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"G-tt ist mein Recht"
Predigt über Lk 18,1-8

Erster Sonntag nach dem
9. November
.

Brigitte Gensch

Samuel Bak Ghetto

Kanzelgruß: Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war,
der da ist und der da kommt!

Liebe Gemeinde!

"G"tt ist mein Recht". Davon ist der Evangelist Lukas überzeugt. Und damit will er seine Gemeinde ermutigen, die Christengemeinde dort im damaligen Jerusalem. Denn der Ermutigung bedarf sie, so entmutigt und tief traurig wie sie ist.
Der jüdische Aufstand gegen die Weltmacht Rom ist niedergeschlagen, Jerusalem verwüstet, die Mauern geschleift, der Tempel zerstört. Weil der Tempel ver-loren ist, fehlt der Jerusalemer Gemeinde der frühen Christenheit der lebendige Mittelpunkt. Denn mehrmals täglich kam man dort zum Gebet zusammen und erfuhr G"ttes Nähe; nur ein Gebet weit entfernt war G"tt gewesen, dort im Tempel - jahrhundertelang verhielt es sich so. -- Doch nun: Rom hatte aus der Gemeinde das lebendige Zentrum herausgebrochen. Oder wenn Sie mir den Vergleich gestatten:

Witzhelden wird belagert und eingenommen, das Dorfzentrum verwüstet und Ihre / unsere kleine und schmucke Dorfkirche, in der ich heute zum ersten Mal zu Ihnen spreche, diese kleine Kirche wird niedergebrannt. Mehr noch: nicht nur die Kirche, sondern auch das Gemeindehaus, die Diakoniestation und das entferntere Sozialamt fallen der Zerstörung anheim. Der damalige Tempel nämlich diente nicht nur der geistig-geistlichen Versammlung, nein, dort kam man auch zusammen, um sozial Bedürftige, Arme und Witwen zu versorgen. Bedürftige und Witwen fanden sich ein, um das Lebensnotwendige, ein gutes Wort eingeschlossen, zu empfangen.

Nun aber: wo war denn G"tt? Warum hatte Er nicht eingegriffen, die Katastrophe abzuwenden? Sicher, das Leben ging weiter, irgendwie - doch auch noch mit Sinn?
Warum zögerte G"tt Sein Kommen, Sein Wieder-Kommen; hatte er es nicht versprochen:
Sein Reich zu bringen und den Erdkreis in Gerechtigkeit zu richten?
Mit solchen Fragen müht und ermüdet sich die Gemeinde, zu der der Evangelist Lukas spricht. Natürlich und genauer : nicht Lukas selbst spricht, vielmehr lässt er Jesus erzählen - das Gleichnis nämlich von der beharrlichen Witwe und dem ungerechten Richter.

Einer Witwe ist Unrecht widerfahren. Aus eigener Kraft und Macht wird ihr kein Recht werden, und so wendet sie sich an den zuständigen Richter. Worüber der Rechtsstreit geht, das erfahren wir nicht. Vielleicht sind es Geld- und Erbschafts-angelegenheiten. Vielleicht will sogar die eigene Familie die Witwe um ihr rechtmäßiges Erbe prellen. Vielleicht...
Gewiß aber ist, dass die Witwe im Recht ist und dass der Richter sich sogleich ihrer Sache annehmen müsste - würde er denn die Bezeichnung "Richter" verdienen. Doch unsere mutige Witwe trifft auf einen rechten Richter "Gnadenlos". Hochnäsig, amts- und rechtsvergessen, G"tt- und menschenverachtend. Statt dem Recht zu dienen und zur Geltung zu verschaffen, dünkt er sich über das Recht erhaben. Willkürlich und nach eigenem Belieben wendet er das Recht einmal an, um es ein anderes Mal wieder außer Kraft zu setzen - er, der vermeintliche Herr des Rechtes. - Herr des Rechts aber ist allein G"tt.
G"tt allein ist die Quelle allen Rechts. Der G"tt, von dem uns die Bibel erzählt, liebt das Recht und die Gerech-tigkeit; denn Er will, dass gerade die Schutzlosen vom Recht beschützt werden. Er will, dass eben die, die unter die Räder der Macht und der Gewalt kommen, die Genugtuung und die Entschädigung eines gerechten Urteils erfahren. G"tt liebt das Recht, denn Er ist barmherzig gegen die Schwachen. Weil aber der un-gerechte Richter ohne G"ttesfurcht ist, deshalb verachtet er das Recht und alle, die des Rechts bedürfen.

Die Witwe jedoch bleibt beharrlich, sie beharrt auf ihrer rechten Sache und for-dert immer und immer wieder Zutritt zum Richter:
"Schaffe mir Recht, verhilf mir zu meinem Recht", so liegt sie dem Richter an-haltend in den Ohren, unermüdlich, ohne zu ermüden. Und jetzt geschieht das Unerwartete: der harte Richter gibt nach; widerwillig und um die Sache aus den Augen und aus den Ohren zu haben, steigt der hohe Herr vom Thron seiner Will-kür und beugt sich unter das Recht. So muß, wenigstens für dieses Mal, das Hohe herab, das Niedrige aber wird erhöht - der Witwe wird ihr Recht zuteil.
"G"tt ist mein Recht".

