Predigten Liturgie theologische Texte Links

(K)ein Gerangel um die guten Plätze
Predigt zu Mk 10, 35-45
06.04.03 (Judika Sonntag)
in der Gemeinde Bodelschwingh


Brigitte Gensch

Liturgie der Predigt

Kurosawa "Ikiru" (Watanabe)


Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, 
der da war un der da kommt! Amen.

Liebe Gemeinde!
„Ein Männerpaar will nach oben“ – so könnte man in Anlehnung an Hans Fallada unseren heutigen Predigttext übertiteln. Ein Bruderpaar ist es, Jakobus und Johannes, die beiden Söhne des Zebedäus. Sie glauben, verstanden zu haben: Jesus hatte zu ihnen wie zu allen seinen Freunden schon zum drittenmal davon gesprochen, daß er sehr bald leiden, sterben, aber dann auferweckt werde. Also geht es mit Jesus weiter, über den Tod hinaus. Und da möchte man doch wissen, welcher Lohn dafür winkt, alles verlassen und Jesus nachgefolgt zu sein.

Kurz zuvor hatte bereits Petrus mit dem Zaunpfahl gewunken und lapidar festgestellt: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt“ (Mk 10, 28). Jesus nun war dem Wink gefolgt, doch leider fiel seine Antwort nicht sehr genau aus, nur so allgemein vom ewigen Leben hatte er gesprochen und es den Jüngern zugesprochen. 
Jakobus und Johannes lösen sich aus der Gruppe heraus und treten mit einer Frage an Jesus heran; eine Frage, die etwas von kindlich naiver Quengelei und von sehr erwachsener Unverschämtheit hat. 
Kindlich naiv wollen sie hören, besonders geliebt und den anderen vorgezogen zu sein. Unverschämt aber sind sie, denn sie lassen Jesus nur noch die Wahl, wem von beiden er den rechten oder den linken Platz an seiner Seite zuweise. Daß ihnen, den Brüdern, aber die ersten beiden Spitzenpositionen zukommen, dessen sind sie gewiß, und das ist dreist.

Jesu Reaktion ist ungewöhnlich: nicht schroff - zurechtweisend, sondern leise ermahnend; ein trauriger Unterton klingt mit, als wolle er sagen: so lange leben wir nun schon zusammen, so vieles habe ich euch vorgelebt und gelehrt, und noch immer habt ihr so wenig von meinem Dienst und Auftrag verstanden.
Jesus wendet die Bitte der beiden Brüder ins Gute und ins Nahe:
„Ihr wollt mir immerzu nahe sein, auch über den Tod hinaus. Aber wenn ihr mir nahe sein wollt, dann müßt ihr auch bei mir bleiben in dem, was mir bald, in naher Zukunft bevorsteht. Könnt ihr das? Den bitteren Leidenskelch mit mir zusammen trinken, euch auch auf den Tod taufen lassen so wie ich? Könnt ihr euch denen zugesellen, die mich seit meiner Taufe im Jordan begleiten und zwischen denen ich am Kreuz hängen werde? Solidarisch sein mit denen, die man die Sünder und G"ttfernen nennt?“

Und als sie das bejahen, weist er sie auf die unausweichlichen Konsequenzen ihrer Solidarität hin. Sie werden unter die Räder der Macht geraten und das Martyium erleiden. Soweit so gewiß. Aber welche Anerkennung ihnen G"tt zuteil werden läßt, welches Urteil Er ihnen zusprechen wird, darüber weiß und darüber vermag Jesus nichts. Bei G"tt allein steht solches Wissen und Tun.
Ist das nicht wunderbar und befreiend? Kauft uns Jesus damit nicht los vom uralten Zwang, alles und jedes auf Lohn und Gegengabe hin zu verrechnen?

