Gnade sei mit euch und Friede von G“tt,
unserem Vater,
und von unserem Herrn
Jesus Christus!
Liebe
Gemeinde!
der
Predigttext für den heutigen Sonntag steht im Brief an die Epheser, Kap. 5,
8-14.
8
Denn einst wart ihr Finsternis, jetzt aber [seid ihr] Licht im Herrn; wandelt
als Kinder des Lichts! -
9
denn die Frucht des Lichts besteht
in lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit -
10
und prüfet, was dem Herrn
wohlgefällig ist,
11
und beteiliget euch nicht an den
unfruchtbaren Werken der Finsternis, sondern decket sie vielmehr sogar
strafend auf!
12
Denn was heimlich von ihnen
geschieht, ist schändlich auch nur zu sagen.
13
Das alles aber wird offenbar, indem
es vom Lichte strafend aufgedeckt wird; denn alles, was offenbar wird, ist
Licht.
14
Daher heisst es:
"Wach auf, der du schläfst,
und steh auf von den Toten,
so wird Christus
dir als Licht aufgehen."
[Züricher Bibelübersetzung]
Sie kommen. Die
junge Frau ist aus leichtem Schlaf aufgeschreckt in die Helle ihrer
Gefängniszelle. Sie weiß nicht, wie spät oder früh es ist. Sie weiß nicht, ob
der Rhythmus zu schlafen und zu wachen, den man ihr diktiert, noch mit der
Welt draußen übereinstimmt. Ihre Zelle ist alle Zeit gleich hell erleuchtet,
mit künstlichem Licht, fensterlos. Allem, was zur Welt draußem gehört, ist der
Zugang zur Welt ihrer Zelle verwehrt, kein Geräusch, kein Sonnenstrahl und
keine Dunkelheit erreichen das Drinnen – es ist, als habe die Welt draußen zu
existieren aufgehört. Und da der kleine Raum bis auf eine niedrige Pritsche
und einen Kübel leer ist, fehlen selbst die Schatten. Als habe das Licht alles
Dunkel aufgefressen.
Sie sind da. Mit der immergleichen
Prozedur werden ihre Hände auf den Rücken gebunden und eine Kapuze über ihren
Kopf gezogen. So wird sie den langen Flur hindurch bis zum Verhörzimmer geführt.
Die Gefangene sieht nichts, sie wird gesehen. Die Blicke der Wächter sind
auf ihr und ziehen ihr Innerstes nach außen an die Oberfläche ihres Leibes;
sie ist in die Verfügung der Blicke übergegangen. Diese sind es, die
die Gefangene bewegen. Sie sieht nichts, sie wird gesehen.
Als sie das Verhörzimmer
betreten, wird sie zu einem Stuhl geführt und niedergesetzt, die Kapuze wird
abgenommen, und sie sieht in das grell-blendende Licht der Schreibtischlampe.
Obgleich dieser Vorgang schon vielmals sich wiederholt hat, schmerzt das Licht
doch immer wieder ihre Augen.
Nach und nach erkennt sie
die Begrenzung des großen Schreibtisches, hinter dem in einigem Abstand der
verhörende Offizier sitzt. Von der Schwärze des hinteren Zimmerbereichs heben
sich die Umrisse seiner Gestalt nur unmerklich ab. Auf der gegenüberliegenden
Zimmerwand mit der Eingangstür, im Rücken der Gefangenen, beginnen zwei Schatten
ein groteskes Spiel, immer dann, wenn die Lampe bewegt wird. Den einen Schatten
wirft die Lampe selbst, der andere gehört der Gefangenen.
Die Befragung beginnt. Die
Stimme des befragenden Offiziers ist ihr wohlbekannt. Eine unangenehme Stimme
ist es, hoch-heiser und ein wenig porös, als wären nasse Sandkörner hineingeraten.
Und obgleich die Gefangene die Worte versteht, ist es ihr so, als könne der
Klang des Gesagten die grellweiße Lichtschranke nicht passieren und falle
dorthinten im Dunkeln zu Boden. Wenn sich der Verhörende ein wenig bewegt,
sein Kopf etwa von links nach rechts und wieder zurück geht, so sieht sie
nur eine schwarze Kugel.