Deutschland im Juli 1937. Ernst Willner wohnt mit seiner Mutter in der Benratherstr.32 in Hilden, einem Stadtteil von Düsseldorf. Ernst Willner arbeitet als Vertreter in der Tabakbranche. Um seinen Beruf auch weiterhin ausüben zu können, muß er die Ausstellung einer sog. Legitimationskarte bei der Hildener Stadtverwaltung beantragen. Ernst Willner ist Jude; und vor der sog. Machtergreifung im Jahre 1933 war er Mitglied im "Reichsbanner", einer Unterorganisation der SPD. Die Stadtverwaltung teilt dem Antragsteller mit, dass sie die beantragte Karte nicht ausstellen werde. Willner erhebt daraufhin Klage beim Düsselsdorfer Bezirksverwaltungsgericht. Im Januar 1938 entscheidet das Gericht gegen Will-ner. Die Klage wird mit folgender Urteilsbegründung abgewisen:
"Da die Legitimationskarte immer für die Dauer eines Kalenderjahres ausgestellt wird, das Jahr 1937 aber inzwischen abgelaufen ist, besteht für den Antrag des Klägers kein Raum mehr. Der Streit wird in der Hauptsache für erledigt erklärt."
Das Gericht fügt noch hinzu, dass übrigens allein die Mitgliedschaft im "Reichsbanner" hinreichender Grund gewesen wäre, die Klage abzuweisen.
Denn der "Reichsbanner" sei eine stark marxistisch eingestellte Organisation, ein Umstand, "der" - so der gestelzte Ton der Urteilsbegründung - "der zu Zweifeln an der Zuverlässigkeit des Klägers Anlaß gibt und die Annahme rechtfertigt, dass er die für die Ausübung des Gewerbebetriebes erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt." Soweit das Gericht.
Ernst Willner gibt nicht auf; er begehrt sein Recht und geht in Revision. Doch auch das Oberverwaltungs-gericht in Berlin entscheidet gegen ihn. Eine fadenscheinige, formaljuristische Begründung bringt Willner endgültig um sein Recht.

9. November 1938: das braune Deutschland feiert wie an jedem 9.Nov. seit 1933 den sog. Marsch auf die Feldherrnhalle von 1923. Nach der offiziellen Feier ver-sammelt man sich auch in Düsseldorf zu einer Nachfeier. Die SA und SS trifft sich im "Deutschen Haus". Das "Deutsche Haus" liegt in der Benratherstraße, etwa 150m von der Wohnung der Familie Willner entfernt. Noch vor Mitter-nacht erhält der Hildener Ortsgruppenleiter Thiele telephonisch den Befehl, "et-was" - wie es später im Vernehmungsprotokoll heißt - "etwas gegen die Juden zu unternehmen".
Um den Pogrom gegen die jüdischen Einwohner in Hilden durchzuführen, wird der SS-Mann Josef Buchbinder gerufen, denn er ist ortskundig und kennt die Ad-ressen der jüdischen Bewohner. Der von Buchbinder zusammengestellte SS-Trupp beginnt sein mörderisches Tun im Hause der Familie Willner. Türen wer-den eingetreten, Fensterscheiben gehen zu Bruch. Das erste Opfer ist Mutter Willner, sie wird erschossen. Der Sohn ist nicht aufzufinden. So kehrt der Trupp später in der Nacht noch einmal zum Haus der Familie Willner zurück. Buchbin-der dringt erneut ins Innere des Hauses ein, dort trifft er auf den verletzten und blutüberströmten Ernst Willner. Buchbinder setzt seinem Opfer die Pistole an die Schläfe und schießt...
So nahm man Ernst Willner zunächst sein Recht und dann sein Leben.
"G"tt ist mein Recht".

Lassen Sie sich, liebe Gemeinde, noch einmal zu unserem Predigttext zurückgeleiten, zu der Ermutigungsrede Jesu, die er an seine müden Freunde und Freundin-nen richtet. Weit und verheißungsvoll reißt Jesus den Horizont der Zukunft auf: G"tt, der Herr und Richter, wird denen, die Er erwählt hat, bald Recht schaffen. Der Menschensohn wird kommen und mit ihm G"ttes Reich des gerechten Friedens.
Wer aber sind die, die G"tt erwählt hat? Wer sind die Auserwählten G"ttes?

Es sind die Menschen, die G"ttes Reich und Gerechtigkeit gewählt haben.
Es sind die, die sich die Hoffnung nicht ausreden lassen, sondern bei ihr bleiben.
Bei der Hoffnung: "dein Reich komme".
Es sind diejenigen, die wie unsere Witwe und wie der Beter unseres Ein-gangspsalmes allem Hohen in den Ohren liegen und rufen:
"Schaffe mir Recht" - der Hohe sei G"tt oder ein Richter auf Erden.
Es sind diejenigen, die aller Verzweiflung und allen wirklichen Nöten zum Trotz an der Hoffnung festhalten, nicht in erster Linie für sich selbst, sondern:
# denen zugute, die keine Hoffnung haben;
# denen zugute, die nicht mehr nach G"ttes Recht rufen können, weil man sie zum Schweigen gebracht hat;
# denen zugute, die alles G"ttvertrauen und allen Gerechtigkeitsglauben ver-loren haben, weil sie schon zulange Gewalt und Unrecht erleiden müssen.
Alle, die G"tt und Sein Recht gewählt haben, all die hat G"tt lieb.

Und deshalb jetzt und zukünftig:
"Marana tha"- d.h. übersetzt: "Unser Herr, komm". Denn es wird Zeit, dass du kommst."

Amen.

Und der Friede G"ttes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

(11.11.2001 - erste Predigt in der Gemeinde Witzhelden)



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