Begegnung
Hagar –
Sarah
ca.15 Jahre später
Sarah:
Bist Du nicht
– Hagar?
Hagar:
Sarah?
Sarah:
Du lebst?
Ich hätte nicht gedacht, Dich im Leben noch einmal wiederzusehen.
Ich sehe Dich
noch, wie Du wegziehst, wegläufst – mit Deinem Kind auf dem Arm, den Wasserschlauch
auf der Schulter, weg in die Wüste.
Was habe ich damit gekämpft,
dieses Bild – Dich - aus meinem Gedächtnis zu löschen.
Nun bist Du wieder da.
Hagar:
Ich denke
auch nicht gern zurück. Das schmerzt immer noch – manchmal jedenfalls. Und
jetzt stehst Du hier vor mir und ich merke: All das, was schon so lang zurückliegt,
kommt mir wieder ganz nah. Die Hoffnung und die Verzweifelung, die Demütigung
und die Wut. Aber noch etwas anderes spüre ich. Neugier. Wie ist es Dir eigentlich
ergangen – damals und die ganze Zeit. Nie haben wir miteinander gesprochen.
Sarah:
„Nie haben
wir miteinander gesprochen?“
Welcher Ton?
Ich höre schon wieder die alte Hagar mit ihren Anmaßungen.
Du warst meine
Sklavin – dort unten in den Zelten der Sklaven und Sklavinnen.
Und hast Du
es nicht besser, ja gut gehabt?
Hagar:
Besser, gut
gehabt?
Arbeiten,
parat stehen so gut ich konnte und manchmal auch noch mehr – das war mein
Leben. Etwas anderes kannte ich nicht. Das war meine Perspektive.
Oben – Unten,
Herrschaft und Knechtschaft, Herrin und Sklavin.
Ich dachte, etwas anderes
würde ich nicht kennenlernen.
Sarah:
Ja, ich war die Herrin:
stark, alles kontrollierend. Schwäche habe ich nicht gezeigt. Aber auch ich
war eine Sklavin – meiner Unfruchtbarkeit.
Hagar:
Ja, Du warst
die Herrin, Du warst stark, deshalb nahm ich Deine Not nicht wahr. Wohl hörte
ich manchmal das Tuscheln: Unfruchtbar, keine Kinder. Aber deine Scham - ich
sah sie nicht. Dein Leid – ich hatte nichts damit zu tun. Bis Du durch mich
das Kind wolltest, dass Du selber nicht bekommen konntest.
Sarah:
Stimmt, ich wollte das
Kind - um jeden Preis. Ich war mir meiner Sache so sicher.
Abraham liebt mich; zu
keinem Zeitpunkt mußte ich fürchten, ihn an Dich zu verlieren.
Aber Dich hatte ich nicht
auf der Rechnung.
Was so ein dicker Bauch
alles bewirken kann.
Hagar:
Sarah: berechnend wie eh
und je.
Wie ein Ding benutztest
Du mich. Ein Mittel zum Zweck war ich für Dich – nichts weiter war ich für
Dich. Aber Du hast Dich verrechnet.
Eine Liebesnacht mit meinem Herrn, Deinem Abraham, und dann die Schwangerschaft.
Ein unbeschreiblicher Triumph
war das für mich – zunächst.
Ich hatte all das, was
Dir, der großen Herrin, versagt war: Jugend, Fruchtbarkeit und ein Kind in
meinem Bauch. Die Unannehmlichkeiten, die Müdigkeit, die Übelkeit nahm ich
gern in Kauf. Endlich war ich wer.
Sarah:
Wie ich Dich gehaßt habe!
Wenn Du da so breit am
Brunnen standest, die Hände seitwärts eingestemmt, den Bauch nach vorne drückend
– Deinen dicken Bauch. So gesund, so jung.
Dein lautes Lachen gellte
mir in den Ohren. Du warst das erste Bild meines Erwachens, und bis in meine
Träume kamst Du mir nach.
Wie ich mich meines Leibes
geschämt habe: alt, trocken, abgestorben an der Wurzel seiner Lebendigkeit.
Ich war so einsam. Selbst Abraham wurde mir fremd – als paßte er nicht mehr
zu mir.
Tagelang verließ ich mein
Zelt nicht, denn ich fürchtete die Blicke der anderen. Vor allem der anderen
Frauen. Wie sie ihre Köpfe zusammensteckten und hinter meinem Rücken mich
verspotteten.
Das Mißtrauen nagte an
mir und fraß mich inwendig auf. Ich hatte auch etwas im Bauch, das wuchs –
es war der Neid.
Wie ich Dich gehaßt habe!
