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"Wer des Armen spottet, schmäht dessen Schöpfer" (Lk 16,1-9)

Predigt über Lk 16,1-9

Brigitte Gensch

Gruß: "Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus." (Röm 1,7).

Liebe Gemeinde!

Ein Mann sitzt des Nachmittags auf der Veranda seiner großen Villa. Philoplousios ist sein Name. Wohlgefällig streicht er mit der linken Hand die Falten seines neuen Seidengewandes glatt, das ein wenig über dem Bauchansatz spannt. Sein Blick schweift über die Getreidefelder und Olivenhaine seiner Ländereien, dort in der fruchtbaren Ebene nördlich des Sees Genezareth - wahrlich, ein G"ttgesegnetes Land. Bei klarer Sicht, so wie heute, kann man das westlich gelegene Kapernaum sehen und im Osten, jenseits des Sees, die Steilhänge der galiläischen Berge.

Besonders stolz ist Philoplousios auf seine Nußbäume, die Vorbestellungen aus Syrien reißen gar nicht mehr ab, so versessen ist man dort auf die Früchte. Nicht immer schon war sein Besitz so ausgedehnt wie heute. Sicher, von seinem Vater hatte Philoplousios bereits ein großes Gut geerbt, aber erst die Mißernte vor fünf Jahren spielte ihm die Chance zu, seine Güter zu verdreifachen.

Er lieh hier und dort, gab Darlehen zu Wucherzinsen, verkaufte das knapp gewordene Saatgut zu überhöhten Preisen und trieb so und mit seinen Dumping-Preisen die vielen Kleinbauern in den Ruin. So wie er hielten es auch die anderen Großgrundbesitzer, nun gibt es in der ganzen Gegend keinen einzigen Kleinbauern mehr. Glücklich kann sich nennen, wer wenigstens als Pächter noch den ehemals eigenen Boden bearbeitet, viele aber ziehen als Tagelöhner über Land, etliche gar sind in Knechtschaft und Leibeigenschaft geraten.

So war erfüllt worden, was der Prophet Jesaja angesagt hatte:

"Sie reihen Haus an Haus, rücken Acker an Acker, bis kein Platz mehr ist und sie allein Besitzer sind mitten im Land - doch wehe ihnen" (Jes 5,8; leicht umformuliert).

Ach, die alten Schriften. Aber neuerdings kommen sie wieder in Umlauf und zu Ansehen. Wanderprediger und Sektierer ziehen umher und predigen laut soziale Gerechtigkeit, Schuldenerlaß und Amnestie; etliche der Besitzlosen haben sich zu politischen Banden zusammengeschlossen, Zeloten, d.h. Eiferer nennen sie sich. Vielleicht sollte die römische Herrschaft doch stärker durchgreifen, denkt Philoplousios.

Er beschließt, seine Gedanken wieder angenehmeren Dingen zuzuwenden. Bald werden die ersten Gäste eintreffen, die benachbarten Gutsbesitzer; es gilt, die reiche Ernte zu feiern. Besonders freut sich Philoplousios auf Salome, die Tochter seines besten Freundes Titus. Wie feinste Seide schimmert ihre bronzene Haut, betörend ihr Duft. "Ich muß unbedingt zusehen, daß ich wieder neben sie zu sitzen komme" - dieser Gedanke geleitet Philoplousios sanft in den Schlummer.

Die Party war kein rechter Erfolg, um es genau zu sagen, ein schriller Mißklang beendete sie vorzeitig. Denn nach dem Essen - der schwere Wein hatte die Zungen gelöst - begann einer der Gäste zu sticheln:

"Ei Philoplousios, ein schönes Fest hast du uns da ausgerichtet. Ich fürchte nur, es wird dein letztes sein. Dein Hausverwalter, den du jüngst eingestellt hast, wie heißt er doch gleich, Zedekia oder Zidkijaha oder so ähnlich, dieser Mann bringt dein ganzes Vermögen durch. Hat wohl ein zu weiches Herz, munkelt man, treibt die Pacht nicht rechtzeitig ein, verleiht ohne Zins, verschenkt sogar manchesmal von deinem Geld."

