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Entblößt

Predigt zu Lukas 23

vv 33-49

 

 

 

 

Brigitte Gensch

 

 

G''ttesdienst zum Karfreitag [25.03.05]
in der Kirchen-Gemeinde Hürth

 

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist,
der da war und der da kommt! Amen.

Liebe Gemeinde,

Entblößt“ – so lautet der Titel des Bildes, das ich Ihnen für den heutigen Karfreitag mitgebracht habe. Georg Meistermann, Maler und Dichter, hat es als eine Kreuzwegstation gestaltet. Ein Hemd, aufgespannt und mit nach oben abgewinkelten Schultern, leere Ärmel; drei Würfel hingeworfen, ein sichelschmaler schwarzer Schatten, der von der rechten Seite kommend bald das ganze Kreisrund überziehen wird.

„Entblößt“ ist der Körper, den das Bild nicht zeigt, aber auf den das Kleidungsstück verweist. Obgleich abwesend ist der entblößte Leib anwesend, wir wissen darum, wir haben es gehört:

„Und als sie an den Platz kamen, welcher Schädel heißt, kreuzigen sie dort ihn und die Verbrecher, den einen zur Rechten, den anderen zur Linken...Sie aber warfen das Los, um seine Kleider unter sich zu verteilen. Und das Volk stand da und schaute zu.“

Mit einfachen Worten, sehr schlicht und undramatisch, wie ein nüchterner Chronist beschreibt Lukas das Geschehen auf Golgatha. Menschen werden hingerichtet, unter ihnen auch Jesus. Das wenige, was von ihm blieb, seine Kleidung, wird wie Beutegut verteilt. Ein Hemd und drei Würfel, aber keine Menschen sind zu sehen. Aber es waren Menschen, die um das letzte Hemd des Opfers spielten, ein Spottspiel, grausam. Es war nicht das erste, das sie mit ihm spielten. Zuvor schon hatten sie ihn geschlagen und verspottet, fanden es amüsant, ihm eine Dornenkrone aufzusetzen. Es reichte nicht, ihn nur hinzurichten, nein sie zogen noch einen Lustgewinn aus seinem Leiden. Was sind das für Menschen?

Eine doch naheliegende Frage, nicht wahr? Aber es kam keiner daher, so zu fragen:

„Was seid ihr nur für Menschen?“

Es kam keiner, um einzuschreiten, an die Seite des Opfers zu treten, keiner, der Einhalt gebot, parteilich wurde. Es wäre auch die Ausnahme gewesen, damals und bis auf den heutigen Tag. Und es war und ist wahrlich nicht immer die viel behauptete Angst, selbst drangsaliert zu werden, die die menschliche Solidarität so rar macht. Warum reicht unser Interesse sooft nicht über die Grenzen der eigenen Person? Warum sind wir nicht interessiert, d.h. von „inter-esse“ ja wörtlich genommen da-zwischen-sein? Warum gehen wir so ausnahmsweise nur dazwischen? Gucken weg oder stehen von ferne. Und wenn wir hinzutreten, dann aus Neugier, wenn nicht sogar noch aus anderen Motiven.

Was sind wir für Menschen?

„Und das Volk stand da und schaute zu.“

Es hat sich nicht geändert bis auf den heutigen Tag: Hinrichtungen anzugaffen, gehört zu den Abgründen der menschlichen Natur. Zu den Hexenverbrennungen der frühen Neuzeit strömte eine gierige Menge; mit Angstlust drängte sich das Volk zu den Guillotinierungen des revolutionären Frankreich. TV-Übertragungen von Hinrichtungen sind in den Vereinigten Staaten, doch immerhin eine zivilisierte Nation mit einer langen Tradition der Menschen= rechte, ein Publikumsmagnet.

„Und das Volk stand da und schaute zu“:

 Als 1938 hier in Deutschland nicht nur die Synagogen brannten, sondern Menschen geschlagen, gedemütigt, verschleppt wurden, Juden und Jüdinnen, die eben doch noch Nachbarn und Bürger waren, da rührte sich kaum eine helfende Hand und erhob sich nur vereinzelt eine Stimme für sie – man stand da und schaute zu, wenige nur mit wenigstens innerer Abscheu, viele in Gleichmut, ja stummer Genugtuung und Häme.

Daß das Recht es mit der Stärke und den Starken hält, scheint ein geschichtliches Gesetz, das deshalb so ehern ist, weil es sich immer wieder verwirklicht und so selten nur durchbrochen wird. Die Logik der Sieger und der Siegertypen spricht so:

„Andere hat er gerettet; er rette sich selbst, wenn er der auserwählte Gesalbte G“ttes ist.“

Wer sich nicht retten kann oder gerettet wird, der ist eben nicht im Recht.

