ, der Fels, auf dem ich stehe, der diamanten ist, der nimmermehr kann wanken, der Heiland und der Hort, die Leuchte der Gedanken, die leuchten hier und dort.“ (4. Strophe des Liedes EG 357).


Link und Literatur


      1) Erfahrung, die aufhört, Erfahrung zu sein - Jenseits von wissenschaftlicher und
          lebensweltlicher  Erfahrung: Luther - Barth - Levinas 
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Schma Jisrael
hebräisch - deutsche Übersetzung

"Schma"
als PDF-Datei


Osten-Sacken, Peter von der

Katechismus und Siddur - Aufbrüche mit Martin Luther und den Lehrern Israels Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum, 503 S. Berlin 1994 2. überarb. Auflage

Siddur Schma Kolenu
übersetzt von Raw Joseph Scheuer. Neues, klar geordnetes übersetztes Gebetbuch in moderner hebräischer Schrift und Übersetzung, 750 S., 
Morascha Verlag
, CH - Basel


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