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Anmerkungen &
Fragen zu
Jakobs
Segenskampf

1. Mose 32

von
Brigitte Gensch

Jacob Wrestling with the Angel by Gustave Doré (1865, illustration from La Sainte Bible, New York, Granger Collection)
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Die Geschichte spielt auf dem Höhepunkt einer Krisensituation: Jakob, lange Jahre im Exil Mesopotamiens, macht sich auf, in das Land seiner Väter zurückzukehren. Er muß gewärtigen, mit seiner schuldhaften Vergangenheit konfrontiert zu werden und auf seinen unversöhnten Bruder Esau zu treffen. Jenseits und diesseits des Flusses Jabbok liegen gleichsam Jakobs Vergangenheit und Zukunft. Für die Begegnung mit Esau rüstet sich Jakob auf dreierlei Weise: mit Geschenken, mit Gebet und mit der Zurüstung zum Kampf, und nach rabbinischer Auslegung soll Israel es immer so mit seinen Feinden halten.

Krisensituationen sind immer ausgezeichnete Augenblicke; oft vereinzeln sie und werfen den Menschen auf seine Furcht und Einsamkeit zurück. Auch Jakob hat die Furcht gepackt. Aber seine Furcht verschließt ihn nicht in sich selbst, sondern er findet die Kraft zum Gebet: er ruft den Ewigen, den G"tt der Väter an, reißt den ganzen geschichtlichen Horizont der G"ttlichen Verheißungen auf und bettet seine eigen Lebensgeschichte in die "große" Geschichte G"ttes mit Seinem Volk ein. Übrigens ist es in V.10 (V.11 in der Lutherbibel) zum ersten Mal in der Hebräischen Bibel so, daß sich jemand vor G"tt als Seinen Knecht bezeichnet, alle Stellen zuvor waren keine Selbst-, sondern Fremdbezeichnungen: G"tt nennt Abraham Seinen Knecht (1. Mose 26,24), der älteste Knecht Abrahams nennt Isaak "Knecht G"ttes". Hier im Gebet Jakobs bezeichnet sich erstmals ein Mensch betend als G"ttes Knecht.

Etwas Korrespondierendes ereignet sich einen Vers zuvor: aus der Gebetsnot heraus ruft Jakob den G"tt der Väter als DEN NAMEN (das Tetragramm: JHWH) an. Er ruft G"tt in Seiner unverwechselbaren, eigenen Identität, mit Seinem Eigennamen an: daß Er nun auch für Jakob G"tt sei. So wie sich Jakob G"tt zueignet, Sein Knecht zu sein ("dein Knecht", V.10), so eignet sich Jakob G"tt in Seiner Unverwechselbarkeit zu, nicht mehr nur G"tt der Väter, sondern nunmehr sein G"tt zu sein. Damit löst Jakob sein Gelübde ein, vgl. 1.Mose 28, 21: wenn G"ttes Verheißungen erfüllt werden, dann wird DER HERR mein G"tt sein. Nicht umsonst hat Jakob den G"ttlichen Eigennamen in der Fremde bis auf eine Ausnahme (30, 30) nicht gebraucht.

Das, worum Jakob bittet, die Rettung aus Esaus Hand, wird ihm im Kampf mit dem Engel gewährt. Rettung bedeutet hier: Konfrontation und Auseinandersetzung mit der schuldhaften Vergangenheit, mit dem unversöhnten Bruder. Der Engel tritt als Esaus "Anwalt", als "Satan" im bibl. Sinne (vgl. Buch Hiob) auf, als derjenige, der für Esaus Sache gegen Jakob antritt.

Der Kampf zeitigt zwei Ergebnisse: einmal wird Jakob fürs Leben hinken, weil seine "Spannader", die Hüftsehne verletzt wurde. Hinkend wird er Esau gegenübertreten, also wehrlos und versehrt gerade an dem Körperteil, "mit dem" Jakob seinem Bruder Schaden zufügte: Jakob, d.h. "Fersenhalter" oder "der Hinterlistige", der "Schleicher", der den Bruder zweimal beschlichen und hintergangen hat (vgl. 1. Mose 27, 36), der den Bruder schon im Mutterleib um sein Erstgeburtsrecht bringen wollte (1.Mose 25, 26). Die Verletzung der Hüftsehne wird rabbinisch aber auch noch so verstanden: Jakob büßt seine Selbständigkeit ein, die Spannader wird mit dem "Gesäuerten" (Brot im Unterschied zu Mazza, die ungesäuert ist) verglichen, das für die menschliche Unabhängigkeit steht und damit für die Gefahr, sich von G"ttes Leitung, Segen und Gnade loszusagen.

