Gnade sei mit euch und Friede von G"tt,
unserem Vater,
und dem Herrn Jesus Christus!
Liebe Gemeinde!
Fürwahr, ein
wuchtiger Predigttext: mit mächtigen, gebieterischen Sätzen
will er uns, die Mitangesprochenen, vom Tod ins Leben hinübertreiben,
ja hinüberjagen.
Einen
Einwand, ein zweifelndes "Ja, aber" kennt unser
Text nicht. Zwar häuft er Anrede auf Anrede, doch merkwürdig:
mit einem Gegenüber, das ins Gespräch kommen möchte,
vielleicht auch widersprechen könnte, mit einem Dialog
also will der Schreiber des Briefes hier nicht rechnen.
Stattdessen überschüttet er uns mit einer Fülle von
Perfecta: ihr seid erfüllt in Christus, ihr seid
beschnitten, begraben in der Taufe und auferweckt, ihr
seid lebendig gemacht und befreit von aller Schuld
alles Wesentliche , alles, worauf es überhaupt ankommt,
ist bereits passiert. Worüber also noch diskutieren?
Wer so
stolz schreiben kann, muß seiner Sache, seines Glaubens
sehr sicher sein.
Gleichwohl:
so selbstbewußt das alles auch klingt, es verweist und
dokumentiert eine Krise. Nicht irgendeine Krise, sondern
die Krise der Osterbotschaft. Daß G"tt Jesus auferweckt
und dem Tod die Macht entwunden hat, daß Leben - gutes
Leben ins Leben gekommen ist, noch vor dem
physischen Tod, vor dieser Botschaft ist die Gemeinde in
Kolossä zurückgewichen. Ihre kolossale Welt- und
Daseinsangst vermochte die frohe Botschaft nicht zu überwinden.
Bang und
angstvoll, ja geängstigter denn je zuvor ziehen sich die
Kolosser in ihre alten Weltanschauungen und Philosophien
zurück. Dort suchen sie die Sicherheit, die zu verlieren
sie so sehr ängstigt.
Aber haben
sie nicht recht mit ihrer Angst, die Kolosser?
Das leere
Grab: "Jesus von Nazareth, der Gekreuzigte, er ist
nicht hier, sondern auferweckt worden" darauf
reagieren die Menschen mit blankem Entsetzen, Unverständnis
und zitternder Angst. Alle Evangelisten bezeugen es uns
so.
Angst,
Resignation und Rückzug auf bewährte Deutungsmuster:
das ist auch die Situation der Gemeinde in Kolossä, auf
die der Verfasser unseres Briefes reagiert, er sei nun
Paulus oder einer seiner Schüler.
Wir wissen
nicht genau, mit welchen Sicherheitsstrategien die
Kolosser ihre Angst zu bewältigen suchten, aber einige
Hinweise gibt uns der Kolosserbrief doch. Von
Weltweisheit und leerer Täuschung, von Tradition und
Naturmächten, Elementenspekulation und Engelsverehrung,
von astronomischen und astrologischen Berechnungen,
allerlei asketischen und mystischen Praktiken spricht der
Brief, wenn auch nur andeutungsweise.
G"ttes
befreiendes Handeln und den gerade aus dem Tode befreiten
Christus sperrt die Weltweisheit der Kolosser in ein
philosophisches System ein, wohlgeordnet und wohlgestuft.
Den Himmel und seine Gestirne beobachtend, auf die
Regungen der Erde und aller Elemente lauschend, berechnet
man die je nächsten Schritte. So versichert man sich der
Aufstiegsmöglichkeiten in einem System, dessen Spitze
irgendeine vage Christuserkenntnis ist.
Statt G"tt
aufs Wort zu trauen, verläßt man sich doch lieber auf
die Klugheit eigener Berechnung. Statt mit Christus in
die Tiefe abzusteigen, steigt man doch lieber auf der
selbstverfertigten Erkenntnisleiter aufwärts. Statt sich
von Christus überall und in allem angehen zu lassen,
ordnet man ihn doch lieber den anderen Mächten bei: so
hat er Konkurrenz, und man ist seine Unbedingtheit los.
Aber sind
es wirklich nur die Kolosser, die da vor der Nacht des
Taufgrabes in die Taghelle der Vernunft zurückweichen?
Sind nur sie es, die vor dem Angesicht G"ttes in
irgendein Bindestrich-Christentum zu fliehen suchen?
Vermögen
wir in den Sicherheitsbedürfnissen der Kolosser unsere
eigene G"ttes- und Freiheitsangst zu erkennen wie
in einem Spiegel?
Liebe
Gemeinde,
vielleicht
müssen wir unsere jährlich sich wiederholende Routine,
Ostern zu feiern, einmal beiseitestellen, zusammen mit
all der glättenden und beschwichtigenden
Theologensprache auch so ein Sicherheitssystem.
