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Kanzelgruß: Gnade sei mit euch und Friede von G"tt, unserem Vater,
und von unserem Herrn Jesus Christus!

Liebe Gemeinde,
es ist Sommer, und damit Urlaubszeit, Ferienzeit: einige von uns haben die ersehnte Unterbrechung alltäglicher Routine schon genossen, einige – wie ich auch – warten ihr freudig entgegen. Aber ganz gleich, ob schon Erinnerung oder noch Erwartung, mit der Ferienzeit verbinden wir hochgespannte Wünsche und nichtalltägliche Sehnsüchte. Wir verreisen, denn Fremdes und noch Unerfahrenes soll uns anmuten; wir sind neugierig und hochgestimmt, denn wir erwarten eine verdichtete Zeit, die zwar kurz, wie immer viel zu kurz ist, aber doch nach innen ausgedehnt, intensiv – so nennen wir das.

Wir möchten etwas erleben, das unseren Alltag heilsam unterbricht und uns auch dann, wenn uns sein Grau und seine Wiederholung erneut eingeholt hat, noch etwas läßt, von dem wir zehren können. Erinnerungen : Wegzehrungen für die Rückreise und die alltägliche Lebensreise.
Und längst sind wir modernen Menschen, zumal in den reichen Ländern, zu Virtuosen darin geworden, unserer Lebenszeit ein Maximum an sog. „Erlebnisqualität“ abzugewinnen. Und gewiß wird auch so manche Erlebnissuche von der verzweifelten Gier angetrieben, jetzt und heute alles erfassen zu wollen, weil schon morgen es mit allem nichts mehr sein könne.

Doch lassen wir für heute einmal unbeleuchtet, ob maßlose Gier oder maßvolle Sehnsucht uns nach einem Erlebnis und Ereignis streben läßt; das jedenfalls steht fest: jedem Ereignis, wenn es uns denn wirklich zufrieden stellt, eignet etwas, das wir nicht selbst machen können. Das Glückhafte, das trägt und von dem wir zehren, das entzieht sich unserer Verfügung und unserer Planung. Ein geistvoller Dialog, eine Liebesbegegnung, ein engagierter Streit – was daran und darin Fluidum, Atmosphäre und Geisthauch ist, das ist unserem Machen entzogen. 

Und nun, liebe Gemeinde, lese ich Ihnen - endlich - den Predigttext für den heutigen Sonntag vor, die Geschichte einer wirklich glückhaften Reisebegegnung. 
Sie steht in der
Apostelgeschichte 8, VV. 26-39.

26 Ein Engel des Herrn aber redete zu Philippus: Mache dich auf und geh gegen Mittag auf die Strasse, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt; die ist einsam. 
27 Und er machte sich auf und ging hin. Und siehe, da war ein Aethiopier, ein Hofbeamter, ein Machthaber der Kandace der Königin der Aethiopier, der ihre ganze Schatzkammer verwaltete; der war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten. 
28 Er befand sich nun auf dem Rückweg und sass auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja. 
29 Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hinzu und halte dich in der Nähe dieses Wagens! 
30 Da lief Philippus hinzu und hörte ihn den Propheten Jesaja lesen. Und er sagte: Verstehst du auch, was du liesest? 
31 Er aber sagte: Wie sollte ich es denn können, wenn mich niemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen. 
32 Der Inhalt der Schriftstelle aber, die er las, war der: «Wie ein Schaf ward er zur Schlachtung geführt, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. 
33 In seiner Erniedrigung ward sein Gericht aufgehoben. Wer wird seine Nachkommenschaft aufzählen ? Denn hinweggenommen von der Erde wird sein Leben.»
34 Der Hofbeamte aber wandte sich an Philippus und sagte: Ich bitte dich, von wem sagt dies der Prophet? von sich selbst oder von einem ändern?
35 Da tat Philippus seinen Mund auf und begann mit dieser Schriftstelle und verkündigte ihm das Evangelium von Jesus. 
36 Als sie aber des Weges weiterzogen, kamen sie an ein Wasser. Und der Hofbeamte sagte: Siehe, hier ist Wasser; was hindert mich, getauft zu werden?(..)
38 Und er liess den Wagen anhalten, und sie stiegen beide in das Wasser hinab, Philippus und der Hofbeamte, und er taufte ihn. 
39 Als sie aber aus dem Wasser heraufgestiegen waren, entrückte der Geist des Herrn den Philippus, und der Hofbeamte sah ihn nicht mehr; denn er zog freudig seines Weges.