Und so hat das Opfer zum Leid auch noch Unrecht, ist zu Recht ein Opfer.

Ausgemacht auch, daß G“tt auf der Seite der Sieger steht. Und wohl deshalb wird der biblische G“tt, der G“tt Israels und Vater Jesu Christi, in dieser Welt nicht mehrheitsfähig, weil Er sich verweigert, den Mächtigen an die Seite zu treten - vielmehr in die Abgründe des Scheiterns mit hinabgeht und die Machtlosigkeit vermag.

Macht erhält sich und Sieger bleiben obenauf, weil es genug derjenigen gibt, die mittun, mitlaufen, mitsiegen, wenigstens ein bißchen. So wie die feixende und würfelnde Soldateska. Kein Herr ohne Knechte. Aber weil es die Knechte zu kaum einer anderen Hoffnung als zu der bringen, selbst einmal Herren zu sein, endet das grausame Spiel nicht.

 

In der Mitte der Szene der Entblößte, Machtlose, mit nichts angetan als mit seinem G“ttvertrauen und mit seiner Liebe, immer noch. Er stirbt und bleibt doch zugewandt denen, die um ihn sind. Er stirbt nicht wortlos, kein stummes Opfer, sondern eines, das seine ganze Umgebung auf sich bezieht, sich auf alles und alle um ihn herum bezieht. Wer und was sie sind, wird an ihm deutlich, mit und ohne seine Worte.

Sein erstes Wort:

„Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

Nicht ein blutiges Opfer, vielmehr eine Fürbitte, Jesu Fürsprache verbindet sich mit G“ttes Versöhnung. Seine Bitte eröffnet Raum, spannt und hält ihn auf, daß Vergebung sein kann. Wer auf ein Dort, ein Jenseits der Schuld verwiesen ist, kann auf das Getane zurückkommen: es sehend, annehmend, bereuend.

Der Machtlose in der Mitte schafft Raum: Raum für G“ttes Vergebung, Raum, sich zur eigenen Schuld zu verhalten, Raum umzukehren.

Jesu Bitte verhilft so dem einen der beiden Übeltäter, seiner Schuld ansichtig zu werden. Der Verurteilte gewinnt Abstand zu sich, ohne sich zu verlieren. Zwischen sich und die angenommene Tatschuld erbittet er einzig das Gedächtnis Jesu, das wäre ihm alles zur Seligkeit. Es wäre die unendlich kleine und unendlich große Differenz zwischen Tat und Person: mehr und anders als die Summe der Taten zu sein. „Gedenke meiner, wenn du in dein Königreich kommst!“ „Nimm mich mit in deine Zukunft, dann habe ich Zukunft.“

Er überläßt sich und alles Seinige dem, der auch für ihn um Vergebung gebeten hat; gibt sich auf und in die Hände eines Anderen, so wie auch Jesus es tut: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist“.

Und ist frei: frei von der geschlossenen Innerlichkeit, die - sei es in Zerknirschung, sei es in Selbstrechtfertigung - immer im Banne der vergangenen Schuld gefangen bleibt. Deshalb kann Jesus diesem der beiden Mitgehenkten zusagen:

„Amen, ich sage dir: heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“

Dort, wo uns ein Anderer, ein ganz Anderer von jenseits unserer Taten her ansieht.

Und da ist der andere Täter, der sagt:  

„Bist du nicht der Gesalbte? Rette dich und uns!“

Einer, der den weiten Raum der Vergebensbitte nicht zu nutzen weiß, nicht in ihn eintritt, sondern im Zynismus eingeschlossen bleibt.

Immerhin, eine Bitte um Rettung stößt er aus. Aber da er nicht ganz in sie eingeht und nach zwei Seiten hin laviert – G“tt gibt es wohl nicht, aber es kann nicht schaden, es mit Ihm nicht zu verderben – antwortet Jesus ihm nicht.

 

Um die Achse seiner Fürbitte zur Rechten und zur Linken sind zwei Schuldige versammelt, die verschieden auf ihre Schuld sich beziehen.

Zwei Täter, die zu Opfern geworden sind.

Sind alle Täter auch Opfer?

„Denn sie wissen nicht, was sie tun!“

Nicht ganz unmöglich, dies Wort, mit dem Jesus seine Fürbitte begründet, als einen allgemein entschuldenden Satz zu verstehen, der die Grenzen zwischen Tätern und Opfern einreißt, weil die Täter Opfer ihrer Unwissenheit geworden sind.