Das zweite Resultat des Engelkampfes besteht in der Verheißung der Namensänderung. Der Engel kann den Namen nicht ändern, wohl aber kann er ansagen, daß G"tt den Namen Jakobs ändern wird; die Änderung geschieht dann 1.Mose 35, 10: aus Jakob, dem Hinterlistigen , wird "Israel". Zwar bleibt der Eigenname "Jakob" erhalten, aber er verliert seine programmatische Kraft; der Segen, der von nun an Jakob zuteil werden wird, ist kein erschlichener mehr, sondern ein offen, öffentlich zuerkannter (Rashi, der große rabb. Kommentator verweist darauf, daß im Wort "Israel" auch das Wort "Sar"= Fürst steckt).

Der Kampf, die Auseinandersetzung mit der schuldhaften Vergangenheit, geschieht nicht zufällig des Nachts, in der Vereinzelung und Einsamkeit; dieser Kampf ist unvertretbar und notwendigerweise ohne Öffentlichkeit.

Dann aber kommt die Morgenröte eines neuen Tages. Zuversichtlich und mutig tritt Jakob seinem Bruder entgegen, er geht seiner Familie und seiner Habe voraus. Hinkend, gleichsam entwaffnet und schwach begegnet er dem Bruder: G"ttes Stärke ist wieder einmal in den Schwachen, in einem Schwachen. Jakob kann zuversichtlich sein, denn ihm ist eine weitere Verheißung, die eines neuen Namens, zuteil geworden. Sicher kann er sich nicht sein, daß sein Bruder zur Versöhnung bereit ist. Zwar hat er seine vergangene Schuld mit dem
G"ttlichen Ankläger, dem Engel Esaus, ausgetragen und so seine Schuld vor G"tt gebracht, aber die Vergebung durch den Bruder steht noch aus. Anders gesagt: auch unsere Geschichte in 1.Mose 32 und 33 lehrt, daß das Schuldeingeständnis vor G"tt die Vergebung, die ich von meinem und von mir geschädigten Nächsten erbitte, nicht ersetzen kann. Beide Beziehungen müssen zusammenkommen, die Beziehung zu G"tt und die zu meinem Nächsten.

Daß und wie G"tt und mein Anderer zusammengehören, ist auch in dem in unserer Geschichte häufig gebrauchten Bild des Angesichtes hinterlegt: in 32, 20 kommt das hebr. Wort für Antlitz, "panim", gleich viermal vor. Der Vers lautet: "ich will sein (Esaus) Antlitz bedecken durch das Geschenk, das vor meinem (Jakobs) Antlitz vorausgeht, hernach will ich sein Antlitz sehen, vielleicht wird er mein Antlitz erheben" (= mir gnädig sein, mich als Person anerkennen). Als Folge der Bewährung im Engelkampf heißt es, daß Jakob den Ort des Kampfes "Pniel", d.h. "G"ttesantlitz" nannte (analog dazu 1.Mose 22: auch der Ort der Bewährung Abrahams wird "G"ttessicht", "Moria", genannt). Und 1.Mose 33, 10 sagt Jakob zu Esau: "ich habe dein Antlitz gesehen wie man G"ttes Antlitz sieht (wie ich G"ttes Angesicht gesehen habe), und du warst mir wohlgefällig."

Als und nachdem die Schuld bedeckt ist, wird es den Versöhnten möglich, einander ins Angesicht zu sehen, und G"ttes Angesicht leuchtet gerade auch denen, die sich mit den dunklen Seiten der eigenen Lebensgeschichte auseinandersetzen.