Vielleicht spüren wir dann auf, warum die Osterbotschaft
in Krise und Angst zu stürzen vermag.
Die ersten
christlichen Gemeinden jedenfalls, und zwar die aus
geborenen Heiden, waren der umstürzenden Wucht des
Osterzeugnisses unmittelbar ausgesetzt. Denn das Zeugnis
von Jesu Leben, Tod und Auferweckung traf sie ins Mark
ihrer heidnischen Existenz. Sie, denen bisher ein
harmonischer Pantheon von Gottheiten Weltvertrauen und
Heimat gab, werden nun mit dem Einen G"tt Israels
bekanntgemacht. Aber nicht der Wechsel von den vielen Göttern
zu dem Einen G"tt, also der Wechsel vom sog. Polytheismus
zum Monotheismus ist entscheidend. Gebrochen wird die
heidnische Existenz, weil der G"tt Israels den Bruch mit
dem eigenen Vater- und Mutterhaus, mit den bisherigen
vertrauten Familien- und Freundschaftsbeziehungen
fordert, von Abraham an. Nicht um die Kleinigkeit eines
bloßen religiösen Bewußtseinswandels ist es zu tun,
sondern darum: von der vertrauten Lebenswelt ganz sich zu
verabschieden, auszuziehen und sich einem fremdem Volk,
Israel nämlich, zuzuwenden. Wer dem Juden Jesus anhängt
und nachfolgt, erleidet die Fremde, und zwar gleich
zwiefach. Ein den Heiden von Haus aus fremder G"tt tritt
ihnen da entgegen, ohne Gestalt, nur mit Seinem Namen und
mit Seinem Wort. Und einem fremden Volk, den Heiden fremd
nach Geburt, Kultur und Religion, dem Volk dieses fremden
G"ttes, werden sie zugesellt.
Und eine
solch doppelte Entfremdung, ein solches Fremdwerden der
eigenen Existenz sollte nicht zutiefst schrecken?
So ist es
also ganz zutreffend, wenn Paulus und seine Schüler die
Taufe mit Tod und Grab vergleichen. Denn öffentlich vor
der Welt wird der alte heidnische Leib ertränkt, "ersäuft",
wie Luther sagte.
Der
Verfasser unseres Briefes gebraucht allerdings ein
anderes Bild. Er vergleicht das Taufgrab mit der
Beschneidung. Jedoch eine Beschneidung der besonderen Art:
sie geschieht nicht wie die jüdische Beschneidung
mit den Händen und einem kleinen Messer nur an
der Vorhaut des männlichen Gliedes. Sondern sie ist so
total und radikal, daß unser Verfasser sie das "Ausziehen
des Fleischesleibes" nennen kann.
"Und
in Christus seid ihr auch beschnitten worden mit einer
Beschneidung, die nicht mit Händen geschieht, durch das
Ausziehen des Fleischesleibes in der Beschneidung
Christi; indem ihr mit ihm begraben worden seid in der
Taufe."
Was soll
das nun bedeuten? Die Anweisung zur physischen Verstümmelung
oder die Aufforderung, den Leib zugunsten irgendeiner
spirituell-geistigen Existenzform abzutöten? Das wäre
die falsche Alternative und wenn ich so sagen darf
ein fast zu harmloses Entweder-Oder. Denn beides, Geist
und Leib, die ganze Existenz soll von G"ttes kräftigem
Wort durchgearbeitet werden. Alle unsere Interessen,
Neigungen bis hinab in die tiefste Triebstruktur sollen
von G"tt angegangen sein.
"Der
HERR tötet und macht lebendig, Er stößt in die Grube
und führt hinauf" so betete die fromme
Hanna. Eben: die Grube spart G"tt uns Christen und
geborenen Heiden nicht, kann sie uns auch gar nicht
sparen. Zu vieles paßt Ihm noch nicht an uns, zu vieles
ist dem G"tt Israels noch an uns fremd so
gegenwartsselig, schicksalsergeben und naturhörig wie
wir sind.
Also: ohne
den Tod vor dem Tod werden wir Ihm nicht recht, dann
aber, nein im selben Augenblick macht Er uns lebendig und
bekleidet uns mit dem neuen Leib Christi. Der
beschnittene Jude Jesus Christus, der uns in der Nacht
des Taufgrabes nicht allein läßt, er geleitet uns auch
im neuen guten Leben. Er befreundet uns allmählich mit
seinem Vater, dem fremden G'tt Israels, und mit seinen jüdischen
Geschwister, dem fremden Volk Israel.
Aber da
sind noch zwei weitere Bilder, mit denen unser
Briefschreiber seinen geängstigten Kolossern G"ttes
befreiende Kraft vor Augen malt.
