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Predigt zu Mt 28

vv 1-10

 

 

 

Brigitte Gensch

 

G''ttesdienst zum Ostersonntag [27.03.05]
in der Kirchen-Gemeinde Efferen


"Auferstehung" von
Christine Dümler-Pusinelli

 

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist,
der da war und der da kommt! Amen.

Mt 28, 1-10

1  Aber nach dem Sabbat, in der <Morgen>dämmerung des ersten Wochentages, kam Maria Magdalena und die andere Maria, um das Grab zu besehen.

2  Und siehe, da geschah ein großes Erdbeben; denn ein Engel des Herrn kam aus dem Himmel herab, trat hinzu, wälzte den Stein weg und setzte sich darauf.

3  Sein Ansehen aber war wie der Blitz und sein Kleid weiß wie Schnee.

4  Aber aus Furcht vor ihm bebten die Wächter und wurden wie Tote.

5  Der Engel aber begann und sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Denn ich weiß, daß ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht.

6  Er ist nicht hier, denn er ist auferweckt worden, wie er gesagt hat. Kommt her, seht die Stätte, wo er gelegen hat,

7  und geht schnell hin und sagt seinen Jüngern, daß er von den Toten auferweckt worden ist! Und siehe, er geht vor euch hin nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.

8  Und sie gingen schnell von der Gruft weg mit Furcht und großer Freude und liefen, es seinen Jüngern zu verkünden.

9  Und siehe, Jesus kam ihnen entgegen und sprach: Seid gegrüßt! Sie aber traten zu <ihm>, umfaßten seine Füße und warfen sich <vor ihm> nieder.

10 Da spricht Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin, verkündet meinen Brüdern, daß sie hingehen nach Galiläa! Und dort werden sie mich sehen.

Liebe Gemeinde,

Vergangenheit, die nicht vergehen willzumal dann, wenn wir trauern. Wir wenden uns zurück und wenden unsere Trauer dorthin, wo unser Liebstes begraben liegt. Wir gehen zum Grab – wie die Frauen, die Jesu Grab aufsuchen.

Dort liegen die Hoffnungen, die unerfüllt blieben, die Fragen, auf die keine Antwort gegeben wurde, unser Streiten und unsere Geselligkeit, das, was Fragment blieb und das, was wir vollenden konnten, soweit wir Menschen das vermögen, – unterm Stein versiegelt, unerreichbar, unwiederholbar. Wir wenden uns unserer eigenen Lebendigkeit zu, die dort unten versiegelt liegt. Schwer nur verabschieden wir uns von ihr, die ja die unsrige ist. Ein Verdacht schleicht sich zu uns, wir wären treulos, gegen das Liebste und gegen uns selbst, wenn so bald wir uns der Zukunft wieder zuwendeten. Und unter der Selbstverdächtigung hockt die Angst, es bliebe uns zukünftig nur die Leere: ein Leben, das sinnentleert seine Momente aneinanderreiht.

So leben Trauernde manchmal wie mit dem Rücken zur eigenen Lebenszukunft; die Augen und Gedanken sind aufs Vergangene gerichtet.

Vergangenheit, die nicht vergeht: sie greift durch die Gegenwart auf die Zukunft über und unterwirft sie sich. Unser Leben vergeht, weil unsere Vergangenheit nicht vergehen will.

„Leben muß ja weitergehen“, ein letztlich doch sehr trauriger Satz, nicht wahr?

Denn, wer ihn sagt, ist dem Leben, das in die Zukunft hinein sich bewegt, noch nicht wiedergekehrt.

Auch Maria, die Mutter Jesu, und Maria aus Magdala sind solche Menschen, die trauern. Die sich von ihrer Lebenszukunft abwenden und zum Grab zurückkehren, dort, wo ihr Liebstes besiegelt ist und Jesu Leben zur Vergangenheit wurde.

 

Die Zukunft aber hat begonnen.

Die Bewegung der beiden Frauen, die sich zurückwenden, wird jäh von einer anderen Bewegung unterbrochen. Sie durchkreuzt vom Himmel hoch nach unten fahrend die Trauer der Frauen. Ein Engel mit mächtigem Getöse kommt herab. Die Erde bebt und öffnet sich, dem Himmel entgegen. Begegnung in der Vertikalen – eine Erde, die sich dem Himmel zu auftut, ein Himmel, der zu ihr hin sich öffnet. Wo sich Himmel und Erde berühren, erscheint ein Engel, so plötzlich grell wie der Blitz und glänzend weiß wie der Schnee. Geblendet, wer ihn ansieht, zumal dann, wenn die eigenen Augen sich lange ans Dunkel der Trauer gewöhnen konnten.

