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Nur ein Gebet weit ist G-tt entfernt

Predigt zum Brief
des Jakobus 5,13-16

 

Brigitte Gensch

 

G-ttesdienst für den 10.4.05 in der KG Efferen
(misericordias dei)

jan steen kranke frau 17.jh

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war
und der da kommt.

 

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im
Brief des Jakobus, Kap. 5, VV. 13-16:

13 Leidet jemand unter euch, so bete er; ist jemand guten Mutes, so singe sie

     einen Lobgesang.

14 Ist jemand unter euch krank, die rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde,

    daß sie über ihr beten und sie salben mit Öl im Namen des Herrn.

15 Und das Gebet des Glaubens wird der Kranken helfen, und der Herr wird

     sie aufrichten; und wenn sie Sünden getan hat, wird ihr vergeben werden.

16 Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, daß ihr gesund

     werdet. Die Bitte eines Gerechten vermag viel, wenn sie ernstlich ist.

 

Liebe Gemeinde!

Frau K. trifft Frau B. im Supermarkt: „Guten Tag, Frau B. Wie geht es denn so?“ „Ach, nicht so gut. Mein Vater ist wieder im Krankenhaus. Der Magen,

diesmal. Wenn wir anrufen, sagt er, es sei alles in Ordnung. Aber das stimmt natürlich nicht. Wenn er sich doch einmal aussprechen würde. Aber immer hat er alles in sich hineingefressen. Und Sie, Frau K.? Wie geht es Ihnen?“

„Ach, geht so, muß ja. Ich kann nicht klagen.“

Ich kann nicht klagen – ich kann nicht klagen: das könnte schon die ganze Not, das ganze Elend sein.

„Alles, was mich quält und bedrückt: wortlos und unausgesprochen fällt es in

den Schacht meines Inneren, liegt mir auf der Seele – bleischwer.

Wem sollte ich mein Elend auch klagen? Den anderen Menschen? Meist haben sie weder Zeit noch ein offenes Ohr. Ach, G-tt ja. Ach, G-tt, meinen Sie, Frau Pfarrerin? Ja, wenn das ginge. Wenn ich da die rechten Worte fände. Ich habe es nicht gelernt zu beten.

Und darf man das denn überhaupt? G-tt mit der eigenen Klage in den Ohren liegen?  -  Der Herr hat´s gegeben, der Herr hat´s genommen; wer sagt das doch gleich? Ach ja, der Hiob. Man muß sich eben dreinfügen. Andere sind noch elender zurecht – warum sollte G-tt gerade auf mich achthaben, mich erhören?“

 

Liebe Gemeinde,

Sie kennen solche Gedanken, vielleicht von sich selbst, gewiß aber von anderen Menschen; zum Leid kommt da noch die Resignation hinzu.

Und nun der Apostel Jakobus und seine erste Ermutigung:

„Leidet jemand unter euch, so bete er; ist jemand guten Mutes, so singe sie einen Lobgesang.“

Jakobus ermuntert seine Gemeinde und uns, Leid und Freude, Mangel und Erfüllung, bohrenden Schmerz und glucksendes Wohlbefinden – all das auszudrücken: im Bittgebet oder im Lobspruch auszudrücken und also uns mit G-tt zu verbinden. Denn wie weit ist G-tt von uns und unserer Welt entfernt?

Nur ein Gebet weit ist G-tt entfernt. Bittend und lobend ziehen wir von unserem Alltag den Schleier, er sei nur Alltag. Im Bittgebet und im Lobspruch lassen wir die Welt und das, was uns begegnet, transparent werden, transparent auf G-tt hin.

Mehr noch: wir bringen G-tt in der Welt hervor, wir heiligen die Welt und unseren Alltag. Jüdische Praxis vollzieht solche Heiligung noch häufiger als christliche. Ist man ein religiöser Jude, so soll man pro Tag 100 Lobsprüche sagen.

Das heißt doch: jüdischerseits rechnet man pro Tag mit mindestens 100 Gelegenheiten, daß G-tt begegnet, im gewöhnlich zu Erwartenden wie etwa Essen und Trinken, aber auch im Ungewöhnlichen und Überraschenden: eine Sternschnuppe oder ein Regenbogen, eine neues Kleid oder ein besonders schöner Mensch, ein lang vermißter Freund oder ein besonderer Duft – über all das sagt man einen bestimmten Lobspruch, der G-tt als den Geber der guten Gabe preist. Wer G-tt lobt, verbindet die Welt mit ihrem Schöpfer; wer so lobt, würdigt aber auch sich selbst als Geschöpf: würdig genug, daß G-tt ihm Gutes zuteil werden läßt.