"Auch
euch, die ihr tot ward durch die Übertretungen und durch
die Vorhaut eures Fleisches, euch hat er mit Christus
lebendig gemacht, nachdem er uns alle Übertretungen
vergeben hatte dadurch, daß er die gegen uns lautende
Urkunde austilgte; und er hat sie aus dem Wege geräumt,
indem er sie ans Kreuz heftete."
Eine
Gerichtsszene: ein Schuldschein liegt auf dem Tisch;
Urkunden werden verlesen; Punkt für Punkt unsere Verstöße
aufgelistet; die Waage neigt sich: das wenige Gute, das
wir vorzubringen haben, reicht nicht zum Ausgleich. Wir
werden verurteilt. Da kommt ein Fremder, nimmt
Schuldschein, Anklageschrift und Urteil hinweg und heftet
alles ans Kreuz. Das Kreuz als Pin-Wand: Vergeben, aber
nicht Vergessen. Jeder und jede kann frei die eigene
Schuld und die des anderen ansehen, ohne Scham und ohne Häme.
Die Stolpersteine einer schuldhaften Vergangenheit, an
die unser Fuß immer wieder stieß, weggeräumt sind sie;
wir können wieder frei ausschreiten. Zerbrochen der
Teufelskreis aus Verdrängung und Wiederholung.
"Nachdem
er die Gewalten und die Mächte gänzlich entwaffnet
hatte, führte er sie öffentlich zur Schau auf und
triumphierte in Christus über sie."
G"tt als
Revolutionär, die Weltordnung stellt Er auf den Kopf.
Pikanterweise bedient sich G"tt derselben
Prozessionweise, mit der sonst die Imperatoren und
Siegermächte prunken. Er bedient sich des römischen
Triumphzuges. Was eben noch Rang und Abzeichen hatte, was
seine Herrschaft sei es mit List und Tücke, sei es mit
der Gewalt des Geldes und der Waffen eben noch
durchsetzte, das geht nun im langen, schleppenden Zug der
Kriegsgefangenen einher entwaffnet, bar jeder
Herrschaft, entblößt. Der eben noch verlacht,
verspottet, geschlagen und ans Kreuz genagelt war,
Christus nämlich führt die Machthaber der Erde vor; in
ihm triumphiert G"tt über alle Seine Feinde. Die Armen,
Unterdrückten und Entrechteten sehen es mit Staunen
ob sie schon zu jubeln wagen?
Liebe
Gemeinde,
der alten
Kirche war der erste Sonntag nach Ostern wichtig genug,
daß sie ihm einen eigenen Namen gab: Quasi modo geniti
infantes, d.h. zu deutsch : wie neugeborene Kinder. Der
Verfasser des ersten Petrusbriefes spricht so von den
Neuchristen, die mit der Taufe in der Osternacht
zahlreich geboren wurden. In ihren weißen Taufgewändern
zogen die Neugetauften eine ganze Woche lang von Kirche
zu Kirche, jeden Tag machten sie Station bei einer
anderen Kirche.
Am 8.Tag,
dem ersten nachösterlichen Sonntag, vertauschten sie die
Taufgewänder mit ihrer Alltagskleidung. Die
altkirchliche Gemeinde empfing die neugetauften Christen
an diesem Sonntag so:
"Wie
neugeborene Kinder verlangt ihr nach der vernünftigen
lauteren Milch, damit ihr durch sie zunehmt an eurem
Heil, da ihr ja geschmeckt habt, daß der Herr freundlich
ist" (1.Petr. 2,2f.).
Und zu
diesem Introitus trat dann der Jubelruf aus einem Psalm
hinzu, es ist der Psalm 81:
"Lobet Gott, der unsere Stärke ist, jauchzet dem
Gott Jakobs zu (2)."
Und weiter heißt es:
"
Ich habe deine Schultern von der Bürde befreit, deine Hände
sind des Tragkorbes ledig (7). Du riefst in der Not, und
ich riss dich heraus (8). Ich, der Herr, bin dein Gott,
der dich heraufführte aus dem Lande Ägypten. Tue weit
deinen Mund auf, so will ich ihn füllen (11)."
Die
lautere vernünftige Milch der Exodusgeschichte gibt man
also den wie neugeborenen Heidenchristen zu trinken,
ihnen zur Stärkung; dort drüben am anderen Ufer des
Todesmeeres. Ihre ersten Gehversuche, das österliche
Leben Alltag werden zu lassen, führen sie Israels G"tteslob
entgegen:
"Lobet Gott, der unsere Stärke ist, jauchzet dem
Gott Jakobs zu."
Amen.
Und der Friede G"ttes, der höher ist als
alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus
Jesus.
Amen.
*
Quasimodogeniti
- so lautet der Name des Sonntags nach
Ostern in der evangelischen Kirche.
Quasimodogeniti heißt übersetzt: Wie die neu
geborenen Kinder.
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