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"Heil unsrem Gott, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm!"

Predigt über Apk 7,9-17

Brigitte Gensch

EYCK, Jan van: The Ghent Altarpiece: Adoration of the Lamb (detail)

Gnade sei mit euch und Friede, von G"tt, unserem Vater, und dem Herrn
Jesus Christus!

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht in der Apokalypse des Johannes,
im 7.Kap., Vers 9-17.

Liebe Gemeinde!

Eine merkwürdige, himmlische Versammlung haben wir da zu Gast, heute am 2.Weihnachtstag.
Von Weihnachten kommen wir her. Unser Blick, zuvor noch adventlich auf die Himmel gerichtet, wurde von G"tt aufs Nahe, ja Niedrige und Geringe umgebogen: dort in den Stall zu Betlehem. Nun aber reißt die Vision des Sehers Johannes unseren Blick erneut nach oben. Die Himmel öffnen sich und lassen ihr Innerstes sehen: um den Thron des ewigen G"ttes sind die Erlösten aus der ganzen Menschheit versammelt; mit Lobgesängen dienen sie IHM, ohne Unterlaß.
Doch nicht nur nach oben geht der visionäre Blick, sondern weiter, nach vorne, vorwärts hin auf das Ende der Geschichte selbst, jedenfalls soweit sie eine Geschichte ist, in der Menschen leiden: Hunger und Durst, die Gluthitze der sengenden Sonne werden nicht mehr sein, überhaupt wird dann nichts mehr "zum Heulen" sein. Ganz Konkretes und Irdisches gibt uns die Vision zu hoffen, auf daß der Himmel nicht an seiner eigenen Jenseitigkeit dumm werde, sich wie eine Buchrolle zusammenrolle und davonmache. So aber halten ihn die alten prophetischen Hoffnungen Israels an der Erde fest, auf daß beide, Himmel und Erde, erneuert werden:
"Wie im Himmel so auf Erden".

Wo um Himmels willen sind wir, wo stehen wir?
Um die Zeitspanne von Weihnachten an bis Neujahr zu bezeichnen, gebrauchen wir manchmal die etwas rätselhafte Wendung "zwischen den Jahren". Und wir meinen es wohl so, daß sich da zwei Zeitordnungen verschränken: schon stehen wir im Neuanfang, den G"tt mit uns gemacht hat, noch aber auch im alten Jahr der Welt.
Unleugbar weckt der nahebevorstehende Jahreswechsel Befürchtungen und Erwartungen, die unter- schiedlicher kaum sein können. Vom Begriff "Millenium" abgesehen, fällt zur Zeit kein Wort häufiger denn das Wort "Apokalypse". Ein Gespenst geht um in der Welt: das Gespenst der Endzeit-Angst.
Krisen- und Katastrophenszenarien umlagern uns. Gegen das Gespenst ziehen einige mit den Waffen der Vernunft zu Felde: "Entspannt Euch", rufen sie uns zu, "nur ein paar Nullen kommen da auf Euch zu; alles Zufall und bloß der Rechenfehler der Kalendermacher."
Mir aber will scheinen, daß diese tapferen Verteidiger der Vernunft nur ihre eigene Angst beschwichtigen wollen.
Andere wiederum erblicken im Datum 2000 das Fanal einer Katastrophe mit kosmischen Ausmaßen. Der drohende Weltensturz fasziniert und erschreckt sie gleichermaßen. Manche Christen gar, die sich an der Bilderwelt der biblischen Apokalypse berauscht haben, nehmen das Christusjahr 2000 etwas zu wörtlich: sie reisen nach Jerusalem, um auf dem Tempelberg kollektiven Selbstmord zu begehen. Damit und mit anderen Wahnsinnstaten wollen sie die Wiederkunft Christi beschleunigen, ja herbeizwingen. Seit Monaten bereits haben die israelische Polizei und Psychiarie gut zu tun.
Doch jenseits dieser Extreme spüren wohl die meisten von uns: wir leben in Zeiten des Umbruchs, der ökologischen und ethischen Herausforderungen.