Schon war mir mein kluger
Plan leid geworden – und wenn es eine Möglichkeit gegeben hätte, Dir das Kind
zu nehmen...
Hagar:
Deine bösen Blicke habe
ich gespürt.
Und ich war Dir ein Dorn
im Auge.
Ich habe es genossen, Dich
zu verspotten, auf Dich herabzusehen, Dich meine Überlegenheit sehen und spüren
zu lassen. Deine Qual war Balsam für mich. Endlich, endlich war ich einmal
oben und nicht Du.
Sarah:
Aber da oben hattest Du
nichts zu suchen – und so brachte Dich ein Hochmut zu Fall. Was hast Du denn
geglaubt?
Daß ich Deine Aufsässigkeit
so hinnähme? Mich ganz zurückzöge und verkröche? Dir das Feld überließe –
kampflos?
Hagar:
Heute muss ich den Kopf
schütteln, wenn ich an meine Naivität von damals denke.
Zu spät merkte ich, wie
einsam ich längst geworden war.
Meine früheren
Freundinnen wandten sich ab. Ich hörte sie über mich reden. Ich gehörte nicht
mehr zu ihnen.
Abraham war wie vom Erdboden
verschluckt. Kein Wort, keine Geste bekam ich von ihm.
In meinen
Triumph in meinen Stolz mischte sich Angst. Ich war allein, und Du warst stärker.
Sarah:
Ich habe Dir Deine Frechheit vergolten, denn ich mußte
mich behaupten. Wie Du schon so richtig bemerktest: auf Abraham konnte man
nicht zählen. Er mied den Konflikt, obgleich ich ihn gebeten hatte, Dir entgegenzutreten,
Dich in Deine Schranken zu weisen. So lag´s an mir, Dich auf das rechte Maß
zurechtzustutzen.
Und jetzt,
aus der Distanz betrachtet, kann ich es Dir, Hagar, ja eingestehen: auch in
mir kroch die Angst hoch. Weniger die Angst um meine äußere Machtposition,
vielmehr jedoch die Angst, meine innere Stärke zu verlieren – meine Selbstkontrolle,
meine Souveränität.
Hagar:
Deshalb quältest Du mich
mit Blicken, mit abschätzigen Bemerkungen und mit immer mehr Arbeit. Mein
Leben wurde härter und härter. Und irgendwann wurde mir klar: das herrschende
System ist stärker. Du konntest mich gebrauchen - meine Arbeitskraft, meine
Fruchtbarkeit – so wie es Dir in den Kram passte. Du warst die Stärkere und
würdest es bleiben. Ich war die Sklavin und würde es bleiben. Aber ich wollte
mich nicht unterkriegen lassen. Das Baby in meinem Bauch war meins und nicht
Deins, und außer ihm hatte ich nichts mehr zu verlieren. Und so ergriff ich
die einzige Chance, die ich noch hatte, die Du mir nicht nehmen konntest –
ich lief fort.
Sarah:
Ich habe Dich nicht sonderlich
vermißt, nur um das Kind war es uns, Abraham und mir, leid.
Aber dann bist Du ja zurückgekommen,
wortlos.
Und verändert warst Du,
fast verwandelt. Ich habe es gespürt, aber es hat mich nicht sehr interessiert
– damals.
Hagar:
Ja, ich bin
zurückgekommen – hochschwanger, aber ich war nicht mehr dieselbe, Du hast es
gespürt.
Lass mich Dir erzählen,
wie es mir ergangen ist.
Ich bin gelaufen und gelaufen.
Ich hatte Angst, Du entdeckst meine Flucht und stellst mir nach. Erst an der
Quelle auf dem Weg nach Schur machte ich meine erste Pause. Müde, durstig,
gehetzt und doch auch froh entkommen zu sein. Nur zwei Dinge waren mir geblieben:
das Kind in meinem Bauch und meine Selbstachtung – ob das zum Überleben reichen
würde?
Und dann machte ich eine
Erfahrung, die in Worte zu fassen mir immer noch schwer fällt. Plötzlich wußte
ich, ich bin nicht allein.
Dort an der Quelle spürte
ich: dies ist nicht das Ende, sondern ein Anfang, mitten in der Wüste.
Ich musste nicht mehr weiter
fortlaufen, sondern konnte ankommen – jedenfalls für einen Moment. Und dieser
Moment war G''tt.
Ich weiß, das ist so schwer
zu beschreiben und wohl auch schwer zu verstehen.
G''tt, ich wusste wohl Ihr
beide, Du und Abraham und eure Familie glaubtet an ihn. Mir war das fremd.