Überhelle am frühen Morgen, daß die Morgenröte erblassen muß. Es ist der erste Tag der Woche, Schabbat ist gegangen, alles und alle haben geruht. G“tt, Israel und auch die Engel. Die Arbeit kann wieder beginnen.

Sie hat schon begonnen; der G“tt des Lebens hat sein Liebstes aus dem Tod zu Seinem Leben befreit. Ein Leben, das frei von Tod und deshalb frei von Angst ist. So hat die Zukunft also bereits begonnen. Die Engel wissen es schon. Jetzt müssen sie es weitersagen und den Trauerstein wegwälzen. Einer tut es, ausgeruht vom Schabbat der Tatruhe; er setzt sich auf den Stein wie auf einen Thronsessel über dem Grab. Licht ist er, und alles, was er tut, ist leicht.

Das leere Grab unter sich, beginnt er die horizontalen Bewegungen neu zu ordnen und anzuweisen. Hier und Dort werden streng geschieden, vertragen sich nicht und haben nichts miteinander gemein.

Hier: das ist das Grab, der Ort der Trauer, die Vergangenheit gewordene Lebendigkeit. Hier, wo das Leben vergangen ist, ist der Tod Gegenwart.

Und dort: das ist da, wohin Jesus, der Auferweckte, schon vorausgegangen ist.

Dort, wo einzig Leben ist, welches kein Tod mehr betreffen kann. „Eia, wärn wir da“, ach wären wir doch schon da!

Sie, die Frauen, sollen es den Jüngern weitererzählen und sich allesamt dorthin aufmachen, wohin ihr Herr vorausgegangen ist. Denn hier ist er nicht mehr, hier in den Ort des Todes gehört er nicht mehr, hier hat er außer seinen Begräbnisbinden und -tüchern wahrlich nichts mehr verloren. Ganz und gar sinnlos ist es, in hier noch suchen zu wollen.

Wunderbar, daß der Himmelsbote so ganz ins Horizontale und Irdische sich hineindenkt. Da wird niemand nach oben gelotst, sondern ins Jenseits der eigenen konkreten Zukunft hier auf Erden. Dort, wohin die Frauen und Jünger gehen sollen, dort, wo Jesus schon ist, das ist die Gegend von Galiläa. Dort begegneten sie erstmals Jesus, dort begann er öffentlich zu lehren und Menschen zu sich zu rufen, ihm zu folgen, mit ihm zusammenzuarbeiten. Das Dort, wohin sie aufbrechen werden, ist die konkrete Lebenswelt ihrer Arbeit fürs tägliche Brot und für den täglichen Fisch.

Nicht mehr hier, sondern dort: so kehrt der Engel die Bewegungsrichtung der Frauen um und bringt sie auf den Weg.

Wer zurückbleibt, sind die Wächter, wer zurückbleibt, ist ein Wächter. Weggestürzt in ihre Angst, sind sie wie tot.

Wer sind die Wächter?

Abgestellt von der Jerusalemer Tempelaristokratie sollen sie einem möglichen Leichenraub der Jünger vorbeugen, die dann die Mär verbreiten könnten, Jesus sei auferstanden.

Abgestellt von einer skeptischen, demoralisierten Gruppe, die mit G“ttes Handeln nicht mehr rechnet - nur noch mit dem Menschen und dem, was er bewirken kann.

Die Welt der Wächter ist fugenlos dicht gegen alles Drüben und Droben, sie glaubt an das, was vor Augen ist, aber bald dahin muß. Sie hält Schritt mit dem Vergehen aller Dinge und lehnt sich nicht auf.

Sie fürchtet sich vor der Phantasie, sagt Eindeutiges gleich zweimal, damit auch ja nichts dazwischenkommt, z.B.:

„Tot ist tot“.

Das hält die Wächterwelt für einen Erweis ihrer Realitätstüchtigkeit, obgleich es nur ihre Angst beweist, es könnte einmal ganz anders kommen.

Wir leben in der Wächterwelt, sehr oft, viel zu oft. Von allen Gewißheiten, die wir wissen, ist uns die Todesgewißheit die verläßlichste; gegen sie kommt unser österlicher Glaube nur schwer auf. Gnade ist es, wenn der Glaube schwerer wiegt.

Ich betrete das Zimmer von Frau K. Pankreas-Carzinom, Endstadium, „infauste Prognose“, so heißt das im Medizinerlatein, zu deutsch: „ungünstige Entwicklungsvoraussage“, zu deutsch: in 4-6 Wochen wird die Patientin tot sein; das ist gewiß und unumkehrbar. Unendlich traurige Augen sehen mich an.