Ein Außenstehender hätte in diesem Augenblick nicht zu sagen gewußt, ob Schames- oder Zornesröte das Antlitz des Philoplousios dunkel verfärbte. Schnell verabschieden sich die Gäste. Noch in derselben Nacht läßt der Gutsherr Zidkijahu, seinen Verwalter, zu sich rufen. Kein Wort der Verteidigung wird ihm gestattet. Stattdessen:

"Du bist fristlos entlassen! Morgen bringst du die Bücher, Urkunden, Schuldscheine und mein Siegel hierher zurück. Und jetzt pack dich, aber hüte dich: ich werde dafür sorgen, daß du nirgends mehr im Lande eine Anstellung als Verwalter findest!".

Bekümmert schleicht Zidkijahu nach Hause. "Wer des Armen spottet, der schmäht desses Schöpfer" - dies Wort des Königs Salomon hatte ihn geleitet bei seinen eher unsystematischen Umverteilungsversuchen, mal hie und da, je nach Situation und Gegenüber. Nun also: der Rauswurf und soziale Abstieg. Aber was hatte er denn anderes erwartet von Philoplousios?

Schon der Name; nomen est omen: Philoplousios - einer, der den Reichtum liebt.

"Sicher, geltendes Besitzrecht habe ich verletzt, was aber wiegt das gegen die Rechtsbrüche meines Herrn?", beginnt Zidkijahu seine nächtliche Selbstunterredung. "Ein Schnäppchenjäger und Konjunkturritter war er von jeher. Gegen G"ttesrecht verstößt er, nimmt Zins für Geborgtes, obwohl G"tt es durch Mose verboten hat. Jede Laune des Marktes nutzt er zu seinem Vorteil, obwohl unsere Lehrer anordneten: wenn jemand seinem Nächsten einen Kor,
das sind 400l, Weizen borgt und der Preis fällt, dann erhält der Gläubiger den Weizen zurück und erleidet also keinen finanziellen Schaden. Steigt aber der Preis, dann erhält er den ursprünglichen Geldwert zurück, und so erleidet der Schuldner keinen finanziellen Schaden (Baba Mezia, 74b-75b)."

Zidkijahu wir bitter: "Ein schönes Recht haben wir da; schade nur, daß niemand ihm zur Durchsetzung verhilft. Philoplousios und all die anderen Zinsnehmer und Wucherer bleiben straffrei. G"tt, der HERR, wird ihr Richter sein, trösten unsere Weisen. Warum nur zögert ER SEIN Kommen?"

`Dein Wille geschehe - wie im Himmel so auf Erden´ - wo hatte Zidkijahu das nur gehört? Er besinnt sich: als er jüngst die Synagoge in Kapernaum aufsuchte, predigte dort ein junger Rabbi aus Nazareth, Jeschua war sein Name. Wie virtuos er die Propheten auslegte!

Von G"ttes großer Amnestie hatte er gesprochen und von der geringeren, die die Menschen einander schuldeten. Ein Erlaßjahr sogar hatte er angekündigt, da alle Sklaven freikommen und die Schulden erlassen werden sollen. All das sprach Zidkijahu aus dem Herzen. Sein Blick fällt auf das gutsherrliche Siegel und er faßt einen Plan:

"Beim Geld hört die Freundschaft auf, sagt man, ich will es anders angehen. Meine Freundschaften fangen jetzt erst an. Gleich morgen früh...."

Liebe Gemeinde!

Um welchen Plan es sich handelt, sagt uns der - solange zurüchgehaltene - Predigttext für den heutigen Sonntag; er steht bei Lk im 16.Kap., Vers 1-9.

