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Von der Tora Christi

Predigt über Gal 5, 25- 6, 10

Brigitte Gensch


 

Gruß: Gnade sei mit euch und Friede von G"tt, unserem Vater,
und von unserem Herrn Jesus Christus!

Der Predigttext für den heutigen So steht im Brief des Paulus an die Galater, im Kap. 5 und 6.

Liebe Gemeinde!

Ach, schon wieder der Galaterbrief – werden vielleicht diejenigen von Ihnen denken, die regelmäßig hierher kommen. Denn vor 4 Wochen genau war auch ein Abschnitt des Galaterbriefes Predigttext. Allerdings aus dem Anfang des Briefes, aus dem 2. Kap. Und wie anders waren da Ton und Stil des Paulus: allerschwerstes Geschütz fuhr er auf, um seine Gegner aus dem Felde zu schlagen; alle Register hatte er gezogen, um seine geliebten Galater vor den Gegnern, den Judenchristen zu retten. Die nämlich waren in seine Galatergemeinde eingedrungen und hatten sie beschwatzt: wer zum Volke G"ttes gehören wolle, der müsse als Mann sich erst beschneiden lassen und jeder müsse die ganze Tora, das jüdische Gesetz halten. Ja, war denn da überhaupt noch Platz für Christus, schien es nicht, als sei Christus also ganz umsonst gekommen? So hatte Paulus im 2.Kap. gefragt.

Und so wunderbar malte Paulus seinen Galatern den Christus vor Augen, so hell und lichtvoll ließ er Christus aufstrahlen, daß auf die jüdische Weisung, die Tora, nur noch Schatten fiel.

Und nun, hier gegen Ende des Briefes?

Ganz anders der Ton, der Stil und auch der Inhalt des Briefes:
die Gegner sind besiegt, ihre theologischen Waffen sind zerschlagen; Paulus wird ruhig. Freundlich redet er seinen Galatern zu:
"Ihr Brüder" redet er sie an. Sanft ermahnt er sie, aufeinander zu achten und nicht eigennützig zu sein. Recht allgemeine Ermahnungen hören wir da, so wie sie öfter in paulinischen Briefen zu hören sind. Also nichts Aufregendes mehr. Stimmt´s ? Es stimmt nicht!

"Traget einer des anderen Lasten, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen."

Nanu, haben wir richtig gehört? Paulus spricht wirklich vom Gesetz Christi oder – wie wir auch sagen können – von der Tora Christi.
Aber hat nicht gerade Paulus uns den Gegensatz eingeschärft: hie das Gesetz, an dem wir scheitern müssen, das Gesetz der Unfreiheit und der Qual.
Quälend deshalb, weil unsere besten Absichten immer wieder zerschellen müssen an den Forderungen des Gesetzes? Dort aber: das Evangelium, die befreiende Botschaft Christi, der das Gesetz beendet?
Gesetz gegen Evangelium also, Tora gegen Christus. Und hat nicht gerade Luther sich stets auf Paulus berufen, wenn er uns einschärfte: vermischt Gesetz und Evangelium nicht, trennt es: wo das eine herrscht, muß das andere weichen?

Und jetzt das: Paulus selbst spricht vom Gesetz Christ, und noch mehr. Er spricht davon, daß wir es erfüllen werden. Also, daß wir es erfüllen können.

Offenbar wird hier von niemandem zuviel verlangt. Niemand wird hier überfordert und überfahren. Als sei es das Natürlichste von der Welt: ihr werdet es erfüllen. Eine gute und fröhliche Sache scheint es zu sein, gehorsam zu werden. Plötzlich also: das Gesetz selbst schmeckt nach Freiheit.
Und das soll ein Vers des Paulus sein? Hat Paulus vergessen, was er zuvor schrieb, oder hat ihm ein Judenchrist oder ein irregeleiteter Schüler etwas unterschoben? Haben wir es mit einer Fälschung zu tun?

