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 Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht
größeres Bild - Oelze Erwartung
Predigt über Lukas, Kap. 21, vv 25-33
2. Advent 2002

Brigitte Gensch

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist,
der da war und der da kommt!


Liebe Gemeinde,

Es braut sich etwas zusammen, dort am Himmel. Gebannt steht die Menschenmenge, gefesselt geht ihr Blick in eine Richtung, hin zum düsteren Horizont, gespannte Erwartung herrscht.
Und da nimmt es nicht Wunder, daß so auch das Bild heißt, welches ich Ihnen heute mitgebracht habe und auf welches wir blicken:  „
Die Erwartung“ nämlich, 1935 /36 von einem Künstler namens Richard Oelze gemalt – das Bild wurde berühmt, der Maler ist heutzutage nahezu vergessen.
Lassen wir uns auf das Bild ein. 
Eine Menge von Menschen hat sich an einem unbewohnten und wüsten Ort versammelt; Städter und Städterinnen sind es, der Kleidung nach zu urteilen:
breitkrempige Hüte, Melone und Pelzmantel sind zu erkennen.
Der Landstrich, da man sich versammelt hat, ist wüst und leer, öde und unbehaust; eine bizarr geformte Baumgruppe in der rechten Bildhälfte versperrt die Sicht, Pflanzen, die wie eine Burg aufragen, eine Natur, zu Stein erstarrt.
Ein flacher Strand trennt das dunkle Meer vom Trockenen des Landes, und schwer lastet der wolkenbedeckte Himmel auf dem Horizont.
Es braut sich etwas zusammen, dort in der Ferne. Eine unheimliche Stille und Lautlosigkeit liegt über der Szene, wie vor einem schweren Unwetter, wie vor einer Naturkatastrophe: die Elementarkräfte halten noch an sich, um im nächsten Augenblick entfesselt zu werden. Und der lauernden Stille der Natur entspricht die bang-angespannte Erwartung der Menschen...

Nun aber endlich lese ich uns den Predigttext für den heutigen Zweiten Advent; er steht im Evangelium des Lukas, Kap. 21, 25-33:

Es braut sich etwas zusammen, am Ende der Zeiten – Jesus sagt es uns an, heute am Zweiten Advent. Merkwürdig, nicht wahr, geht denn unsere Erwartung in der Adventszeit nicht freudig-gespannt auf Weihnachten zu, auf die Geburt Jesu, und richten sich unsere Hoffnungen nicht aufs Nahe und sogar Niedrige, dort im Stall zu Bethlehem? 
Nun aber reißt Jesus unseren Blick weg vom Nahen und orientiert unsere Erwartungen auf die ferne Zukunft. 
Es ist der Jesus, der schon sehr bald das Gericht erleiden wird und den eigenen Tod vor Augen hat, der so zu uns spricht. Er richtet unseren Blick nach vorne auf den wahrhaft Zweiten Advent, auf die endgültige Ankunft des Menschensohnes. 
Das eigene Ende vor Augen, reißt er den Horizont der Zukunft auf, der weiträumiger nicht sein könnte. Der Heiland der Welt reißt die Himmel auf und läßt uns aufs Ende aller Drangsal blicken: wenn aller Welt Elend aufhört und G"ttes Reich anfängt.
Was wird dann sein?

Die Völker werden sich ängstigen, Angst geht um, so bedrückend und panisch, daß etliche sterben oder den Freitod wählen werden. Am Himmel und an den Gestirnen werden Zeichen erscheinen, die Meere toben und über die Ufer treten, das Untere wird sich zuoberst kehren, die obere Himmelsfeste erbeben – doch die Völker sind starr vor Angst, denn sie wissen nicht, wie sie all diese Umwälzungen zu deuten haben. 
Ihre Angst überflutet sie, wie die Meere die Ufer überfluten, ihre Panik jagt sie, wie die Wolken über den Himmel gejagt werden – so wie auf unserem Bild
„Die Erwartung“.
Das ist ja das Tückische an der Angst. Sie zieht uns den Boden unter den Füßen weg, so daß wir ins Bodenlose stürzen und nichts uns mehr hält, und sie hat Macht über uns, weil sie unklar und nebulös ist und uns nichts Konkretes gibt, auf das wir uns einstellen könnten. 
Anders verhält es sich mit der Furcht. Wenn wir uns fürchten, dann haben wir eine konkrete Gefahr vor Augen und können uns darauf einstellen. Die Angst jedoch steigt aus dem Innersten unserer ganzen Existenz auf und hält uns ganz und gar in ihrem Griff. Sicher, wir sagen im Deutschen auch: „ich habe Angst vor der Prüfung“, oder: „Ich habe Angst vor einer drohenden Entlassung“, aber genau besehen meinen wir dann doch das Gefühl der Furcht und nicht die Angst. Achten Sie einmal auf den Unterschied...