Ich sehe die Todkranke an und versuche, mit ihrem Blick mitzugehen. Ich sehe sie auf ihren Tod hin an. Ich möchte sie aufs Leben hin ansehen, möchte mit derselben Gewißheit, mit der ich ihre baldige Nacht sehe, sie auch im Licht ihrer zukünftigen Auferweckung sehen. Ich möchte es so sehr – aber es gelingt mir nicht, nicht an diesem Tag: „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben.“

 

Gnade ist es, daß das Grab Jesu leer ist. Denn so wird unsere Todesgewißheit ins Wanken gebracht. „Kommt doch her und seht selbst“, sagt der Engel zu den Frauen. Aber der Blick der Trauernden geht ins Leere, an die Stelle dessen, was uns so gewiß schien und was gewißlich zu erwarten war, ist die Leere getreten. Das Allergewisseste, der Leichnam Jesu, ist nicht da. Was Wunder, das der Erdboden nachgibt, da doch der Boden unserer Gewißheiten ins Wanken geraten ist. Was Wunder, daß die Wächter gleich Toten hinstürzen. Und was für ein Wunder, daß die Frauen nicht fielen, sondern sich aufmachten, zwar noch mit Furcht, aber auch schon in großer Freude – auch ihr Glaube muß sehr groß gewesen sein.

Und befreiend ist es, daß das Grab Jesu leer ist.

 

„Mitten wir im Leben sind von dem Tod umgeben“, so heißt es in einem alten Lied; sind wir vom Tod umstellt und eingekreist. So todverschlungen sind unsere Lebenserfahrungen, daß uns da nur Eines frommt: G“tt nimmt das neue, auferweckte Leben aus der Höhle des Todes, nimmt es weg aus allem Hier und Jetzt, das wir kennen. Zieht es aus dem Kreis unserer gewöhnlichen Erwartungen und rettet es nach dort. Hier bleibt uns erst einmal die Leere und das Nein: nein, hier ist er nicht.

Aber von dort wird er kommen, uns zu begegnen. Denn der Auferweckte will sein neues, ewiges Leben nicht für sich behalten, er will es mit uns teilen.

Wann wird das sein?

 

Heute und in alle Ewigkeit.

Und wieder treffen da zwei Bewegungen aufeinander. Die Frauen, die in ihre Zukunft nach Galiläa vorauslaufen, und Jesus, der von dort ihnen entgegenkommt. Und nun fallen die Frauen nieder, aber nicht weil der Boden ihrer Gewißheiten schwankt. Anbetung ist es und Ehrfurcht vor G“tt, Der ankommen ließ, worauf sie hofften. Und wenn noch etwas der alten Furcht in ihrer Ehrfurcht gewesen sein sollte, so nimmt Jesus sie weg:

„Fürchtet euch nicht“.

Weiter ziehen sie, ohne Furcht, angstfrei, denn sie sind dem vom Tode befreiten Leben begegnet. Es kommt von dort, wohin wir allererst noch unterwegs sind.

Und es kommt zurück auf uns hier, die wir noch vom Tod umfangen sind; Christus, der uns begegnet, geht in seine eigene Vergangenheit zurück. Er vermag das, er kann die Grenze zur Vergangenheit überschreiten.

Es hat nämlich die Zeit ihre Gewalt über ihn eingebüßt, weil der Tod an ihm seine Macht verlor.

 

Denn, nicht wahr, hat nicht noch stets der Sensenmann auf der Sanduhr gestanden und es gemacht, daß die Sandkörner unserer Lebensaugenblicke unaufhörlich und unaufhaltsam aus der Zukunft in die Vergangenheit wegrieselten? Nicht die Zeit für sich genommen ist tödlich, es ist der Tod, der die Zeit vergehen macht – frißt unsere Zukunft und spuckt sie als Vergangenheit aus. Was eben noch nicht war, rinnt durchs Jetzt und ist schon nicht mehr, bald vergessen. So vergeht unsere Zeit, über die der Tod Macht hat.

Und verliert seine Macht, wo immer wir dem österlichen Leben begegnen.

 

Von dort her verändert sich unser Verhältnis zur Zeit: wir können abschiedlich leben, kommen und gehen lassen – denn der Tod hat seine Grenzmacht verloren. Dem Augenblick müssen wir keine Gewalt mehr antun, weil wir uns fürchten, es könnte schon bald alles aus sein. Was war, können wir hinter uns lassen, denn G“tt wird mit uns noch einmal darauf zurückkommen.

Und aus der Zukunft her muß uns nichts ängstigen, denn dort ist er, der Auferweckte. Schon jetzt will er uns berühren mit seinem österlichen, todfreien Leben. Deshalb geht er uns entgegen. Wir können es berühren, wie die Frauen, festhalten und haben können wir es nicht.

Aber selig sind wir, wenn er sich uns mitteilt -

heute und in Ewigkeit.

Amen.

 

Und der Friede G“ttes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen
und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

 

Liturgie der Predigt


erstellt am
16.04.2005

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