Sicher, wir möchten Jesus schon nachfolgen und Täter des G"ttlichen Wortes sein, aber schielen wir nicht schon insgeheim nach vorne und nach droben nach zukünftigem Lohn und himmlischen Ehrenplatz? Und recken wir nicht den Hals nach den anderen, die mit uns rennen? Ein Miteinander-Rennen, das übersetzt auch „Konkurrenz“ heißt. Mag sein, wir sind dann gar nicht aufmerksam genug für das gute Werk, das zu tun ist, weil unser Augenmerk schon darüber hinweg auf die erwartete Anerkennung hin oder zur Seite zur Konkurrenz geht. Und dann sieht man unseren guten Werken den scheelen Blick auch an.

Nicht, daß auf unser Tun noch ein G"ttlicher Kommentar folgen werde, weist Jesus ab, doch daß wir im Tun auf G"ttes Urteil schielen und Seine Freiheit an unsere Güte binden wollen. Gewiß hat Jesus in seiner Freundlichkeit auf gutes Tun ein anerkennendes und lobendes Wort folgen lassen - ich kann´s mir gar nicht anders denken –, und selbst der manchmal recht garstige Paulus spricht vom Jüngsten Gericht so, daß dort vor allem reichlich gelobt werden wird (1 Kor 4, 5). 

Aber wir sollten es doch G"tt überlassen, wie Er unser Tun und Lassen in das Gewebe des Lebens einarbeitet, des eigenen Lebens wie das der anderen, wie Er es beschaut und gewichtet, verbessert oder beiseite stellt, sich daran freut oder betrübt ist. Haben wir doch daran genug zu hoffen, Er werde nichts unbeachtet lassen, nichts von dem, was wir tun und lassen.

Die jüdischen Weisen sagen: Der Lohn einer guten Tat, einer Mizwa, ist eine gute Tat, eine Mizwa. 
* Das heißt nun in einem ersten Sinn: wer Gutes tut, der oder diejenige steht sehr bald in der öffentlichen Erwartung, stets und stets neu Gutes zu tun. Und alle Ehrenamtlichen in dieser wie nur jeder Gemeinde wissen, was damit gemeint ist. Wer Gutes tut und zum Wohl vieler handelt, bekommt immer erneut etwas Derartiges zu tun. Nur recht und billig ist es da, Anerkennung und Lob zu zollen, besser noch, gleich mit zu tun, auf daß die wenigen Engagierten nicht verbraucht und das notwendige Tun wenn schon nicht gerecht so doch etwas gerechter verteilt wird.
* „Der Lohn einer guten Tat ist eine gute Tat“ bedeutet in einem zweiten und tieferen Verständnis aber dieses: sie selbst hat an sich genug, und der, der sie tut, hat an ihr die Fülle, denn mit jeder guten Tat kommt das Gute in die Welt – wer oder was sollte darüberhinaus noch eines Lohnes bedürfen?

Denken Sie es sich, liebe Gemeinde, wie ein Geschenk. Wenn wir schenken und uns in der Situation des Schenkens in den Vordergrund spielen, etwa mit allerelei Eitelkeiten, wie aufwendig, umständlich und nervenaufreibend das Besorgen des Geschenkes gewesen sei und wie wenig sicher wir doch seien, ob wir auch das Rechte und Gewünschte getroffen hätten, mit all diesen Egoismen und Selbst-Umkreiselungen verdunkeln wir dann das Geschenk und verderben die Situation. Wenn wir aber ganz hinter das Geschenk zurücktreten und ihm den Raum zur Entfaltung geben, dann beginnt es zu faszinieren und sein Geheimnis ins Spiel zu bringen; es fesselt die Aufmerksamkeit des beschenkten Menschen, und wenn dann seine Augen leuchten, dann sind auch wir selig; und allemal wichtiger als ein Danke ist das.

In der Güte eines solches Handelns begegnen sich Demut und Seligkeit, keine erzwungene und zwanghafte Demut, wie sie gerade das Christentum seinen Gläubigen und zumal den Frauen immer wieder abgenötigt hat: mit hängenden Schultern und spitzen Gesichtszügen. Vielmehr eine Demut, die von innen her leuchtet.