 

Lesen wir ihn, liebe Gemeinde, anders, lesen wir ihn kritisch, nämlich macht-und siegerkritisch, also biblisch. Es ist ein demütigender und darin befreiender Satz. Der Tatstolz der Menschen, unser Tatstolz, wird hier gebeugt, gedemütigt; denn wir wissen nicht um die Tiefendimension und die Ganzheit der Folgen unseres Tuns. Wir können es nicht ausloten, weder vor noch nach dem Handeln, was wir anrichten, was alles wir auf den Weg bringen. Wir sind nicht Herr oder Herrin im eigenen Haus, weder wissen wir um die Motive unseres Tuns in der gleichen Klarheit, die zu sehen wir behaupten, noch wissen wir, wie sich unser Tun mit der komplexen Wirklichkeit verschlingt.

Jesu Wort stürzt uns in eine Krise, denn es ist ein Wort, das uns entmächtigt, aus der Zentralperspektive unserer Selbstsicherheit entrückt. Es ist ein Wort, das uns erschrecken kann, erschreckt: wir haben mehr und anderes getan, als wir zu tun glaubten. Es führt uns ins Dunkle unserer unaufgedeckten Schuld.

Es ist ein uns überführendes Wort im doppelten Sinne:

wir werden mit der Tiefendimension unseres Tuns konfrontiert, ins Dunkle geführt und doch auch wieder hinausgeführt, weiter mitgenommen dorthin, wo Vergebung zugesprochen wird. Von dort kommen wir auf unser Dunkel zurück, um es mit G“ttes Hilfe aufzudecken

Dietrich Bonhoeffer, dessen 60. Jahrestages seiner Ermordung wir in einem Monat gedenken, schrieb in seiner Gefängnisschrift „Widerstand und Ergebung“:

„Wenn Jesus Sünder selig macht, so waren das wirkliche Sünder, aber Jesus machte nicht aus jedem Menschen zuerst einmal einen Sünder. Er rief sie von ihrer Sünde fort, aber nicht in ihre Sünde hinein.“

Von rechts her breitet sich der schwarze Schatten nach und nach über das ganze Rund. Bald wird er zunächst das Hemd und dann die Würfel bedecken – und dann wird dem Sterben das Ende bereitet sein.

„Und es war schon ungefähr die sechste Stunde, da kam eine Finsternis über die ganze Erde bis zur neunten Stunde, da die Sonne erlosch.“

Die Dunkelheit nimmt zu, bis sie alles bedeckt. Eine Finsternis, wie ein Zeichen der Trauer für eine Menschheit, die sich im Nichtwissen ihres Tuns verstrickt hat; deren unaufgedeckte Dunkelheiten nun endlich zutage treten und alles Licht auffressen. Nun sind unsere Dunkelheiten unausweichlich geworden. Wir bewegen uns deshalb auf die Wahrheit zu.

Mitten in die ausgespannte Dunkelheit hinein bekennt der Hauptmann seine

Menschenkenntnis:

„Dieser Mensch war wirklich ein Gerechter.“

Mitten in der Dunkelheit ereignet sich Wahrheit.

Mitten in der Dunkelheit schlagen sich die Menschen an die Brust, die Geste ihrer Reue, denn sie sehen ins Dunkle ihrer Schuld. Sie sehen ihre Schuld erstmals an, in sie hineinsehend, sie einsehend – und dann kehren sie zurück. Ganz und gar doppeldeutig drückt sich Lukas zum Ende seiner Kreuzigungsschilderung aus. Unter der drückenden Last der Sonnenfinsternis schleichen sie nach Hause, einerseits; aber ihre Rückkehr bedeutet auch, daß sie umkehren und sich abkehren: von ihrer Gleichgültigkeit, ihrer Häme, ihrem Mitläufertum.

 

Das grausame Schauspiel ist aus. Über alle ist der Schatten der Schuld gekrochen, da steht niemand á part, beiseite.

Es bleiben ein Kleidungsstück und drei Würfel zurück, stumme Zeugen des Geschehens, die auf das verweisen, was und wer da entblößt wurde.

Stumme Zeugen sind auch die Freunde Jesu und die Frauen, von denen es heißt, daß sie von ferne stehen und das Geschehen betrachten. Selbst die Nächsten halten auf Abstand. Menschenverlassen, menschenentblößt ist der Gekreuzigte.

So fern die Nahen, in Seiner Ferne aber nah:

der Ewige, nicht ferner als der Gebetsruf:

„Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“

Amen.

 


Liturgie der Predigt


erstellt am
29.03.2005

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