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Freude am Gesetz
Simchat Tora


5. Mose 30, 9-20

Brigitte Gensch

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Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und 
der da war und der da kommt.

Liebe Gemeinde!

Mose wird bald sterben. Aber bevor er zu seinen Vätern versammelt wird und G"tt selbst ihn im Lande Moab begräbt, zuvor läßt G"tt Mose vom Berge Nebo – das ist östlich des Toten Meeres – vom Berge Nebo herab das ganze verheißene Land schauen. Ein letzter sehnsuchtsvoller Blick also über das Land, in das Israel ziehen wird, das zu betreten aber Mose von G"tt verwehrt ist.

Mose nimmt Abschied von seinem Volk. Er tut es mit einer Trost- und Mahnrede, mit einem Lied und mit einem Segen, der alle Stämme Israels segnet.
Israel wird nun ohne Mose auskommen müssen. Wie oft hatte er es angetrieben, geführt, auch angeherrscht, vor allem aber: wie oft hatte er gut gesprochen für Israel vor G"tt, wie oft war er Fürsprecher für Israel vor G"tt gewesen.
Nun aber muß Mose Abschied nehmen. Nicht mehr er, sondern die Tora, die G"ttliche Weisung wird nunmehr und hinfort Israel leiten.
Und was läßt G"tt Mose über die Tora, das G"ttliche Gesetz, sagen?
"Nicht im Himmel ist es und nicht jenseits der Meere und also unerreichbar für dich, vielmehr: nahe ist dir das Wort, in deinem Munde und in deinem Herzen, daß du es tun kannst."

Nah und erschwinglich sind die Weisungen und Gebote G"ttes, leicht ist das Joch, das Er dir auferlegt, gut und gangbar sind die Wege, die G"tt dir zu gehen weist. Zum Leben führen sie, nicht zum Tod. Ja, mehr und wichtiger noch: zum guten Leben führen sie. Deine Kinder und Kindeskinder wirst du sehen, dein Acker wird reiche Frucht tragen, sicher und unbedroht wirst du im verheißenen Land wohnen.

Liebe Gemeinde,
ich lade Sie ein, mit mir eine kleine Reise zu unternehmen – ich möchte Ihnen nämlich zeigen, wie nah die Tora, das G"ttliche Wort, Menschen kommen kann.
Wir müssen nicht so sehr weit reisen, weder in der Zeit noch im Raum. In der Zeit: reisen wir gute 15 Std. zurück in den gestrigen Samstag Abend. Denn nach biblischer Zeitrechnung beginnt jeder neue Tag am Abend mit dem Einbruch der Dunkelheit. Und im Raum: reisen wir ins gar nicht so ferne Berlin – 4 Std. mit dem ICE, und wir wären da. Mit Ihrer Phantasie aber: nur wenige Sekunden, und wir sind dort.

Heute feiert Israel das Fest der Gesetzesfreude, Simchat Tora heißt es: das Fest der Freude an der Tora.

Die Abende in Berlin sind schon empfindlich kühl, und so tut es gut, von der wohligen Wärme des Raumes umfangen zu werden. Wir betreten den großen Betsaal der Synagoge in der Pestalozzie-Str. Was für ein Gedränge, was für ein Glanz! Viele Kinder, Mädchen wie Jungen, laufen durch die Reihen der Bänke, spielen Fangen um die einige Stufen erhöhte Bima, d.i. das Lesepult vorne an der Stirnseite des Raumes, etwa da, wo in christl. Kirchen der Altar steht.

Die Wangen der Kinder glühen, von der Wärme des Raumes und vom Spiel erhitzt, gewiß aber auch vor Erwartung und Vorfreude. Ihre Augen strahlen, in ihnen spiegeln sich die vielen Lichter, die Lichter der Menorot, der beiden 7armigen Leuchter, die rechts und links von der Bima stehen.
Überhaupt: noch heller und strahlender als sonst erscheint der Raum. Liegt es nur am weißbedeckten Lesepult und am weißen, golddurchwirkten Vorhang vor dem Tora-Schrein?

Viele Frauen, die sonst gerne unten bei den Männern sitzen, gehen heute nach oben auf die umlaufende Empore; schwere Tüten, gefüllt mit Süßigkeiten, halten sie in der Hand. Allmählich findet so jeder und jede einen Platz, zum Sitzen oder zum Stehen – Ruhe kehrt deswegen doch noch nicht ein.
"Scheket, Kinder" (d.h. Ruhe), ruft der Chasan, der Vorbeter in die Runde, "wir wollen anfangen".
Von oben, von der Empore herab ertönt der erste Gesang: "Ma tovu ohaleicha, Jaakov" – "wie schön sind deine Zelte, Jakob, wie schön deine Wohnungen, Israel."

Ja wirklich – heute stimmt das ganz besonders.