Ich hatte nie darüber nachgedacht. Und jetzt, dort in der Wüste musste ich
plötzlich nicht mehr nachdenken. G''tt war einfach da. Eine Stimme, eine Gegenwart.
Und ich wusste: Mein Elend ist gehört, meine Angst, meine Einsamkeit, meine
Wut auf Dich, das Gefühl einfach nur gebraucht worden zu sein. Was Du und
Abraham mir angetan habt, was ich selbst mir angetan habe und Dir, meine ganzen
stummen Selbstgespräche – all das ist nicht ungeschehen, aber gehört von
G''tt.
Und ich war sicher, ich bekomme einen Sohn und ich werde ihn Jischma-El nennen.
G''tt hat gehört.
Und dann erkannte ich:
G''tt sieht mich. Jetzt und hier - mitten in der Wüste.
Jetzt und
hier – mitten in all dem Fragen: Wohin mit meinem Leben, wohin mit meinem
Kind.
G''tt sieht
mich, auch all das was war – auch zwischen uns: dein Neiden und Deinen Hass,
meine Überheblichkeit und meinen Spott, meine Angst und meine Flucht.
Zum ersten
mal spürte ich: ich bin wer – nicht weil ich ein
Kind bekomme, sondern weil G''ttes Blick auf mit ruht, weil ich wertvoll bin
in seinen Augen. Wann war ich das denn jemals vorher – wertvoll in den Augen
eines anderen?
Wie seltsam
– niemals vorher hatte ich diesen Blick auf mich, auf mein kleines Leben gespürt.
Laut brach das Glück aus mir heraus, als ich rief: „Du bist G''tt, der mich
sieht.“
Sarah:
Was Du erzählst, berührt mich sehr...
So hat denn
unser G''tt, der Heilige, gepriesen sei Er, Dich besucht, auch Dich besucht
– eine Fremde, eine ägyptische Magd.
Es beginnt
wirklich zu werden, was G''tt Abraham und mir verheißen hat. G''ttES Segen,
mit dem Er unser Volk Israel segnet, bleibt nicht allein bei uns – weiter
geht er. So hat es uns G''tt einst versprochen, da waren wir noch Fremde
und mußten umherziehen. G''tt macht sich bekannt; nicht nur wir lernten Ihn
kennen – Du hast Ihn schon erkannt. Mein G''tt ist auch Dein G''tt geworden.
Und immer
mehr werden es sein, aus noch anderen, verschiedenen Völkern und Nationen.
G''tt hat Dich
aufgesucht, noch bevor Er mich besuchte. Erst jetzt wird mir das deutlich.
Es irritiert mich, aber Neid, nein Neid ist nicht im Spiel. Ich muß darüber
nachdenken, warum G''tt zuerst zu Dir kam – vielleicht zeigt Er sich zuerst
denen, die ganz und gar in Not sind, so wie Du es warst?
„Du bist
G''tt,
Der mich sieht“ – so nanntest Du G''tt und gabst Ihm einen Namen. Du sahst
G''tt und wurdest gesehen.
Du erkanntest
G''tt und wurdest erkannt: Liebe ist das.
G''tt liebt
Dich.
Aber laß mich
Dir meine Geschichte erzählen. Und Du wirst staunen, wie ähnlich sie der deinigen
ist.
Du weißt ja,
daß auch ich endlich einen Sohn, den Isaak, gebar. Aber Du weißt nicht, und
Du kannst auch gar nicht wissen, wie zermürbend es für Abraham und für mich
war, Jahr um Jahr vergeblich auf ein Kind zu warten. Besser nicht zu hoffen
als immer wieder die Hoffnung enttäuscht zu sehen. Glaube mir, auch ich war
elend und verzweifelt. Nicht nur Scham empfand ich, auch Selbstvorwürfe plagten
mich: Bin ich in den Augen G''TTES nichts wert, daß Er immer noch zögert, Seine
Verheißung wahr zu machen und uns den ersehnten Sohn zu schenken?
Und auch mich
hat G''tt erhört. Nicht mein Flehen und meine Klage, sondern – mein Lachen!
Denn als G''tt mich besuchte und davon sprach, übers Jahr würde ich alte Frau
einen Sohn gebären, da lachte ich heimlich in meinem Zelt. Und G''tt bereitete
mir ein Lachen und schenkte mir den Isaak, Jizchak, d.h. übersetzt:
„Er lachte“.
Aber erzähl´
mir doch: warum bist Du zu uns zurückgekehrt und hast Dich wieder unters Joch
getan? Warum hast Du Deine Freiheit wieder aufgegeben? Ich an Deiner Stelle
wäre nicht zurückgekommen, trotz aller Unsicherheiten und Gefahren.