Liebe Gemeinde,
ich kann Sie beruhigen. Es ist alles von Paulus, es ist alles sogar bester Paulus. Schauen wir deshalb genauer hin:

"Wenn wir im Geiste leben, so laßt uns im Geiste auch wandeln",
so beginnt unser Predigttext. Wörtlich steht da: So laßt uns der Marschordnung des Geistes folgen.
Das klingt ein bißchen militärisch, gemeint aber ist es so:
Christus hat uns zu neuem Leben befreit; der große Lastenträger trug unsere Lasten, unsere Verfehlungen. Er nahm sie uns von den Schultern, lud sie sich auf und trug sie hinauf ans Kreuz. Befreit können wir durchatmen und ausschreiten, unser Fuß stößt nicht mehr an den Stein vergangener Schuld.
Ein Anfang ist gemacht.

Nun aber gilt es, dem neuen Leben Richtung, Trittfolge und Ziel zu geben, auf daß es nicht im Unbestimmten, im Schwärmertum verschwebe.
Auch das neue Leben im Geiste braucht Weisung.
Paulus ist Realist. Er sieht genau, wie die Welt von Widerspruch und Leid gezeichnet ist, er hört das Seufzen der bedrängten Kreatur, und vor der Bitterkeit des Todes verschließt er nicht die Augen. Deshalb ist Paulus das Schwärmertum etwa in Korinth auch so verhaßt: nur mit sich beschäftigt, glauben die Korinther aller weltlichen Not schon enthoben zu sein. In Zungenreden lallen sie, so daß kein Uneingeweihter sie versteht. All das gilt Paulus als zutiefst fleischlich.

Ja, so denkt Paulus, und so ist es auch, liebe Gemeinde. Das Geistvollste kann zutiefst fleischlich sein. Denn mit Geist und Fleisch, diesem Gegensatz, meint Paulus nicht irgendeinen Teil unserer Existenz, nicht den Gegensatz von Vernunft und Körper, nicht den Gegensatz von Kopf und Unterleib, vielmehr:

Geist und Fleisch zielen je auf den ganzen Menschen. Ob jemand aus dem Geiste oder aber aus dem Fleische lebt, das betrifft seine ganze Weise zu existieren, das entscheidet über sein ganzes Verhalten: wie er sich zu sich selbst verhält, wie zu seinem Nächsten, wie zur Welt überhaupt.

Jemand, der nach dem Fleische lebt, sucht in allem nur das Seine und Eigene.

Luther sagt es so: ein solcher Mensch ist ganz in sich selbst hineingedreht und so ziemlich verdreht. Das alles kann durchaus sehr geistvoll daherkommen: hochkultiviert und gebildet. Es kann sich auch als Religion maskieren.

Besehen Sie sich nur einmal die gegenwärtige religiöse Erlebniskultur:
wie da die Einzelnen oder kleine Gruppen einen Tanz um das eigen Ego vollführen, wie sie da ihre Bedürfnisse pflegen und nach echten Erlebnissen gieren. Notfalls und zumeist wird der biblische G"tt dann passend gemacht –
Er wird es schon aushalten – Hauptsache, Er paßt zu den eigenen Bedürfnissen, wie fromm diese sich auch gebärden – es bleibt doch Fleisch.

Und jetzt aber auch umgekehrt: das Fleischlichste kann ganz und gar geistlich sein. Wer im Diakonischen Werk auf Heller und Pfennig rechnet, wer sich in das Gestrüpp der ökonomischen Welt begibt, um der gemeindlichen Diakonie Geld zuzuführen, oder wer seinen Nächsten von Speichel und Kot befreit und reinigt, der lebt aus dem Geist.

Er lebt aus dem Geist, welcher in der Weisung Christi Gestalt und Konkretion gewinnt: Traget ein Jeder die Lasten des Anderen! Damit werdet ihr die Tora Christi erfüllen.
Wohlgemerkt, es heißt nicht, jeder ertrage und trage seine eigene Last, d.h. jeder beuge sich unter das Päckchen, das – wer auch immer – ihm auferlegt hat. Nein, so heißt es:
Weil Christus uns unsere eigenen Lasten abnahm, sind wir frei, die Lasten des Anderen zu tragen, sind wir frei, Christus nachzufolgen. So wie er sich die Menschen in seine Nächsten verwandelte, so könne auch wir uns vom Anderen unbedingt angehen lassen. Wir können – noch einmal Luther – wir können einander der Christus sein.