Es ist ruhiger geworden, der G"ttesdienst hat begonnen und nimmt den gewohnten Verlauf. Schon sind die täglich zu sprechenden Gebete vorüber, teils gesprochen, teils gesungen, und allmählich nähert sich der G"ttesdienst seinem Höhepunkt, dem Ereignis, auf das alle warten. Der Vorhang des Tora-Schreins wird beiseite gezogen, der Schrein geöffnet, und alle Schriftrollen werden entnommen. Heute, am Tag der Torafreude, bleibt keine der Rollen im Schrank, heute sind alle gleich wichtig, heute sind alle Königinnen, auch die kleineren und kleinen Rollen. Der Rabbiner und der Vorbeter geben sie weiter an die wartenden Männer, bis jede Rolle ihren Träger gefunden hat. Der Zug setzt sich in Bewegung, langsam schaukelnd, die Stufen der Bima herab.

An den wartenden und jetzt stehenden Menschen zieht der Zug vorbei, den ganzen Raum längs bis zum Ausgang; von dort zurückkommend, nun auf der anderen Längsseite, zurück bis zur Bima, dem Lesetisch. Schaukelnd, wiegend und tanzend bewegen sich die Männer, schwer und sanft liegen die Königinnen, die geliebten, die Schriftrollen, in ihren Armen. Silberhell klingen die Schellenglöckchen auf den Kronen, mit denen jede Rolle bekrönt ist.

Jede und jeder der spalierstehenden Menschen versucht, mit dem Gebetbuch eine der Rollen zu berühren, entweder den aufliegenden, kostbaren Silberschild oder den Samt- und Brokatmantel, in den jede Rolle eingehüllt ist.
Unendlich stolz und glücklich schauen die Männer uns an, halten die doch das Kostbarste im Arm, das Israel gegeben wurde.
Während sie so vorbeiziehen, begleitet die Gemeinde sie mit Gesang und Klatschen – der eine oder die andere beginnt auch zu tanzen. Vor und hinter dem Zug her ziehen die Kinder; Süßigkeiten werden ihnen zugesteckt oder von der Empore herab geworfen.

"Wie süß ist deine Rede meinem Gaumen, süßer als Honig meinem Munde", singt der Sänger des 119. Psalms (wir haben ihn zu Beginn unseres G"ttesdienstes gesprochen). Und dem Propheten Ezechiel gibt G"tt gar eine ganze Rolle zu essen, seinen Leib und seine Eingeweide damit zu füllen. Und der Prophet stellt fest:
"Da aß ich sie, und sie wurde in meinem Munde so süß wie Honig."

So lustvoll nahe also kann das Wort G"ttes kommen. Und auch wir Christen kommen wenigstens ab und zu auf den Geschmack; nämlich dann, wenn uns das Psalmwort zum Abendmahl einlädt:
"Kommt, denn es ist alles bereit. Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist."
7x wiederholt sich der Umzug mit den Schriftrollen, 7x sind es andere Träger.

Manchmal werden die Rollen während des Umzuges noch an andere Männer weitergegeben, auf daß jedem die große Ehre zuteil wird. Manchmal auch werden die Umzüge regelrecht versteigert. Ganz stattliche Summen kommen da zusammen für die Ehre, die Tora tragen zu dürfen.
Denn: zur Freude am G"ttlichen Wort gehört unlösbar das gute Tun hinzu; das gesammelte Geld kommt wohltätigen Zwecken zugute – der Diakonie, so würden wir es sagen.

Der 7.Umzug ist beendet, alle Schriftrollen bis auf drei werden wieder in den Schrein zurückgestellt. Zwei Mitglieder der Gemeinde sind heute besonders erwählt. Bräutigam der Tora lautet der Ehrenname des ersten, Bräutigam des Anfanges derjenige des zweiten Mannes. Sie steigen die Stufen zum Lesetisch hinauf, mit ihnen viele Kinder. Über ihnen hat sich ein großes Tuch aufgespannt, einem Hochzeitsbaldachin gleich, befestigt an vier langen Holzstangen. Der erste Bräutigam, der Bräutigam der Tora, beginnt vorzulesen, genauer vorzusingen:
"Und dies ist der Segen, mit dem Mose, der Mann G"ttes, die Kinder vor seinem Tode segnete".

Bis zum Ende des 5. Buches Mose trägt er vor, das vom Tod und Begraben-Werden und von Israels Trauer erzählt. Dann tritt der zweite Bräutigam herzu und beginnt:
"Im Anfang schuf G"tt den Himmel und die Erde."
Die ganze Schöpfungsgeschichte bis zur Erschaffung des 7.Tages, des Schabbat, trägt er vor. Und weil er vom Anfang der Welt erzählt, heißt er eben Bräutigam des Anfangs.

So biegt sich das Ende der Tora sofort und ohne Unterbrechung in ihren Anfang zurück, so verbindet Israel das Ende seiner Wüstenzeit mit dem Anfang der Schöpfung, so schließt sich der Kreis: Ende und Anfang – vielleicht ein Bild der Ewigkeit in der Zeit.

Simchat Tora: vor allem ein Hochzeitsfest – der Bräutigam Israel vermählt sich mit der Königin und Braut Tora; das geistvolle Liebesspiel von Frage und Antwort, das Lernen und Studieren beginnt von neuem.