Jesus weiß um die Angst der Menschen: „In der Welt habt ihr Angst“, sagt er zu uns, um dann zu trösten: 
„Ich aber habe die Welt überwunden“. 
Er meint es wohl so: wenn ihr nur diese Welt kennt, wenn die Enden dieser Welt die Grenzen eurer Zukunft und eures Hoffens sind, dann müßt ihr wohl Angst haben, so eingesperrt in dieser Welt. Aber mit mir habt ihr doch eine weiter gespannte Hoffnung kennengelernt, die über die Grenzen dieser Welt hinausführt. 
G"tt selbst wird euch entgegenkommen und auf euch zukommen, aus Seiner Zukunft, und sie wird ein Neuer Himmel und eine Neue Erde sein.
So richtet euch doch auf, hebt den Kopf und seht klar, was in der Welt und am Himmel vorgeht und laß euch nicht von der Angst hin- und herscheuchen.
Unterscheidet, seid kritisch, nennt gut das Gute und böse das Böse und laßt euch nicht behexen von dumpfen Ahnungen und ungenauen Zukunftsängsten.
Werdet nicht blind von all dem blendenden Wissen der Zukunftexperten, die euch einmal mit falschen Sicherheiten wiegen und dann wieder ins Bodenlose einer unsicheren Zukunft abstürzen lassen. 
Hebt den Kopf, schaut auf den Feigenbaum und auf alle Bäume, schon schlagen sie aus, schon ist der Sommer nahe.

Mit diesem freundlichen und friedvollen Bild des reifen Feigenbaums ermutigt Jesus die Seinen und so auch uns; verschwunden der dräuende Himmel, verschwunden das tosende Meer und die bange Erstarrung der Menschenmenge.
Vielleicht ist es derselbe Feigenbaum, von dem uns der Evangelist Lukas am vergangenen Buß- und Bettag sprach. Sie erinnern sich, liebe Gemeinde, der dürre und fruchtlose Feigenbaum, den sein Besitzer schon fällen wollte. Doch der Gärtner, der mehr vom Leben des Baumes versteht, er bittet um die Frist eines Jahres. Und vielleicht also hat nun dieser verschonte Baum inzwischen Frucht getragen. Feigen duften und schmecken süß. 
Mit dem Feigenbaum verbinden die Propheten Israels und so auch Jesus die Hoffnung auf eine Zeit des friedlichen Wohnens und der unbedrohten Daseinsfreude. Israel und alle Völker werden „jeder unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum sitzen“, denn Schwerter sind zu Pflugscharen und Lanzen zu Rebmessern umgeschmiedet worden, aller Krieg und auch aller Religionskrieg wurde verlernt – so sieht es der Prophet Micha (Micha 4, 3-5).
Die Frucht der Feige, zum Symbol geworden, weckt die Sehnsucht nach einer wahrhaft angstfreien und lustvollen Sexualität. Und die fruchtlose Bocksfeige besaß eine solche sprengende Wachstumskraft, daß man sie in Mauern einpflanzte, um Mauern aufzubrechen – von daher wurden die Bocksfeigen zum Symbol des christlichen Glaubens.
Und noch mehr an Ermutigung birgt das Friedensbild des Baumes, auf das wir schauen sollen. 
Als wolle Jesus sagen: verrenkt euch nicht die Hälse nach all den himmelsfernen Zeichen, die ihr euch doch selbst nicht deuten könnt, guckt lieber aufs Nahe und achtet auf das, was für euch in Augenhöhe ist. Vertraut auf eure Lebenserfahrung und auf das Wissen, das ihr euren Erfahrungen entnehmen könnt. Ihr seid doch des Lesens kundig, so lest denn an der reifen Natur ab, daß der Sommer gekommen ist.
Der Heiland der Welt reißt die Himmel auf und hinter und jenseits von allem Himmelsgetöse und Meeresbrausen erscheint das Bild des hell-klaren Sommers; unser Blick, eben noch aufs Ferne gerichtet, wird wieder nahsichtig.
Nirgendwann sonst im Jahr ist das Licht so klar und hell wie im Sommer. Deutlich und mit klarer Kontur treten alle Dinge zutage, alles ist gut zu unterscheiden.
Statt der Gewalt einer krachenden Naturkatastrophe und statt des Himmelssturzes versammeln sich die Kräfte der Natur zur Reife und Ernte, auf daß vielleicht doch noch einmal alle satt werden könnten.