Zum Schluß möchte ich Ihnen, liebe Gemeinde, eine
Geschichte erzählen, eine auf den ersten Blick eher traurige Geschichte. Ein berühmter Regisseur, der Japaner Akira Kurosawa, hat sie verfilmt (und vielleicht kennen Sie ja von ihm die Filme „Rashomon“ oder „ Die Sieben Samurai“). Der Film trägt den Titel „Ikiru“, das bedeutet übersetzt in etwa „Leben“ im Sinne eines „wirklichen Lebens“.
Erzählt wird das Lebensende eines Mannes namens Watanabe, der als leitender Bürokrat einer mittleren Sektion der Stadtverwaltung von Tokio Beschwerden von Bürgern aus der Nachbarschaft zu bearbeiten hat. Watanabe ist todkrank, die Ärzte geben ihm noch ca. 6 Monate zu leben. Doch von diesem Verhängnis weiß unser Held zu Beginn des Films noch nichts. 
Wir sehen ihn an seinem Schreibtisch zwischen hohen und staubigen Säulen von Akten, die er stempelnd abarbeitet. Die gestempelten Akten verschwinden in der Unendlichkeit einer labyrinthischen Bürokratie, aus der sie dann irgendwann einmal wieder auf Watanabes Schreibtisch wiederkehren, ohne daß sich irgendetwas Nennenswertes oder gar Bürgertaugliches ereignet hätte. 
Eines Tages spricht eine aufgebrachte Schar von Frauen und Müttern vor, die sich über einen stinkenden und faulenden Tümpel in ihrer Nachbarschaft beschweren und die Errichtung eines Kinderspielplatzes und Parks anstelle des Tümpels beantragen.
Watanabe reicht die Beschwerdegruppe an die nächste Behörde weiter, und gleich den umlaufenden Akten werden auch die Frauen nach einer langen und vergeblichen Zeit wieder in Watanabes Büro erscheinen...
Weil ihn Magenschmerzen plagen, geht Watanabe zum Arzt, doch nicht der, sondern ein etwas koboldhafter Mit-Patient klärt ihn über seinen hoffnungslosen Zustand auf. 
Hadernd und verzweifelt, worin denn nun sein Lebenssinn bestünde, schleicht der Bürokrat nach Hause. In die Dunkelheit des Wohnzimmers gelehnt, wartet er auf seinen Sohn und seine Schwiegertochter, um sich ihnen anzuvertrauen, Rat und Anteilnahme zu erhalten. Doch die Beiden, gereizt und egozentrisch wie sie sind, weisen den Vater ab, noch ehe er sein Schicksal erzählen kann. Nun, in einem anderen Zimmer des Hauses, wendet sich der Alte an seine glückliche Vergangenheit und kniet vor dem kleinen Altar seiner verstorbenen Frau; doch ihre Asche bleibt ihm stumm.
Watanabe wird radikal: der, der seit 30 Jahren tagein und tagaus in sein staubiges Büro ging, gleich einem Automaten, beschließt, nicht mehr zu 
arbeiten, sondern der verbleibenden Lebenszeit das Maximum an Lust und Gewinn abzujagen. Gleich seinem deutschen Zwilling, dem Faust, stürzt sich Watanabe in Sex, Alkohol und Glücksspiel, ein Comic-Zeichner begleitet ihn als sein Mephisto. In einer miesen Piano-Bar außerhalb der Stadt gelegen wünscht
sich der wilde Alte vom Barpianisten einen melancholischen Song, dessen Text so lautet:
„Leben ist so kurz. Verlieb dich, liebes Mädchen, solange deine Lippen noch rot sind und bevor deine Leidenschaft erkaltet. Denn es gibt kein Morgen. Leben ist so kurz. Verlieb dich, liebes Mädchen, wenn dein Haar noch schwarz ist und bevor das Feuer in deinem Herzen erstirbt. Denn Heute kommt niemals zurück.“