"Ich kam in den Garten meiner Schwester und Braut, pflückte meine Myrrhe und meinen Balsam, ich aß meine Wabe und meinen Honig, trank meinen Wein und meine Milch. Esset, ihr Freunde, und trinkt und berauscht euch in Liebeslust" – so singt der Bräutigam im Hohelied der Bibel. So sinnlich und unverhohlen erotisch kann es sein, sich mit der Weisung G"ttes, der Braut und Königin Tora zu beschäftigen.

Und wir Christen, wieder zurück von unserer kleinen Reise, wieder hier in Duisburg am Sonntag Morgen?
Hinlänglich irritiert kommen wir von einer solchen Reise zurück; kämen wir zurück, wenn wir sie wirklich unternommen hätten.

Auch wir kennen die Freude am G"ttlichen Wort, am Evangelium. Da steckt die Freude ja schon im Wort:
Euangelion/ Evangelium = frohe Botschaft heißt das übersetzt. Aber Freude am Gesetz?

Sind gerade wir protestantischen Christen nicht so überaus stolz darauf, daß Christus für uns die Freiheit erkämpft hat, die Freiheit vom Zwang des Gesetzes? Und dieser Freiheitsstolz sollte nun falsch sein? Nicht vom Gesetz, sondern zum Gesetz hätte Christus uns befreit?

Ja, liebe Gemeinde,
genau so verhält es sich. So wie G"tt Israel aus der ägyptischen Knechtschaft herausführte und befreite und am Sinai unter das Joch der Gebote führte, so sind auch wir von Ostern her befreit: von den Fesseln des Todes und der Sünde befreit, können nun auch wir das Gesetz G"ttes tun, das Joch der Gebote tragen – denn sanft ist es und leicht seine Last.
Lassen wir uns also anstecken von Israels Freude an der Tora, werden wir neugierig auf die vielen kleinen Einzelweisungen, 613 an der Zahl.
613 Wegzeichen und Geh-Hilfen, 613 Angebote, durch die wir es mit G"tt zu tun bekommen, durch die wir etwas von G"tt selbst erfahren.
Und welche und wiewenige oder wieviele von den so zahlreichen G"ttesschritten wir auch gehen werden, eins ist gewiß: alle führen uns zum guten Leben und ins verheißene Land.

Darum also:
Gelobt seist Du Ewiger, König der Welt, der Du Deinem Volk Israel die Tora gegeben hast.
Gelobt seist Du Ewiger, König der Welt, der Du das Licht der Tora unter die Völker gesandt hast, durch Jesus Christus, unseren Herrn.

Und der Friede G"ttes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.


5. Mose 30, 9-20 (Ü: Buber Rosenzweig)

9 ER dein Gott überlädt dich an allem Tun deiner Hand,
an Frucht deines Leibes, an Frucht deines Viehs, an Frucht deines Bodens,
zum Guten,
denn ER dein Gott kehrt wieder, sich an dir zu ergötzen,
zu Gutem,
wie er sich an deinen Vätern ergötzte:
10 denn du hörst auf SEINE deines Gottes Stimme,
zu wahren seine Gebote und seine Satzungen,
was in diesem Buch der Weisung geschrieben ist,
denn du kehrst um zu IHM deinem Gott
mit all deinem Herzen, mit all deiner Seele.
11 Denn dieses Gebot, das ich heuttags dir gebiete,
nicht entrückt ist es dir, nicht fern ists.
12 Nicht im Himmel ist es, daß du sprächest:
Wer steigt für uns zum Himmel und holts uns
und gibts uns zu hören, daß wirs tun?
13 Nicht überm Meer ist es, daß du sprächest:
Wer fährt uns übers Meer hinüber und holts uns
und gibts uns zu hören, daß wirs tun?
14 Nein, sehr nah ist dir das Wort,
in deinem Mund und in deinem Herzen,
es zu tun.
15 Sieh,
gegeben habe ich heuttags vor dich hin
das Leben und das Gute,
den Tod und das Böse,
16 da ich heuttags dir gebiete,
IHN deinen Gott zu lieben,
in seinen Wegen zu gehn,
seine Gebote, seine Satzungen, seine Rechtsgeheiße zu wahren:
leben wirst du,
wirst dich mehren,
ER dein Gott segnet dich in dem Land, wohin du kommst es zu ererben.
17 Wendet sich aber dein Herz,
hörst du nicht,
lässest dich absprengen,
neigst dich andern Göttern,
dienst ihnen, -
18 ich melde euch heuttags,
daß ihr dann schwinden, schwinden müßt,
nicht werdet ihr Tage längern auf dem Boden,
dahin zu kommen du den Jordan überschreitest, ihn zu ererben.
19 Zu Zeugen habe ich heuttags gegen euch den Himmel und die Erde genommen,
das Leben und den Tod habe ich vor dich hin gegeben,
die Segnung und die Verwünschung,
wähle das Leben,
damit du lebst, du und dein Same:
20 IHN deinen Gott zu lieben,
auf seine Stimme zu hören,
an ihm zu haften,
denn das ist dein Leben und Länge deiner Tage
beim Siedeln auf dem Boden, den ER deinen Vätern, Abraham, Jizchak, Jaakob, zuschwor ihnen zu geben.


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