Hagar:
Ja, es fiel
mir schwer, das zu verstehen – damals in der Wüste, an der Quelle:
G''tt selbst hat mich zurückgeschickt.
Ich mußte zu euch zurück:
Mich wieder
aussetzen – Deiner Macht, Deinen Befehlen, Deinem Hass, Deinen Entwertungen.
Und doch war
etwas anders.
In der Dunkelheit
Licht.
In der Angst
Mut.
In der Müdigkeit
Kraft.
Ich war anders
– gestärkt, gesehen – G''tt sei Dank.
Ich trank
aus der Quelle, die man heute „Brunnen des Lebendigen“ nennt, ich trank das
lebendige Wasser. G''tt hat mir zu trinken gegeben, er gab mir eine Zukunft:
meinen Sohn und die Zusage, ihm beizustehen. Daß er nicht spurlos vergehe,
dort in –der Wüste, sondern zu einem großen Volk heranwachse. G''tt öffnete
für mich den Raum – ein Zukunft, über mein Leben
hinaus.
Und so konnte
ich zurückkehen – zu Euch!
Es ist nicht
gutgegangen mit uns.
Selbst später,
ja erst recht später, als Du ein eigenes Kind hattest – Isaak.
Mein Kind
– Jischma-El -, das Du so gewollt hattest um jeden Preis – jetzt war es überflüssig,
ja bedrohlich für Dich. Auf gar keinen Fall sollte es die gleichen Rechte
haben wie Isaak. Oben und Unten, Herrschaft und Knechtschaft – das alte Spiel.
So schicktet
Ihr uns weg, mich und mein Kind. Ein Brot, ein Schlauch Wasser - das war alles,
was Ihr noch für mich übrig hattet. Das war bitter.
Sarah:
Nein, ich muß Dir widersprehen. Du tust mir Unrecht. Es
stimmt: bedroht fühlte ich mich, aber das alte Spiel, wie Du sagst, war es
nicht. Erinnere Dich: wie rauflustig Dein halbwüchsiger Isamel war, mit seinen
15 Jahren. Und wie klein und zart mein Isaak war; gerade hatte ich ihn entwöhnt.
Ich hatte Angst um meinen Augapfel, um mein Ein und Alles. Angst, daß Ismael
ihm etwas zu Leide täte, sei es aus Wildheit, sei es, daß Du ihn anstiftetest.
Nicht aus Haß gegen Dich und Deinen Sohn, aus Sorge um meinen Isaak lag ich
Abraham in den Ohren, Dich und Ismael wegzuschicken.
Ich hatte eine dunkle Ahnung, daß Isaak und Ismael nicht
gemeinsam heranwachsen können – daß sie keine gemeinsame Zukunft haben
Hagar:
Und jetzt?
Sarah:
Jetzt sehe ich Dich mit anderen Augen. Es ist kaum vergangen,
da warst Du für mich die fremde Sklavin, die ich gebrauchte, verachtete, die
ich beneidete, die ich wegschickte und die ich vergessen wollte. Jetzt aber
erkenne ich:
Mein
G''tt
ist auch Dein G''tt – G''tt hat uns beide angesehen.
Wir sind und wir bleiben grundverschieden; aber ich muß
nicht mehr auf Dich herabsehen – ich kann Dir in die Augen sehen.
Hagar:
Und Du? Es ist kaum vergangen, da warst
Du für mich die
unnahbare Herrin, der ich gehorchte, gegen die ich mich auflehnte, die ich
beneidete, vor der ich weglief.
Ich bin froh,
daß sich unsere Wege getrennt haben und ich meinen Weg gehen konnte
– durch die Wüste und doch ins Leben.
Und doch bin
ich auch froh, Dich jetzt noch einmal getroffen zu haben. Deine Geschichte
von Dir erzählt zu bekommen. Das was damals war zwischen uns aus
Deinem
Mund zu hören. Zu erfahren, wie Du gefühlt und gedacht hast.
Weißt Du,
ich glaube, dass es nicht nur Neugier war, die mich stehenbleiben ließ als
ich vorhin deine Stimme hörte, die meinen Namen sagte. Es war auch der Wunsch
zu verstehen. Vielleicht etwas zu hören von Dir, was mich wirklich Ruhe finden
lassen könnte über all dem, was wir miteinander erlebt,
einander angetan haben.
Jetzt kann
ich gut weitergehen - und Dich deinen Weg
gehen lassen – ohne Groll. Und ich weiß: G''tt, der nach mir schaut, er verliert
auch Dich nicht aus den Augen.
Amen.