„Denn er zog freudig seines Weges“. 
So schließt unsere erfreuliche Geschichte, und der Schluß benennt auch das Wichtigste, nämlich daß ein Mensch von Grund auf erfreut und zufrieden seinen weiteren Weg gehen wird, aus tiefstem Herzens- und Seelengrund fröhlich.

Wie kommt es zu diesem Glück?
Prolog im Himmel: ob G"tt selbst Weisung an Seinen Engel und an den G"ttlichen Geist gibt, das können wir nur vermuten; jedenfalls macht man sich himmlischerseits auf, ein Engel und der Geist des Herrn, wie es heißt, sich einem Mann zuzugesellen, dessen Namen wir nicht erfahren, wohl aber seinen Stand und Beruf. Der anonyme Mann ist ein hoher Beamter am äthiopischen Königinnenhof, er ist der Finanzminister, gebietet also über Schatz und Kasse des äthiopischen Hofes.

Der, der geist- und engelgesandt zu ihm sich gesellt, heißt Philippus und ist einer der Apostel. Und übrigens - wenn Sie mir auf einen kurzen Nebenweg folgen wollen - ist es durchaus mit Absicht, daß der Gesandte Philippus heißt.
Wer sich ein wenig mit den Briefen des Paulus auskennt, weiß, daß Paulus aus tiefer Not und bedrängender Gefangenschaft an seine Gemeinde der Philipper einen Brief schreibt, einen Brief, in dem Paulus eindringlich die Freude preist, die unzerstörbar ist, weil sie in Christus ihren Grund hat. Und bestimmt hat der Verfasser der Apostelgeschichte, Lukas nämlich, an diese paulinische „Ode an die Freude“ gedacht, als er Philippus zum Sendboten wählte.

Aber kommen wir auf die Hauptstraße unserer Geschichte zurück. Philippus wird auf eine Straße geschickt, die von Jerusalem abwärts nach Gaza führt. Einsam ist es, kein Publikumsverkehr, keine mithörende und mitsehende Menge, ideale Bedingungen also für eine doch recht intime Begegnung. Intim, aber nicht aufdringlich: denn der Geist weist Philippus an, sich in der Nähe des Reisewagens zu halten, sozusagen in Halbdistanz, gerade nah genug, um zu hören, was der Hofbeamte liest, aber noch nicht so nahe oder dem Beamten schon vor Augen, daß dieser sich in seinem Lesen gestört und beobachtet fühlte.

Ich stelle mir vor, daß unser Philippus eine Weile so in Halbdistanz dem Reisewagen folgt, aufmerksam hörend, ein ungesehener Reisebegleiter, diskret, aber verläßlich und stetig.
Und nun zur Hauptperson der Geschichte, um dessen endliche Freude sich ja alles dreht. Von Stand und Beruf des Beamten sprach ich Ihnen schon. Mächtig ist er, sehr mächtig, denn er gebietet über das Geld des äthiopischen Staates.