Und wie verhält es sich mit der Bitte, mit unserer Klage?

Hat nicht Jesus gesagt: euer himmlischer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr bittet? Aber gleich darauf lehrt er uns das Vaterunser, darin wir z.B. ums tägliche Brot bitten. Wenn G-tt denn alles weiß, woran es uns mangelt, warum ist es trotzdem gut zu bitten?

Martin Luther hat es so beantwortet:

Das Bittgebet lehrt uns, daß wir beide, uns und G-tt, erkennen, daß wir lernen, was uns fehlt und woher wir es einzig nehmen sollen. Einen köstlichen G''ttesdienst nennt Luther deshalb unser Bittgebet, denn es taugt zur Selbst- und G''tteserkenntnis.

Darum also: bittet und dankt, mit beidem gebt ihr G-tt die Ehre. Mit beidem stärkt ihr aber auch euch selbst; eure Selbsterkenntnis und eure Selbstachtung.

 

Nun aber weiter mit Jakobus, weiter zur nächsten Ermutigung:

Da ist jemand in der Gemeinde erkrankt. Mehr als ein Schnupfen gewiß, aber ans Leben muß es nicht gleich gehen. Sagen wir also, eine schwere, aber nicht lebensgefährliche Erkrankung. Als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, ruft die Kranke die Ältesten der Gemeinde zu sich, die Repräsentanten, das Presbyterium. Sie wartet nicht, ob jemand vielleicht von ihrer Krankheit Nachricht gibt, nein sie ruft herbei und zu sich: ich bin krank, also kommt!

Neidisch könnte man werden, so gut funktioniert diese Gemeinde des Jakobus.

Die Ältesten kommen: Öl bringen sie mit, die Kranke damit zu salben. Mehr noch bringen sie mit: Gebetsstärke und G-ttvertrauen und: seelsorgliches Feingefühl.

Sie salben die Kranke mit dem gutduftenden Öl, legen ihr die Hände auf und sprechen über ihr eine Fürbitte, ein Bittgebet. Und dann: G-tt wird sie aufrichten und aufstehen lassen.

Was, liebe Gemeinde, was um Himmels willen beschreibt uns Jakobus hier? Einen Exorzismus, irgendein obskures Wunderheilertum mit magischen Tinkturen und Handauflegen?

Nein, nichts von alledem!

Ausdrücklich nämlich soll die Ölsalbung im Namen des Herrn, also im Namen Jesu Christi, geschehen. Kein magisches Wundermittel kommt hier zum Einsatz, vielmehr ein Zeichen, daß G-ttes Lebenskraft uns begleiten will.

Gesalbt zu werden mit Öl, ein Segen ist es, ein Segen, der unter die Haut geht.

Oft sind es ausgezeichnete Menschen, die in der Bibel gesalbt werden: Priester, Könige und Propheten. Immer aber bezeugt die Salbung G-ttes Wunsch, uns zu stärken:

„Du deckst mir den Tisch im Angesicht meiner Feinde; du salbst mein Haupt mit Öl und schenkst mir den Becher voll ein“ – viele von uns kennen diesen Vers auswendig; wir sangen ihn zu Beginn des heutigen G“ttesdienstes.

Ölsalbung und Handauflegen: wohltuende Gesten der Nähe sind es, wichtige Zeichen. Aber Zeichen bleiben sie. Rettung und Heilung vermögen sie nicht.

Rettung und Heilung vermögen allein das Gebet und G-tt, der das Gebet erhört.

 

Und deshalb werden wir so ermutigt:

„Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander. Wenn die Kranke gesündigt hat, so wird ihr vergeben werden, und ihr werdet alle genesen.“

Wie aber wir Sünde und Krankheit miteinander verbinden, das ist so manches Mal entmutigend, etwa so:

wir hadern mit G“tt und fragen: Warum muß gerade ich das erleiden, warum straft G-tt mich so?

Und lief nicht jahrelang eine bösartige Rede um, die da lautete:

Aids, das sei ein gerechte Strafe für die Sünde der Homosexualität?

 

Jakobus denkt G-tt sei Dank anders: Krankheit ist nicht Folge, gar Strafe der Sünde.