Vor exakt 100 Jahren, also Ende 1899, notierte R.M.Rilke in sein "Stundenbuch": "Man fühlt den Glanz von einer neuen Seite, auf der noch alles werden kann." Verflogen ist solcher Zukunftsoptimismus am Ende dieses Jahrhunderts.
Zwei Beispiele möchte ich Ihnen, liebe Gemeinde, geben.
> Ca. 5 Milliarden ha unseres Planeten sind landwirtschaftlich nicht nutzbar; gut 3 Milliarden davon aufgrund menschlicher Eingriffe. Bis vor einigen Jahren war das Verhältnis zwischen selbstverschuldeter Wüste und landwirtschaftlicher Nutzfläche ausgewogen. Nun aber verschiebt es sich mehr und mehr zugunsten der Ödnis:
die Wüsten wachsen, und die Anzahl derer steigt, die von Hunger und Durst, von Sonne und Glut betroffen sind.
> Und das zweite Beispiel: erstmals ermächtigen Genetik und Gentechnologie den Menschen dazu, seine eigene Evolution in den Griff zu nehmen und planmäßig zu steuern. Die nächsten Jahre und Jahrzehnte werden entscheiden, ob unsere Weisheit und Moral hinreichen, diese Selbstermächtigung zu bestehen. Nicht mehr und nicht weniger als die Ebenbildlichkeit G"ttes stehen dabei auf dem Spiel.
Gut wäre es, wir nähmen unsere Angst und Besorgnis ernst. Sie könnten uns dann aufschließen, worum wir uns ängstigen und worauf wir hoffen, immer noch. Stattdessen aber flieht unsere Gesellschaft in die Vergötzung des Hier und Jetzt.
"Lasset uns essen und trinken! denn morgen sind wir tot!" - so lästerten bereits die übermütig-verzweifelten Zeitgenosses des Propheten Jesaja.
"Nur keine Panik auf der Titanic" - beschwichtigen die heutigen. Mag der Lxusliner auch schon kollidiert sein und sich zur Seite neigen, die Bordkapelle spielt weiter. Ihr Gedudel ist zum obszönen Symbol einer Spaßgesellschaft geworden, dich sich nicht einmal vom eigenen Untergang die gute Laune verderben lassen will.
Übrigens: für die Extravaganten und nicht ganz Unbetuchten hat sich die Tourismusbranche einen besonderen Milleniumskick ausgedacht. Dank schneller Jets und Zeitverschiebung kann der Augenblick des Jahrtausendwechsels gleich zweimal erlebt und gefeiert werden. Zuerst in Sibirien mit Kosakentanz, Kaviar und Wodka, anschließend in Fairbanks, Alaska. Verschieden zwar die Orte, gleich aber die Zeit. Was für ein Thrill: einmal so auf der Grenze von Zeit und Ewigkeit zu tänzeln. Denn nicht wahr: dem bösen Vergehen der Zeit ein Schnippchen schlagen, den einmaligen Augenblick wiederholbar machen - reicht das nicht an die Ewigkeit?
"Amen! Das Lob und der Ruhm und die Weisheit und die Danksagung und die Ehre und die Macht und die Stärke gebührt unrem Gott in alle Ewigkeit. Amen."
So preisen die Engel um den himmlischen Thron ohne Unterlaß. Vor der Ewigkeit G"ttes zergeht alle Vergötzung des Augenblicks.

Liebe Gemeinde,
ich lade Sie nun ein, die Vision des Sehers etwas genauer zu besehen; versuchen wir, uns in ihrer verrätselten Bilderwelt zurechtzufinden.

> Mitten vor dem Thron, in nächster G"ttesnähe, steht das Lamm, also Christus.
Keine der so zahlreichen Bilddarstellungen der Offenbarung versäumte es, dem Lamm das Kreuz beizugeben. Denn nicht der triumphierende Christus steht dort inmitten, sondern das Opfer: zu Unrecht verklagt, verurteilt und von der Welt an den Kreuzgalgen gehängt. So bleibt dem Himmel dort in seiner innersten Mitte die irdische Leidensgeschichte eingezeichnet.
> Dem Lamm zunächst dienen die vier Wesen und die 24 Ältesten - wie ein erster konzentrischer Ring umkreisen sie den Thron G"ttes.
Wer sind diese? Löwe, Stier, Mensch und Adler: so gestaltig sind die 4 Wesen; vielleicht Tierkreissymbole, vielleicht besonders herausgehobene Engel - die Gelehrten streiten sich da. Unsere Kirchenväter allerdings deuteten sie als die vier Evangelisten.
Und die 24 Ältesten? Eine Art himmlisches Presbyterium: bekrönt auf 24 Thronen sitzend, dienen sie G"tt als SEINE Priester und bringen die Gebete SEINER Frommen dar. So spiegeln sie den irdischen Tempeldienst in Jerusalem wider, auch dort verteilt sich der G"ttesdienst auf 24 Dienstabteilungen.
> Ein zweiter Kreis umgibt den Thron, die Schar aller Engel. Wie die Glieder einer Kette reihen sich 7 Preisungen zu einem Hymnus: Lob, Ruhm, Weisheit, Danksagung, Ehre, Macht und Stärke.
Die symbolischen Verästelungen der Zahl 7 sind gerade in der Johannesapokalypse kaum zu überschauen. Aus der Vielzahl möchte ich uns nur eine Bedeutung herausgreifen: so wie in den Schriften der jüdischen Apokalyptiker der siebenarmige Leuchter, die Menora, das Widerstandssymbol gegen die Weltmacht Rom war, so verschlüsselt auch Johannes den christlichen Widerstandswillen der bedrängten Gemeinden in der Zahl 7. Der siebengliedrige Engelsgesang enthüllt sich als Kampfansage an Rom.

