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Kanzelgruß: Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war,
der da ist und der da kommt!

Liebe Gemeinde!

Post ist also angekommen, pünktlich zum heutigen zweiten Advent. Doch merkwürdig: fremde-befremdliche Post bekommen wir zu hören und zu lesen -ein Brief, der ganz offensichtlich an andere, nicht an uns gerichtet ist. Nicht nur an Menschen ei-nes anderen Ortes -Philadelphia nämlich im damaligen Kleinasien, der heutigen Türkei - und einer anderen, längst vergangenen Zeit. Nein wichtiger noch: an Men-schen einer ganz anderen Situation. Eine Gemeinde in Not und Bedrängnis, in Ver-folgung und Lebensgefahr ist die Empfängerin des Briefes. Täglich, ja stündlich kann wieder jemand aus der kleinen Schar weg verhaftet werden, denunziert und angezeigt, das Knie nicht vor dem römischen Kaiser gebeugt zu haben, der als G"tt und Heiland sich verehren läßt. Überführt und nach kurzem Prozeß ums Leben ge-bracht, da man sich der perversen Glaubensprobe verweigert, vom Fleisch eines Götzenopfers zu essen.
Und diese bedrängte Gemeinde nun erhält einen Brief zum Trost und zur Stärkung. Er tröstet und stärkt, denn er bestärkt die Gemeinde, ihren Weg des G"ttvertrauens und der G"ttestreue weiterzugehen - aller Bedrängnis zum Trotz. Der, der diesen Brief dem Seher Johannes diktiert, er stellt sich zunächst vor.
Er kann sich ausweisen als einer, vielleicht als der einzige, der imstande ist, die Be-drängten zu trösten, die Entmutigten zu stärken.
Christus selbst stellt sich vor als: der Heilige.
Denn er heiligte den Namen des Vaters und ewigen G"ttes im Himmel - und lästerte nicht.
Die Heiligung des G"ttlichen Namens aber brachte ihn ans Kreuz.
Er stellt sich vor als: der Wahrhaftige.
Denn er befolgte treu die Gebote seines Volkes Israel und bewahrte hartnäckig und streitbar das Wort G"ttes, die Tora - und verleugnete nicht. Die Treue zur Tora aber brachte ihn ans Kreuz.
Sein Gehorsam bis in den Tod zerbrach die Riegel des Toten-reiches; seine Versöhnungskraft öffnete die Pforten der Hölle, auch das Verlorenste und die Allerelendsten nicht verloren zu geben. Deshalb hat er die Schlüssel Davids, zu öffnen und zu schließen wie niemand sonst.
An die Gemeinde in Philadelphia richtet sich der Brief, Philadelphia, d.h. übersetzt: Geschwisterliebe. An seine Ge-schwister also richtet Christus seinen liebevollen Trostbrief.
Hören wir weiter zu, lesen wir weiter fremde Post mit:
"Ich sehe deine Angst und kenne deine Bedrängnis, denn auch ich habe an Leib und Seele erfahren, was du nun erleidest. Ich kenne die Angst vor der nächtlichen Razzia und Verhaftung, ich weiß um die Ohnmacht, ins unfaire Verhör zu kommen, ich weiß um deine Einsamkeit, wenn die engsten Freunde dich nicht mehr kennen wol-len, sondern dich verraten und verleugnen.
Ich leide mit, wenn sie dich verspotten, foltern und töten - denn es sind meine eige-nen Leiden und Schmerzen. All das weiß ich - du aber wisse: ich komme bald, deine und aller Gequälten Drangsal zu enden, und dann werde ich dich zu Ehren bringen."
Und weiter fahrt der Schreiber des Briefes fort:
"Du bist klein und gering an Kraft. So jedenfalls sieht dich die Welt. Großmächten kannst du nichts anhaben, Weltreiche vermagst du nicht zu stürzen. Leicht und viel eher kommst du unter die Räder der Macht, als daß du dem Rad in die Speichen greifen könntest. Nur ein Buch, das G"tteswort, und nur einen Namen, den G"ttesnamen hütest du und bewahrst du. Klein und machtlos erscheint das - gefährdet, leicht zerstörbar und durchaus nicht mehrheitsfähig.
Heilige Schriften und Bücher? Die kann man verbrennen.
Ein heiliger Name? Den kann man mißbrauchen, bis zur Unkenntlichkeit vernutzen, weil man mit der Wirklichkeit G"ttes, weil man mit G"tt nicht mehr rechnet, auf den der Name verweist.
Und welch merkwürdiger Name: Ich werde mit euch sein, wann immer Ich mit euch sein werde. Ich werde euch beistehen, wann immer es darauf ankommt - bis an die Enden der Welt.
Den Satten und denen, die obenauf sind, sagt solcher Name nichts. Alles aber bedeu-tet er denen, die leiden und in Not sind und denen G"tt heraushilft. Sie bleiben dem Namen treu, wenn es sein muß, bis zur äußersten Konsequenz. Wie auch du dem heiligen Namen treu geblieben bist.
Gering ist deine Kraft, aber groß ist deine Treue. Alles gilt dir G"ttes Wort und Wei-sung, die Tora. Keine Schriftrolle findet sich in deinem G"tteshaus, der Synagoge, auf die du nicht eine feinziselierte, silberne Krone gesetzt hättest.
Jede Rolle: eine Königin für dich, du Königskind.
Und nicht zuletzt dafür liebe ich dich: daß du auf den Messias, den Christus wartest und deshalb dein Nein sagst zu aller falschen, weil zu frühen Versöhnung, Nein zu allem: "es ist doch schon vollbracht" - als wäre das Wichtigste schon geschehen, als stünde das Entscheidende nicht noch aus, als wäre schon Reich G"ttes und ein neuer Himmel und eine neue Erde."