Wohl aber kann es sein, daß sich eine Verfehlung leiblich ausdrückt. In biblischen Zeiten etwa wurde der Aussatz als solch ein leiblicher Ausdruck verstanden: wer seine Mitmenschen und das ganze Sozialgefüge durch böses Gerücht und üble Nachrede verletzt, an dem wird weißer Aussatz sichtbar – ein Zeichen, mehr nicht. Nach einer Frist der Isolation und Belehrung holen die Priester den nunmehr Geheilten in die Gemeinschaft zurück. So war es im alten Israel, und so kannte es Jesus.

Und wie immer Sünde und Krankheit sich zueinander verhalten, eines wissen wir von G“tt genau: nicht an Krankheit und Sünde hat Er Wohlgefallen, sondern Genesung und Vergebung will Er.

Das ist die dritte Ermutigung, mit der uns Jakobus für heute ermutigt.

 

Und so stelle ich mir all das Wundersame vor, das da im Krankenzimmer der jakobinischen Gemeinde sich begibt: neben all den guten Dingen, die ich schon nannte, haben die Gemeindeältesten noch etwas anderes und sehr Wichtiges mitgebracht: ihre Zeit nämlich. Zeit, einander und der Kranken zuzuhören; Zeit, miteinander und mit der Kranken zu sprechen. Geschützt und getragen von ihrem Vertrauen zu G-tt, können sie auch einander trauen und frei sprechen.

Behutsam tastet man sich vor: ob die Krankheit vielleicht doch mehr sei als eine bloße Erkrankung des Leibes. Deutungen, Interpretationen der bisherigen Lebensgeschichte gehen hin und her, manche bewähren sich, manche werden verworfen. Worum man denn nun rechtens beten solle, worauf man denn nun sinnvollerweise hoffen könne – langsam und immer genauer formt sich der Inhalt des Bittgebetes. Und nicht nur Kopf und Sprache kommen zur Geltung, nein auch körperliche Nähe und Berührung: die Kranke zu berühren und ihr nahe zu sein, ohne ihr zu nahe zu treten; die Kranke zu salben, so daß ihr G-ttes Segen unter die Haut geht, ohne die Grenzen der Scham zu verletzen – so könnte, so kann gemeindliches Miteinander geschehen.

 

Und nun die vierte und letzte Ermutigung des Jakobus:

„Die Bitte eines Gerechten vermag viel, wenn sie ernstlich ist.“

Jakobus traut dem Gebet und G-tt viel zu. Wer auf rechte Weise, mit ganzem

G-ttvertrauen betet, dem gibt G-tt. Aber G-tt ist keine Marionette an den Fäden unserer Bitten. Wann und in welcher Weise G-tt unser Bitten beantwortet, das verdankt sich Seiner freien Gnade und Seiner Weisheit. Daß G-tt auf all unsere Gebete achtgibt, darauf können wir vertrauen, denn Er hat es uns so zugesagt.

Daß Er sich aber auch die Freiheit nimmt, unserem Willen den Seinigen entgegenzusetzen, damit sollten wir rechnen. Und daß nicht unbedingt mein Bitten, sondern Sein Wille erkennt, was für mich das Beste ist – ein befreiender Gedanke kann das sein. Allerdings, wer leidet und Schmerzen hat, möchte von Schmerz und Leid befreit sein. Und selbst Jesus in seiner Todesangst, dort im Garten von Gethsemane, betet zunächst: „Vater, laß diesen Kelch an mir vorübergehen“, und erst dann: „doch nicht, was ich will, sondern was du willst!“

Zunächst Widerstand, dann erst Ergebung.

Und wie ergeht es Hiob, ist nicht auch er ein gerechter Beter, dessen Gebet viel vermochte?

Hiob hadert, kämpft und streitet mit G-tt: da ist viel Widerstand und keine Ergebung. Tag und Nacht liegt er G-tt in den Ohren:

„Warum läßt du mich leiden – gib mir Antwort, erkläre dein Tun, rechtfertige dich, denn ich habe nichts getan, was deine Schläge rechtfertigen würde.“

So leidenschaftlich hält Hiob an G-tt fest, daß dieser gar nicht anders kann, als sich Hiob am Ende zu offenbaren.

 

Liebe Gemeinde,

herrlich ist es, daß G-tt über beide Beter Sein Ja ausspricht, über Hiob und Jesus.

Beide setzt G-tt in ihr Recht ein, beide nimmt Er in Ehren an.

Jesus wie Hiob: beide richtet G-tt wieder auf.

Amen.

Und der Friede G"ttes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und
Sinne in Christus Jesus.
Amen.

Liturgie


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16.04.2005

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