18.02.2001


1. Mose 32 (Ü: Buber Rosenzweig)

32 1 Frühmorgens machte sich Laban auf, er küßte seine Enkel und seine Töchter und segnete sie,
dann ging Laban und kehrte an seinen Ort zurück.
2 Wie Jaakob seines Wegs ging,
trafen Boten Gottes auf ihn.
3 Jaakob sprach, als er sie sah:
Ein Heerlager Gottes ist dies!
Und er rief den Namen jenes Ortes: Machanajim, Doppellager.
4 Jaakob sandte nun Boten[A] vor seinem Antlitz her zu Essaw seinem Bruder nach dem Lande Sseïr, in Edoms Gefild,
A) Beginn eines Wochenabschnitts der Tora (Abschnitte der sabbatlichen Lesung).
5 und gebot ihnen, sprechend:
So sprecht zu meinem Herrn, zu Essaw:
So hat dein Knecht Jaakob gesprochen:
Bei Laban gastete ich und habe bis jetzt gesäumt,
6 mir ist Ochs und Esel, Kleinvieh, und Knecht und Magd geworden,
nun sende ich, meinem Herrn es zu melden, Gunst in deinen Augen zu finden.
7 Die Boten kehrten zu Jaakob wieder, sprechend:
Wir sind zu deinem Bruder, zu Essaw gekommen,
aber schon geht er dir entgegen, vierhundert Mann bei ihm.
8 Jaakob fürchtete sich sehr, ihm wurde bang.
Er teilte das Volk das mit ihm war, und Kleinvieh und Rind und Kamele, zu zwei Lagern
9 und sprach:
Kommt Essaw ans eine Lager und schlägt es, bleibt dem restenden Lager ein Entrinnen.
10 Dann sprach Jaakob:
Gott meines Vaters Abraham,
Gott meines Vaters Jizchak,
DU,
der zu mir sprach: Kehre zu deinem Land, zu deiner Verwandtschaft, ich will dir Güte erweisen!
11 Zu klein bin ich all den Hulden und all der Treue die du an deinem Knechte tatest,
mit meinem Stab ja überschritt ich diesen Jordan, und jetzt bin ich zu zwei Lagern geworden!
12 O rette mich doch aus der Hand meines Bruders, aus Essaws Hand!
Denn ich bin in Furcht vor ihm,
daß er kommt und mich schlägt, Mutter über Kindern.
13 Du selbst aber hast gesprochen:
Güte will ich dir, Güte erweisen,
will deinen Samen machen wie Sand des Meers, der vor Menge nicht gezählt werden kann.
14 Er nächtigte dort in jener Nacht
und nahm von dem was ihm zur Hand gekommen war eine Spende für Essaw seinen Bruder,
15 zweihundert Ziegen und zwanzig Böcke,
zweihundert Mutterschafe und zwanzig Widder,
16 dreißig säugende Kamele samt ihren Jungen,
vierzig Färsen und zehn Farren,
zwanzig Graustuten samt zehn Fohlen,
17 und übergab sie in die Hand seiner Knechte, Herde um Herde besonders,
und sprach zu seinen Knechten:
Schreitet vor meinem Antlitz her und legt Raum zwischen Herde und Herde.
18 Er gebot dem ersten, sprechend:
Wenn mein Bruder Essaw auf dich stößt
und fragt dich, sprechend: Wessen bist du, wohin gehst du, wessen sind diese vor dir?
19 sollst du sprechen:
Deines Knechts, Jaakobs, eine Spende ists, gesandt meinem Herrn, Essaw,
und da, er selber auch ist hinter uns.
20 Auch dem zweiten gebot er, auch dem dritten, allen auch die hinter den Herden gingen, sprechend:
Nach dieser Rede sollt ihr zu Essaw reden, wann ihr ihn findet,
21 und sollt sprechen: Da, auch dein Knecht Jaakob ist hinter uns.
Denn er sprach zu sich:
Bedecken will ich sein Antlitz mit der Spende, die vor meinem Antlitz geht,
danach will ich sein Antlitz sehn,
vielleicht hebt er mein Antlitz empor.
22 Die Spende schritt seinem Antlitz voraus,
er aber nächtigte in jener Nacht im Lager.
23 In jener Nacht machte er sich auf,
er nahm seine zwei Weiber, seine zwei Mägde und seine elf Kinder
und fuhr über die Furt des Jabbok,
24 er nahm sie, führte sie über den Fluß und fuhr über was sein war.
25 Jaakob blieb allein zurück. -
Ein Mann rang mit ihm, bis das Morgengrauen aufzog.
26 Als er sah, daß er ihn nicht übermochte,
rührte er an seine Hüftpfanne,
und Jaakobs Hüftpfanne verrenkte sich, wie er mit ihm rang.
27 Dann sprach er:
Entlasse mich,
denn das Morgengrauen ist aufgezogen.
Er aber sprach:
Ich entlasse dich nicht,
du habest mich denn gesegnet.
28 Da sprach er zu ihm:
Was ist dein Name?
Und er sprach:
Jaakob.
29 Da sprach er:
Nicht Jaakob werde fürder dein Name gesprochen,
sondern Jissrael, Fechter Gottes,
denn du fichtst mit Gottheit und mit Menschheit
und übermagst.
30 Da fragte Jaakob, er sprach:
Vermelde doch deinen Namen!
Er aber sprach:
Warum denn fragst du nach meinem Namen!
Und er segnete ihn dort.
31 Jaakob rief den Namen des Ortes: Pniel, Gottesantlitz, denn:
Ich habe Gott gesehn,
Antlitz zu Antlitz,
und meine Seele ist errettet.
32 Die Sonne strahlte ihm auf, als er an Pniel vorüber war,
er aber hinkte an seiner Hüfte. -
33 Darum essen die Söhne Jissraels bis auf diesen Tag die Spannader nicht, die auf der Hüftpfanne liegt,
denn an Jaakobs Hüftpfanne an der Spannader hat er gerührt.


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