Dieses Wort Jesu aus dem großen
Gleichnis vom Weltgericht steht in unserer Kirche als
Wochenspruch über dieser Woche. "Was ihr getan habt
einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, einer
unter diesen meinen geringsten Schwestern, das habt ihr
mir getan."
Auf
eine tief aufwühlende Weise hat dieses Wort gestern und
in der Nacht, die hinter uns liegt, zu mir gesprochen.
Die Tausende die gestern durch verbrecherische Gewalt ums
Leben gekommen sind, Brüder Jesu Christi, Schwestern
Jesu Christi, jede Einzelne, jeder Einzelne. Sie alle von
Gott geliebte Geschöpfe zum Leben bestimmt, nicht zum
Tod. Und deswegen ist das erste, was uns zusammenführen
muss an diesem Tag, die Klage über zerstörte und
verlorene Menschenleben, abgebrochene Hoffnung und die
tiefste Verletzung menschlicher Würde.
Viele
sind auch hier im Raum, die die Stockwerke des World
Trade Center schon hinaufgefahren sind. Und manche mögen
auch im Raum sein, die schon im Pentagon gewesen sind.
Auch ich kenne beide Gebäude. Und ich habe vor Augen,
mit welcher Selbstverständlichkeit sich Menschen in
diesen Gebäuden bewegt haben, Tag für Tag, mit welcher
Erwartung Menschen auf dieses hohe Gebäude
hinaufgefahren sind, um den Blick zu haben hinüber zur
Freiheitsstatue, den Blick zu haben hinweg über
Manhatten. Und in solche Erwartungen in die Selbstverständlichkeit
des Lebens hinein, dieser Einbruch, dieser Abbruch. Viele
von uns werden auch durch persönliche Beziehungen
Menschen vor Augen haben, die noch heute zittern, zagen,
warten, bangen, hoffen, weil sie nicht wissen, was mit
nahen Angehörigen, was mit guten Freunden geschehen ist,
Schwestern und Brüder Jesu Christi.
Was
ihr getan habt, diesen Brüdern und Schwestern Jesu
Christi, das habt ihr ihm selbst getan. Das gilt dann
aber auch für all diejenigen, die das geplant, die das
heimtückisch vorbereitet, die das verbrecherisch
durchgeführt haben. Nicht nur dass man hoffen muss, sie
müssten sich vor einem irdischen Richter rechtfertigen,
nicht nur dass man hoffen müsste, sie erführen irdische
Gerechtigkeit.
Nein,
aussprechen müssen wir an diesem Tag auch, dass sie sich
rechtfertigen und verantworten müssen, vor dem allmächtigen
Gott, unabhängig von der Frage der Religion, unabhängig
von der Trennung der Religionen, unabhängig von Glauben
und Unglauben. Das ist ein Geschehen, das vor den allmächtigen
Gott, den Richter und Retter gebracht werden muss. Wenn
es in den nächsten Tagen so geschehen sollte, das Spuren
des Verbrechens zurückgeführt werden in den Bereich
islamischer Länder, dann muss man an diesem Tag auch in
aller Klarheit sagen, es gibt keinen Glauben an Gott, auf
den man sich berufen kann, zur Rechtfertigung solcher
Verbrechen. Es gibt auch kein politisches Ziel, das man
in Anspruch nehmen kann, für das, was da geschehen ist.
Wenn
es neben dem Aufruf zum Mitleiden noch einen anderen
Aufruf gibt, der von diesen Tagen ausgeht, dann heißt
er, es muss Schluss sein damit, dass man sich auf
Religion und auf den Unterschied der Religionen beruft,
dafür dass menschliches Leben geschändet und getötet
wird. Wir haben das in der vergangenen Woche auch in
Nordirland erlebt.
Und ich sage das Gleiche im Blick auf Nordirland: Es geht
nicht an, dass der Unterschied christlicher Konfessionen
auch nur genannt wird im Zusammenhang mit dem Mord an
unschuldigen Kindern, an unschuldigen Menschen. Und wir
wollen uns miteinander nicht einreden lassen, wir hätten
erklärt, was geschehen ist, wenn wir uns darauf berufen.
Und wir müssen auch mit Menschen im Bereich des Islam
darüber verstärkt noch ins Gespräch kommen, das der
Unterschied von Glaubensweisen nicht Gewalt rechtfertigt,
sondern dieser Unterschied uns darin verbinden muss, dass
wir miteinander eintreten für Gewaltfreiheit, dass wir
miteinander bauen am Frieden.
Um Menschenleben klagen wir, mit Hinterbliebenen trauern
wir, aber vor Gott bringen wir auch unsere Klage über
die Abgründigkeit des menschlichen Herzens, das so Böses
ersinnen kann. Und unserem Respekt, unsere Unterstützung,
unser Gebet verdienen all diejenigen, die politische
Verantwortung dafür tragen, solche Bosheit zu wehren,
mit den Mitteln des Rechts, so, dass Freiheit bewahrt
wird, so, dass wir leben können in Freiheit und
Gerechtigkeit.
Dietrich
Bonhoeffer hat in schwerster Situation in der Zeit des
nationalsozialistischen Regimes, in der Zeit, in der er
sein eigenes Leben aufs Spiel setzte, in einer Zeit, in
der er sich umgeben und umstellt sah von Bosheit, Gewalt
und Verbrechen, in dieser Zeit in der Jahreswende 1942
auf 1943 hat er Glaubenssätze über das Walten Gottes in
der Geschichte aufgeschrieben. Sie können vielleicht
auch uns heute miteinander weiterführen.
"Ich
glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten Gutes
entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er
Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel
Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen, aber er
gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns
selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem
Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden
sein. Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer
nicht vergeblich sind. Und dass es Gott nicht schwerer
ist mit ihn fertig zu werden, als mit unseren
vermeintlichen Guttaten. Ich glaube, dass Gott kein
zeitloses Fatum ist, sondern dass er auf aufrichtige
Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet."
Ja,
dass soll uns alle miteinander an diesem Tag, in dieser
Stunde verbinden, aufrichtige Gebete und verantwortliche
Taten. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle
unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in
Christus Jesus unserem Herrn.
Amen.
http://www.ekd.de/predigten/predigt_5853.html