Nun werden Sie mich gewiß fragen, liebe Gemeinde, ja welches Bild stimmt denn jetzt? Das Bild der gebannt zum Himmel blickenden Völkerschar, die das Meer sich heben und den Himmel stürzen sieht, oder das Bild und Gleichnis vom Feigenbaum des Friedens und vom Sommer der Reife?
Beide Bilder stimmen. Für den, der über diese Welt nicht hinaus zu hoffen weiß, für den wird in der Zukunft die ganze Welt zusammenstürzen, wenn G"tt kommt. Wer aber auf einen Neuen Himmel und auf eine Neue Erde hofft, für den ist selbst der Herabsturz der Gestirne das Fallen einer reifgewordenen Frucht. Ein gewagtes, ein naives Bild?
Ich sah es jüngst in einem niederländischen Benediktinerinnen-Kloster; eine alte Schwester, die leider nicht mehr lebt, hat es vor vielen Jahren gemalt, im – wie man so sagt - naiven Stil. Man sieht einen großen Baum, und vor blauem Grund fallen gelbe und rote Gestirne, der Mond und die Sonne zu Boden wie die reifen Früchte des Baumes. Das ist naiv.
So naiv und doch so kritisch und so umstürzlerisch wie das Gebet der Miriam, das auch das Magnificat der Maria genannt wird (Lukas 1, 46 – 55):

„Meine Seele erhebt den Herrn, 
und mein Geist frohlockt über meinen Heiland, 
daß er hingesehen hat
auf die Niedrigkeit seine Magd;
denn siehe, von jetzt an werden mich
seligpreisen alle Geschlechter.
Denn Großes hat mir der Mächtige getan
und heilig ist Sein Name,
und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht
über die, die Ihn fürchten.
Er hat Macht geübt mit Seinem Arm;
Er hat zerstreut, die hochmütig sind
in ihres Herzens Sinn;
Er hat Gewaltige
von den Thronen gestoßen
und Niedrige erhöht.
Hungrige hat er mit Gütern erfüllt
und Reiche leer hinweggeschickt,
Er hat sich Israels, Seines Knechtes, angenommen, 
zu gedenken der Barmherzigkeit,
wie er geredet hat zu unsern Vätern, gegenüber Abraham und seiner
Nachkommenschaft in Ewigkeit.“

So also hat das Ende der alten Ordnung schon angefangen, daß nämlich das Niedrige erhöht wird und das Hohe herunter muß.
Amen.

Und der Friede G"ttes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


Predigt für den 2. Advent ( 08.12.02 )

Revidierte Elberfelder Bibel 1992
25 Und es werden Zeichen sein an Sonne und Mond und Sternen und auf der Erde Angst der Nationen in Ratlosigkeit bei brausendem und wogendem Meer,
26 während die Menschen verschmachten vor Furcht und Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen, denn die Kräfte der Himmel werden erschüttert werden.
27 Und dann werden sie den Sohn des Menschen kommen sehen in einer Wolke mit Macht und großer Herrlichkeit.
28 Wenn aber diese Dinge anfangen zu geschehen, so blickt auf und hebt eure Häupter empor, weil eure Erlösung naht.
29 Und er sprach ein Gleichnis zu ihnen: Seht den Feigenbaum und alle Bäume!
30 Wenn sie schon ausschlagen, so erkennt ihr von selbst, da ihr es seht, daß der Sommer schon nahe ist.
31 So erkennt auch ihr, wenn ihr dies geschehen seht, daß das Reich[A] Gottes nahe ist. 
32 Wahrlich, ich sage euch, daß dieses Geschlecht nicht vergehen wird, bis alles geschehen ist.
33 Der Himmel und die Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen


 
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