Die schwarze Kugel spricht
- immerzu, leidenschaftslos.
Aus dem, was die Kugel sagt,
kann die Gefangene entnehmen, daß man dort draußen in der Welt erfolgreich
war: Freunde wurden entdeckt und haben ausgesagt, nicht weil sie es wollten,
sondern weil sie es mußten. Zug um Zug zerrt man ans Licht, was im Verborgenen
liegt; kein Winkel bleibt unausgeleuchtet, keine Dunkelheit unerhellt – so
frißt sich das Licht vorwärts.
Aber etwas, nur etwas haben
sie noch nicht entdecken können: den Namen des Geliebten. Der blieb ihr und
soll ihr bleiben – und koste es das eigene Leben.
„Das alles aber wird offenbar,
indem es vom strafenden Licht aufgedeckt wird“
(Eph 5,13a).
Liebe Gemeinde,
ein anderes Zimmer an ganz
anderem Ort.
Da ist jemand aus der Gemeinde
erkrankt, schwer erkrankt. Der Kranke ruft einige der Gemeinde zu sich, und
wenn wir uns an das halten, was wir aus dem Brief des Jakobus in der Lesung
hörten, so sind die Gerufenen solche, die die Gemeinde repräsentieren, also
Mitglieder des Presbyteriums. Aber gleichviel, ob es Presbyterinnen und Presbyter
oder andere sind: es sind Menschen aus der Gemeinde. Öl bringen sie mit, den
Kranken zu salben, und mehr noch bringen sie mit: Gebetsstärke und G“ttvertrauen.
Und: seelsorgliches Feingefühl.
Etwas Wundersames begibt
sich in diesem Krankenzimmer, eine Entdeckungs= reise und Aufklärung ganz
eigener Art. Zeit ist da, einander und dem Kranken zuzuhören. Zeit, miteinander
und mit dem Kranken zu sprechen. Weil alle, die sich dort im Krankenzimmer
versammelt haben, auf G“ttes Schutz trauen, trauen alle auch einander. So
können sie frei miteinander sprechen.
Behutsam tastet man sich
im Gespräch vor: ob die Erkrankung vielleicht doch mehr sei als eine bloße
Krankheit des Leibes – ob es nicht so sein könne, daß eine gequälte Seele
im erkrankten Leib aufschreit, weil anders sie sich nicht zu helfen wußte.
Ob eine Lebensgeschichte mit ihren Entbehrungen und Verfeh-lungen sich in
der Krankheit nicht eine, ihre Gestalt geschaffen habe.
Behutsam geht solche Entdeckung
vor, was heißt, daß sie darauf achthat, den Kranken nicht zu überfordern.
Über durchaus mehrere Stationen könnte sie sich erstrecken, und dieser besondere
Besuchskreis käme dann mehr als einmal.
Miteinander sprechend, ergeben
sich die Deutungen und Interpretationen der bisherigen Lebensgeschichte und
gehen im Gespräch hin und her, manche bewähren sich, einige werden verworfen.
Langsam und allmählich formt sich genauer, worauf man sinnvollerweise noch
hoffen kann, worum man rechtens noch beten solle. Und wie die Deutungen die
Lebensgeschichte des Kranken aufdecken, so bringen sie auch das Leben der
Anderen, die da zum Gespräch gekommen sind, ins Offene.
Denn, nicht wahr, mit jeder
Deutung, die wir für andere haben, sagen wir auch etwas über uns selbst aus.
All dies geschieht im Schutzbereich
des g“ttlichen NAMENS, des NAMENS, der da lautet:
Ich bin da und Ich werde
bei euch sein. Ich, Der Ich in den Höhen throne und tief drunten bei den Demütigen
und Zerschlagenen bin.
Mein Antlitz ist freundlich
und licht, und in seinem Licht seht ihr einander an.
Und wenn wir einander im
Licht Seines freundlichen Antlitzes ansehen und einander annehmen, wie ER
uns angenommen hat, dann füglich ist möglich, wovor wir uns so ängstigen und
was uns schwerer als alles andere fällt: unsere Verfehlungen aufzudecken und
einander um Vergebung zu bitten.
Immerhin, nicht weniger
als unserer Auferstehung zum Leben verspricht uns die Bibel davon:
„Wach auf, der
du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird Christus dir als Licht
aufgehen“ (Eph 5,14).