"Aber", so fährt Christus fort, "ich kenne auch die anderen, die, die dir zusetzen, weil sie sagen: 'wir sind die wahren Juden, wir sind das wahre Israel'.
Sie sind es nicht.
Sie sagen, sie seien das neue Israel, sie hätten einen neuen Bund, der den alten Bund endlich und endgültig ablöste. Den alten Bund mit seinen starren, engstirnigen Re-geln, Ritualen und Gesetzen, mit seinen toten, weil geistlosen Buchstaben, so pflichtversessen wie lieblos. So sagen sie. So lügen sie.
Siehe, ich stehe dafür gut, daß die Tür vor dir sich niemals schließt; die Tür zum ewigen Vater, die Tür, durch die zu Ihm kommen kannst, mit deinen Gebeten, dei-nem Flehen, und ja auch mit deinem Dank.
Sie sagen, die Türe sei verschlossen worden, du seiest verstoßen und G"tt hätte kein Ohr mehr für dich. So sagen sie. So lügen sie. Ich kenne ihre in Stein gehauene Ar-roganz, ihre angemaßte Überlegenheit - eingebaut in die Eingangsportale und Fas-saden ihrer G"tteshäuser, sei es der Dom zu Bamberg, sei es das Münster in Straßburg:
Ecclesia, die schöne Kirche, hat sich deine Krone aufs Haupt gesetzt, stolz steht sie da. Mein Leidenszeichen, das Kreuz, führt sie triumphal wie einen Marschallstab, wie eine Waffe. Und nun du, die Synagoge, auch du als schöne und junge Frau dar-gestellt, aber: barhäuptig, ohne Krone, mit traurig gesenktem Kopf stehst du da, dei-ne Lanze ist zerbrochen, die Augen hat man dir verbunden, dein Rückgrat ist ver-dreht, fast gebrochen. Ihr Geschwister in Philadelphia, laßt euch nicht verdrehen, nicht einschüchtern und zerbrechen, werdet nicht blind vor Angst, bleibt vielmehr treu, bleibt, was ihr unserem Vater im Himmel und mir von jeher ward: mein Volk Israel."
Und nun wir, hier in Witzhelden und nicht in Philadelphia, die wir diese fremde Post mitgehört, diesen fremden Brief mitgelesen haben. Müssen wir nicht irritiert und verstört sein? Denn wir möchten doch von Christus, unserem Herrn, gelobt, gestärkt und getröstet werden.
Nun aber erfahren wir, daß Jesus seine jüdischen Geschwister stärkt, durchaus gegen uns. Denn nicht wahr: so einfach ist es nicht, sich von den eigenen Überlieferungen und Traditionen zu trennen, von all dem mörderischen Triumphalismus, von dem tiefsitzenen Gefühl, doch auf irgendeine Weise überlegen zu sein. Wir haben eben gerade einmal angefangen, aufzuwachen, uns die Augen zu reiben und zu erschre-cken angesichts dessen, was Ecclesia, unsere Kirche mit der Kreuzwaffe in der Hand, alles angerichtet hat. Wie könnte ein guter Anfang aussehen, ohne den kein Fortkommen ist? Indem wir zu Juden und Jüdinnen gehen und etwa so sprechen: " Ihr seid die Königskinder und die Erstgeliebten G"ttes. Wir loben und danken G"tt, daß Er euch zuerst geliebt und erwählt hat. Und wir loben und danken G"tt und euch dafür, daß aus eurem Volk unser Herr und Heiland kommt. Und wenn ihr uns noch ertragen könnt und haben wollt, so nehmt auch uns als Abrahamskinder und eure Geschwister an."