Ein solches Mädchen nun trifft Watanabe; sie braucht ihn, ihre Papiere und ihren Job zu ändern, damit sie nun in einer Fabrik arbeiten kann, die Stofftiere und Kinderspielzeug herstellt. Er braucht eine Zuhörerin, weit mehr als irgendeine körperliche Beziehung. Endlich weist ihn das Mädchen ab, jedoch nicht ohne ihm die entscheidende Inspiration geschenkt zu haben. Watanabe wird radikal, erneut.
All seine verbleibende Kraft stellt er in den Dienst der Nachbarschaftsmütter und ihren Wunsch, einen Kinderspielplatz zu schaffen. Er kämpft gegen die Mühlen der gleichgültigen Bürokratie, und schließlich obsiegt er.
Am Ende aller seiner Tage, die Nacht ist schon hereingebrochen, sitzt Watanabe auf einer sacht wiegenden Kinderschaukel des Spielplatzes. Lautlos fällt Schnee, der Alte summt seine melancholische Weise „Life is so short...“ Er leuchtet von innen, er lächelt und seine Augen blinken wie die Sterne der Nacht.

Bei der Totenfeier hängt das Photo Watanabes dominant über allen Gästen, alle Gespräche kreisen um den Toten. Man mutmaßt über seine Motive, alle Energie in den Bau des Spielplatzen dahingegeben zu haben: Ja, wußte er vielleicht nichts von seinem nahen Ende, er hätte doch sonst gewiß anders gehandelt.
Wollte er vielleicht der jungen Frau imponieren und sie zu seiner Geliebten machen? Rätselraten und viel Geschwätz, dem Watanabe schon lange entkommen ist: als er nämlich so selig in die Nacht hinein schaukelt, eins geworden mit seinem Tun. Gleich wird er nicht mehr sein, und später wird auch sein Andenken verblassen, und noch später wird vielleicht auch der Spielplatz nicht mehr sein. Das alles ist nicht wichtig.
Wichtig ist nur, daß für eine Zeitlang etwas Gutes in die Welt gekommen ist, das kein Motiv und keinen Autor braucht.

Und was sonst noch dazu zu sagen ist, das steht allein beim ewigen G"tt. Amen.

Und der Friede G"ttes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre
unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


Revidierte Elberfelder Bibel
Das Evangelium des Markus, Kap. 10
35 Und es treten zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sagen zu ihm: Lehrer, wir wollen, daß du uns tust, um was wir dich bitten werden.
36
Er aber sprach zu ihnen: Was wollt ihr, daß ich euch tun soll?
37
Sie aber sprachen zu ihm: Gib uns, daß wir einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken sitzen in deiner Herrlichkeit!
38 J
esus aber sprach zu ihnen: Ihr wißt nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder mit der Taufe getauft werden, mit der ich getauft werde?
39
Sie aber sprachen zu ihm: Wir können es. Jesus aber sprach zu ihnen: Den Kelch, den ich trinke, werdet ihr trinken, und mit der Taufe, mit der ich getauft werde, werdet ihr getauft werden;
40
aber das Sitzen zu meiner Rechten oder Linken zu vergeben, steht nicht bei mir, sondern <ist für die>, denen es bereitet ist.
41
Und als die Zehn es hörten, fingen sie an, unwillig zu werden über Jakobus und Johannes.
42
Und Jesus rief sie zu sich und spricht zu ihnen: Ihr wißt, daß die, welche als Regenten der Nationen gelten, sie beherrschen und ihre Großen Gewalt gegen sie üben.
43
So aber ist es nicht unter euch; sondern wer unter euch groß werden will, soll euer Diener sein;
44
und wer von euch der Erste sein will, soll aller Sklave sein.
45
Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele.


Liturgie der Predigt


erstellt am
06.04.2003

Predigten Liturgie theologische Texte Links


top