Allerdings: wer zu solchem Können befreit ist, der ist auch verpflichtet, dies Können zu gebrauchen. Paulus läßt es nicht an Deutlichkeit fehlen: jeder prüfe sein Werk, jeder schaue, ob seine Taten wohl im Gericht Bestand haben können.

"Wer auf sein Fleisch sät, wird vom Fleisch Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten", sagt Paulus gegen Ende unseres Predigttextes.

Aber das Jüngste Gericht, wann kommt es?

In etwa einer halben Stunde wird in der Duisburger Synagoge das Schofar, das Widderhorn schofargeblasen werden. Denn es ist Neujahr, jüdisches Neujahr, genauer der zweite Tag des jüdischen Neujahrfestes. Nicht nur ein neues Jahr wird geboren, sondern die ganze Schöpfung wird erneuert. Doch keine Neuschöpfung ohne Gericht, und so liegt auf dem Neujahrsfest auch der ganze Ernst des Gerichtes. Von Neujahr an bis zu Jom Kippur, dem großen Versöhnungstag, das sind genau 10 Tage, tun gläubige Juden und Jüdinnen genau das, was der Jude Paulus auch uns weist: jeder prüft sich selbst, seine Taten und seine Unterlassungen; jeder legt vor sich selbst, aber vor allem vor G"tt Rechenschaft ab. Und während man so verfährt, schreibt der große König in den Himmeln für jeden das Urteil. ER schreibt es auf, aber das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und gültig. Erst am Abend des großen Versöhnungstages, am Ende von Jom Kippur, setzt der Ewige unter das Urteil Seine Unterschrift und Sein Siegel.

In den 10 Tagen zuvor nämlich besteht die Chance, den Urteilstext umzuschreiben: durch gute Taten, aufrichtige Reue und wirkliche, glaubhafte Umkehr.

Einmal im Jahr also zieht Israel die Seelenprüfung der Einzelnen und das Jüngste Gericht zusammen, einmal im Jahr liegt auf einer Zeitspanne von 10 Tagen der ganze Ernst, es seien meine letzten Tage, einmal im Jahr rechnet Israel auch mit dem Abgrund. Mit der abgründigen Möglichkeit nämlich, G"tt könnte die Tore der Vergebung in Seine Himmel hochziehen, ohne daß wir rechtzeitig in diese Tore eingetreten wären.

Wann also kommt das Gericht?

Nur G"tt weiß es. Und deshalb lehren die jüdischen Weisen:
zu jeder Zeit verhalte dich so, als wäre es dein letzter Tag, zu jeder Zeit handle so, als wären deine guten Taten im Gleichgewicht mit deinen Schlechten, so daß deine nächste Tat ausschlaggebend sei, in welche Richtung sich die Waage senkt."

Amen.

Un der Friede G"ttes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

Der Brief des Paulus an die Galater

5,25 Wenn wir im Geist leben, so laßt uns auch im Geist wandeln.

26 Laßt uns nicht nach eitler Ehre trachten, einander nicht herausfordern und beneiden.

6,1 Liebe Brüder, wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid; und sieh auf dich selbst, daß du nicht auch versucht werdest.

2 Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.

3 Denn wenn jemand meint, er sei etwas, obwohl er doch nichts ist, der betrügt sich selbst.

4 Ein jeder aber prüfe sein eigenes Werk; und dann wird er seinen Ruhm bei sich selbst haben und nicht gegenüber einem andern.

5 Denn ein jeder wird seine eigene Last tragen.

6 Wer aber unterrichtet wird im Wort, der gebe dem, der ihn unterrichtet, Anteil an allem Guten.

7 Irret euch nicht! Gott läßt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten.

8 Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten.

9 Laßt uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht nachlassen.

10 Darum, solange wir noch Zeit haben, laßt uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen

Luther Übersetzung



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