Aber er ist auch versehrt, verstümmelt, ein „eunuchos“, wie es im griechischen Originaltext heißt, also ein Entmannter, ohne sexuelle Identität, ohne Familie und also einsam. Und alle Machtfülle und gesellschaftliche Anerkennung können die innere Leere nicht ausfüllen, die er verspürt. Etwas Wesentliches fehlt, er spürt es, er sucht es. So macht er, der Heide aus Äthiopien, sich auf, um nach Jerusalem zu wallfahren und dort im Tempel den G"tt Israels anzubeten. Was genau seine Sehnsucht geweckt hat, sich auf den langen Weg zu machen - immerhin sind es von Äthiopien nach Jerusalem etliche Tausend Kilometer - das wissen wir nicht. 
Welche frohe Botschaft es war, die ihn aufbrechen ließ, wir können sie nur vermuten. Vielleicht war es die Verheißung, der G"tt Israels wolle diese Welt noch einmal ganz neu verwandeln. 
Vielleicht tröstete ihn die Zusage, der G"tt der Bibel sei kein Despot im fernen Himmel, sondern ein G"tt, der mit den Menschen im Bunde und ihr Gesell sein wolle, vielleicht machte ihn das Wort der Propheten staunen, G"tt werde den Verschnittenen und also Kinderlosen ein Denkmal und einen Namen bereiten (Jes 56, „Jad waSchem“).

Und was immer er in Jerusalem und im Tempel erfuhr und hörte, seine Erwartungen und Sehnsüchte wurden nicht enttäuscht. Denn er verschafft sich eine Buchrolle, um - nun schon auf der Rückreise - in der Schrift zu lesen.
Er will das Erfahrene vertiefen, will es genau und immer noch genauer wissen.
Aber er versteht nichts, allein wie er ist. So viel er auch sonst vermag und bewirken kann, so sehr er sich auch jetzt müht, die Schrift bleibt tot und unverständlich.

Da tritt Philippus herzu und fragt den Schatzmeister: „Verstehst du auch, was du liest?“ Freundlich und einfühlsam stellt er seine Frage, so daß der Beamte sich öffnet: „Wie kann ich denn verstehen, wenn niemand mich anleitet. Ich habe so viele Fragen, auf die ich keine Antwort weiß. Bitte steige du doch herauf auf meinen Wagen und hilf mir zu verstehen.“
Ein Dialog beginnt, die Keimzelle eines Bibelgesprächskreises – so könnte man sagen. Frage und Antwort, Deutung und erneute Frage und schließlich Verkündigung; eins ergibt das andere, keines ist ohne das andere. Und so treibt diese kleine Dialogszene gleich mehrere Mißverständnisse aus. Eines dieser Mißverständnisse z.B. lautet, man könne die Schrift allein so für sich verstehen und so für sich gläubig sein.

Nein, das Gegenteil ist der Fall: Verstehen braucht Gesellschaft – daß wir uns fragend und antwortend und erneut fragend einander zugesellen. Nur so wird die Schrift lebendig. Und wiederum wird unsere Gemeinschaft nur dann auf Dauer lebendig, wenn wir uns nicht nur aufeinander, sondern eben gleich leidenschaftlich auch auf die Schrift beziehen. Denn sie bringt uns auf die Gedanken, Hoffnungen und Werke, auf die wir ohne sie nicht kämen – und also werden wir durch die Schrift lebendig.
Der Text, den unser Beamter liest, ist ein sehr berühmter, wir hörten ihn vorhin in der ersten Lesung, und wir hören ihn so manchen Karfreitag. Dem Propheten Jesaja wird er zugeschrieben; eine traurige, eine todtraurige Geschichte erzählt er: jemand gerät unschuldig ins Gericht. Da ist kein Verteidiger, da ist keine protestierende Öffentlichkeit, nicht einmal die Selbstverteidigung des Opfers. Stumm und klaglos geht es seiner schmachvollen Hinrichtung entgegen. Und weil es keine Nachkommen hat, wird es spurlos aus dem Lande der Lebendigen hinweggetan sein – wie gesagt, eine todtraurige Geschichte.