Liebe
Gemeinde,
Sie können diesen guten Anfang auch anders und gleich heute machen - wenn Ihnen vielleicht nicht nach Worten und Theologie ist, wenn Sie sich scheuen oder welches "wenn" es sonst sein mag.
Heute Nachmittag mit Einbruch der Dunkelheit beginnt Chanukka, das jüdische Lichterfest. Da wird um 17.00 Uhr Rabbiner Teitelbaum vor dem Rathaus zu Köln das erste Licht des achtarmigen Leuchters, der Chanukkia, entzünden. Jeden Tag wird ein Licht hinzukommen, die Dunkelheit zu erhellen, bis die Achtzahl voll ist.
Chanukka heißt Tempelweihe und erinnert an ein großes G"ttliches Wunder.
Der tapfere Judas Makkabaios und seine Mannen eroberten den entweihten Tempel in Jerusalem aus griechischer Hand zurück. Das vorgefundene reine Öl, welches für die ewige Lampe des Tempels benötigt wurde, reichte nur für einen Tag. G"tt aber machte, daß die geringe Menge für alle acht Tage der Tempeleinweihung hinreichte und das Licht nicht erlosch.
"Macht hoch die Tür, die Tor macht weit" - so singen wir zu Advent. Und heute, am zweiten Advent, gar hören wir von einer offenen Tür, die niemand schließen kann, weil Christus selbst sie für sein Volk offenhält. Und durch diese Tür wird er kom-men, bald - er hat es versprochen. Er wird alle Verheißungen an sein Volk auch uns bringen, er - der Heiden Heiland. Er wird uns die Hoffnung geben, auf das zu hof-fen, worauf zu hoffen sich einzig und wirklich lohnt:
auf einen neuen Himmel und auf eine neue Erde und auf einen neuen Tempel.
Da werden wir gemeinsam, Juden und Christen, Königskinder, Abrahamskinder
und alle G"tteskinder den Einen anbeten, den G"tt Israels und König der Welt.

Amen.


Martin Luther [1534], DIE OFFENBARUNG DES JOHANNES
(Humanities Text Initiative, 1996)

7 Und dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, der zuschließt, und niemand tut auf:
8 Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, und niemand kann sie zuschließen; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet.
9 Siehe, ich werde schicken einige aus der Synagoge des Satans, die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht, sondern lügen; siehe, ich will sie dazu bringen, daß sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen und erkennen, daß ich dich geliebt habe.
10 Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen.
11 Siehe, ich komme bald; halte, was du hast, daß niemand deine Krone nehme!
12 Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen mei-nes Gottes und den Namen des neuen Jerusalem, der Stadt meines Gottes, die vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen.
13 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!



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