Wohl den Armen, die einen solchen Verwalter zum Anwalt haben, möchte man da ausrufen. Noch immer durch Gesamtprokura und Siegel bevollmächtigt, betreibt unser Verwalter einen umfassenden Schulden- und Zinserlaß, nun eben systematisch. Denn er läßt jeden einzelnen Schuldner rufen und erläßt ihm genau den Schuldenanteil, den der reiche Gutsbesitzer unrechtmäßigerweise erhoben hatte. So setzt er G"ttesrecht durch, und deshalb lobt ihn G"tt, der HERR.

Aber das ist nur der eine Grund für G"tteslob. Einen weiteren erfahren wir:

Klug habe er gehandelt, klüger als die "Söhne des Lichts". So nennen sich selbst die Essener, eine jüdische Sekte, angesiedelt im Gebiet von Qumran. In klösterlicher Weltabgeschiedenheit sind sie vornehmlich mit der Pflege ihres salvierten Gewissens beschäftigt, aber ihre Weste ist gar so weiß nicht - gerade weil sie sich die Hände nicht beschmutzen wollen, weil sie sich nicht einmischen und weil sie `dem Rad nicht in die Speichen greifen´ wollen.

Stattdessen: macht euch bekannt mit der Welt der Ökonomie, mit all ihren Widrigkeiten, Gemeinheiten und Fallstricken, aber auch mit ihren Chancen.

Prüft diese Welt sorgsam, ob ihre Gesetze vor G"ttes Recht und Weisung bestehen können. Bereitet G"ttes kommender Gerechtigkeit die Wege - jetzt!

Und: Seid parteilich!

"Wer des Armen spottet, schmäht dessen Schöpfer."

Dem Evangelium des Lk können wir entnehmen, wie solche Parteilichkeit in konkrete ökonomische Phantasie übergeht: vergebt einander Schulden, leiht auch denen, die nichts zurückzahlen können (6,30.34), schreibt Schuldscheine kreativ um (16,6ff.), verkauft Besitz zugunsten der Armen, erstattet betrügerisch erworbenen Gewinn vierfach zurück (19,8).

Auf einer Straße in Manila trifft Anita, eine Philippinin, auf Hans, einen Mann aus Deutschland:

"Herr, wollen Sie mir dieses Hemd abkaufen? Es ist gut genäht und außerdem sehr billig."

"Zeig her. Tatsächlich. Was verlangst du dafür?"

"5 Dollar"

"Ich gebe dir 4. Aber ich kann dir einen Kredit verschaffen, damit du dir eine moderne Nähmaschine kaufen kannst. Dann kannnst du in der gleichen Zeit 4 Hemden nähen und 20 Dollar verdienen."

"Danke, Herr."

Einige Zeit später:

"Herr, hier sind 4 Hemden . Die neue Maschine ist wirklich wunderbar."

"Ich kann dir leider nur 2 Hemden abkaufen. Ich habe keine Kunden dafür."

"10 Dollar, bitte."

"Ich kann dir keine 10 Dollar geben, sonst kaufe ich die Hemden in China. Dort
kosten sie nur 2 Dollar das Stück. Mehr zahle ich dir auch nicht. Von den 4 Dollar muß ich dir leider einen für die Kreditzinsen abziehen. Du mußt fleißiger nähen, denn im nächsten Jahr mußt du mit der Kreditrückzahlung beginnen."

1 Jahr später:

Hans braucht keine Hemden mehr. Anita verkauft ihre Hemden zu 1 Dollar das Stück an eine Handelskette; die Nähmaschine ist verpfändet. Die Schulden sind geblieben....

Wohl den Armen, die kluge Hausverwalter zum Anwalt haben, aber Wehe uns Reichen, wenn wir nicht anfangen, unseren Besitz zu teilen. Einen anderen Fürsprecher als unseren Herrn, Jesus Christus, haben wir nicht - der aber zählte sich selbst unter die Armen.

Komm, Herr Jesus - denn es wird Zeit, daß du kommst.
Amen.

Kanzelsegen: "Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus." (Phil 4,7).

Amen.

(vorletzter So des Kirchenjahres, 14.11.99)


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