"Ein Buch mit sieben Siegeln": Sie kennen gewiß diese Wendung, auch so ein Bildwort aus der Offenbarungsschrift. Ein versiegeltes Buch kann man nicht lesen, es sei denn, man bricht das Siegel auf. Und nur das Lamm, das Opfer, ist würdig, das versiegelte Buch zu öffnen; das Buch, darin die ganze Weltgeschichte aufgeschrieben ist. Das Lamm enthüllt den inneren Sinn der Geschichte. Was es mit ihr auf sich hat, welche Mächte sie regieren, das erfuhr es am eigenen Leib. Anders gesagt: Geschichte wird kenntlich aus der Opferperspektive - so möchte ich das Wort "Apokalypse" verstehen.
Und deshalb ist es auch folgerichtig, daß das Lamm den fast endlosen Zug der Opfer anführt und einer großen Wiedergutmachung entgegenführt. Noch einen dritten Kreis nämlich gibt uns die Vision zu sehen.
"Darnach schaute ich auf, und siehe da, eine große Menge, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen, die vor dem Thron und dem Lamm stand, angetan mit weißen Kleidern, und Palmen in ihren Händen. Und sie riefen mit lauter Stimme:
`Heil unsrem Gott, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm!´"

Woher kommen all diese Menschen? "Aus der großen Trübsal", antwortet einer der Ältesten unserem Seher. Aus Verfolgung, Unterdrückung und Martyrium kommen sie her. Ihre Kleider, und gewiß nicht nur ihre Kleider, zeigen die Spuren des Erlittenen. Nun widerfährt ihnen erstmals Recht, all denen, die da in der alten Welt unter die Räder kamen. Unser Seher faßt diese Umkehrung in das paradoxe Bild, daß die befleckten Gewänder im Blut des Lammes weiß und rein gemacht werden. Warum im Blut des Lammes? Weil der Tod des vor G"tt Gerechten das Unrecht der Welt offenbart. Doch nicht nur rückwärts, bezogen auf vergangenes Unrecht, geschieht Wiedergutmachung, auch vorwärts, zukünftig: wer jetzt hungert, wird gesättigt werden, wer Durst leidet, wird an die Wasserquellen geleitet werden, Sonne und Gluthitze werden nicht mehr treffen; da wird überhaupt gar nichts mehr "zum Heulen" sein.

Und die Täter? Ihrer wartet der zweite und ewige Tod, so heißt es fast am Schluß der Johannesoffenbarung. Im grausigen Bild werden sie von jeglicher Hoffnung abgeschnitten.
Und das Gros derer, die weder eindeutig Täter noch Opfer sind, die ein wenig Lauen und oft Gleichgültigen, aber auch die, die nicht die Kraft zum Widerstand, zum klaren Nein aufbringen, oder die, denen - G"tt sei Dank - Verfolgung und Bedrängnis erspart geblieben sind; also die sehr Vielen unter uns?

klee "angelus novus"Für uns hat die Apokalypse des Johannes keine Bilder, hat sie deshalb aber auch keine Hoffnungen für uns?
"Um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben". Dieser Satz stammt von dem jüdischen Philosophen Walter Benjamin. Auch er ein Opfer. Als er für sich nichts mehr hoffen konnte, wählte er den Freitod; 1940 dort in Port-Bou, an der Grenze zu Spanien auf der Flucht vor den Nazischergen.
Erlösungshoffnung, die sich nur am eigenen Dasein entzündet, ist ohne jedes Recht. Entzündet sich unsere Hoffnung aber am Leid der anderen, so haben auch wir teil an dem, worauf wir für jene hoffen.
"Um der Hoffnungslosen ist uns die Hoffnung gegeben", dann auch uns.

Amen.

Der Friede G"ttes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

2.Weihnachtstag 1999


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