Philippus aber legt sie für den Hofbeamten so aus, daß er beginnt, von Grund auf erfreut zu sein. Und wieder läßt uns der Predigttext im Ungenauen und reizt unsere theologische Phantasie, ihn mit unseren Vermutungen zu ergänzen.
Es heißt ja nur, Philippus verkündigte das Evangelium von Jesus, also etwa so:
daß für dieses Mal G"tt alles, Seine ganze Schaffenskraft daran setzte, dieses Opfer nicht der Endgültigkeit des Todes zu überlassen, sondern zum Leben zu befreien. Daß G"ttes Solidarität und Versöhnungskraft weiter und noch dorthin reicht, wo all unsere menschlichen Anstrengungen schon längst erlahmen mußten. Und daß G"tt nichts und niemanden verloren gibt und Sein Engagement noch hinter die Pforten der Hölle reicht (vgl. die zweite Lesung aus dem Petrusbrief)
Und vielleicht lassen auch Sie sich reizen, weiter auszudenken und weiterzuspinnen, was alles Erfreuliches Philippus unserem Finanzminister zugesprochen hat – aber tun Sie es mindestens zu zweit!

Nun aber erzählt uns die kleine Reisegeschichte noch eine letzte Station.
Der Hofbeamte nämlich zieht eine Konsequenz. Nicht flüchtig und einmalig soll der Kontakt mit dem Evangelium sein, sondern bleibend-dauerhaft will er sich mit der frohen Botschaft verbinden. So begehrt er die Taufe:
„Hier ist doch Wasser, steht etwas dem entgegen, getauft zu werden?“
Und wieder geht der treue Apostel mit, er tauft den Beamten nicht nur, nein: er steigt - wie es heißt - mit ihm hinab ins Wasser. Er geht dort mit hinab in die Tiefe des Taufgrabes, dorthin, wo der alte Adam - wie Luther so treffend sagte - ersäuft wird, und ich ergänze: die alte Eva auch.
Solidarität bis in den Tod, hier der Tod, den jede Taufe bedeutet. Erstaunlicher Philippus: erst hält er sich in diskretem Abstand zum Reisewagen, läuft beiher und wartet auf sein „Stichwort“. Dann steigt er hinauf auf den Wagen, steht Rede und Antwort, predigt so, daß sein Hörer seinen Glauben bezeugen will, auf Dauer, und hernach steigt er mit hinab. Unser einsamer Machtmensch, der äthiopische Finanzminister, hat seinen treuen Gesellen gefunden.

Liebe Gemeinde,
ist es nicht wunderbar, wie in dieser Geschichte Wort und Tat, die gute Botschaft der Rede und der Handlung zusammenstimmen?
Vielleicht verhält es sich sogar so: unser Apostel hätte noch so schön auslegen und predigen können, wäre sein Tun nicht so achtsam und so passend für den Beamten gewesen, der hätte sich wohl nicht taufen lassen.

Und nun zum Schluß. Da wird der Gesell Philippus vom Geist des Herrn entrückt, und der Hofbeamte sieht ihn nicht mehr – „denn er zieht freudig seines Weges“. Denn? Ja, „denn“: erst als der Geist und Philippus erkennen, daß der Beamte schon fröhlich aufbricht, erst da verlassen sie ihn, keinen Moment früher. Und so bleibt sich die Geschichte von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende treu. Alle ihre wundersamen Wendungen geschehen, auf daß ein Mensch von Grund auf und für die Weile seiner ganzen Lebensreise freudig seines Weges zieht. Wie im Himmel so auf Erden - eine gute Parallele, eine gute Verkettung von vermeintlichen Zufällen bietet G"tt auf, damit da einer glücklich wird. 
Im Himmel: himmlisches Personal wird in Bewegung gesetzt, Geist und Engel, gerade rechtzeitig. 
Und auf Erden: die Straße der Rückreise ist einsam, auf die Philippus gesandt wird, gerade passend für ein wichtiges Gespräch. Und Wasser ist auch da in dieser wasserarmen Gegend, gerade notwendig für die Taufe.

Ich wünsche uns allen, daß wir auf unserer Lebensreise unseren Philippus treffen, der genau zu jedem von uns paßt, falls wir ihn denn noch nicht getroffen haben – so daß wir freudig unseres Weges ziehen. Amen.
Und der Friede G"ttes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

G"ttesdienst vom 14.7.2002 in der Gemeinde 'Bodelschwingh'.

 

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