In der vierten Strophe des
letzten Liedes habe wir gesungen:
„Noch manche Nacht wird
fallen / auf Menschenleid und –schuld. / Doch wandert nun mit allen / der
Stern der Gotteshuld. / Beglänzt von seinem Lichte, / hält euch kein Dunkel
mehr, / von Gottes Angesichte / kam euch die Rettung her.“
Das Lied schrieb Jochen
Klepper im Jahre 1938, als die Herrschaft der Nationalsozialisten die Nacht,
die über Deutschland sich gesenkt hatte, mit allerlei bösartigem Licht und
Feuer erhellte. Am Ende des Lebens, seines wie dem seiner Familie, kurz vor
ihrem gemeinsamen Freitod, sagte Jochen Klepper:
„Gott ist barmherzig, der Mensch ist es nicht.“
Und, so wäre fortzufahren,
diktatorische Gesellschaftsverhältnisse sind besonders dazu angetan, daß menschliche
Unbarmherzigkeit herrschend werden kann. Es beginnt mit dem Freund-Feind-Schema,
das alle Differenzierungen, alle Zwischentöne auslöscht. Wo die Einen im Licht
stehen, werden alle Anderen in den Schatten gestellt. Wo sich die Einen das
Reich des Guten zuteilen, bleiben für die Anderen nur die Werke der Finsternis.
Und um gleich dieses Schwarz-Weiß-Schema
aufzubrechen, demzufolge immer die Anderen Bewohner der Finsternis seien,
genau deshalb, weil stets die Anderen so grob Licht und Schatten zuteilten,
bemerken wir hier durchaus selbst- und christentumskritisch: gerade unsere
christliche Tradition schleppt von ihren Anfängen bis in die Gegenwart die
Last der Selbstgerechtigkeit. Aus dem gnadenvollen Zuspruch Christi,
der da sagte: Ihr seid das Licht der Welt,
drehte sich die Kirche einen
Satz des Besitzes heraus, als gäbe es da überhaupt etwas zu haben und
zu besitzen, als könnte man über das Licht der Welt verfügen, weil man Christus,
das Licht, zum Herrn habe. Und so fiel dem Dunkel der Vergessenheit anheim,
dieses Licht doch nur zu Lehen zu haben, eine kostbare Gabe aus dem Volk unseres
Herrn, aus Israel – welches Volk die Bibel das Licht der Völker nennt.
Und auch unser heutiger
Predigttext gehört in diese christliche Verstrickungsgeschichte kirchlicher
Selbstgerechtigkeit – so verführerisch nah nämlich ist die Zusage „Ihr
seid Licht und wandelt als Kinder des Lichts“ dem Besitz-Satz „Wir
sind Kinder des Lichts“.
So verführerisch nah und
doch durch einen Abgrund getrennt.
Denn Eines ist es, G“ttes
Sonne der Gerechtigkeit von Seinen Himmeln diebisch zu sich herunter zu holen,
das gerade Gegenteil aber, sich alle eigene Sicht aus G“ttes Helle geben
zu lassen, aus dem ersten Licht der Schöpfung, von dem es heißt: daß es gut
war.
Und zum Schluß ein Wort
über die Demut und für die Demütigen, also die, welche geduldig warten und
alles erwarten. Das Wort stammt vom Meister Eckart, dem tiefen deutschen Mystiker,
und es lautet so:
„Es ist ein Etwas in der
Seele, das ist mit Gott versippt, daß es mit ihm eins ist...das Fünklein der
Seele, das da ist geschaffen von Gott und ist ein Licht, der Seele von oben
eingewirkt“.
Schauen wir, daß dieses
Fünklein nicht verlischt, vielmehr leuchtet, und schauen wir, daß wir die
Funken, die in allen Geschöpfen G“ttes geborgen sind, erkennen und heben,
tun wir das mit dem solidarisch-liebevollen Blick, der uns mit allem Geschöpflichen
versippt – und tun wir es,
auf daß G“ttes Ehrenschein
strahlt
und Sein Antlitz leuchtet.
Amen.
Und der Friede G“ttes,
der höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
Liturgie des
G''ttesdienstes