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"Denn ein heiliges Volk bist du dem Herrn, deinem G-tte!"

Predigt über 5. Mose 7,6-12

Brigitte Gensch

Zisa:  Jerusalem (1996)

Kanzelgruß: "Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus." ( Röm1,7).

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im 5.Buch Mose, im 7.Kap., Vers 6-12.

6: Denn ein heiliges Volk bist du dem Herrn, deinem G"tte! Dich hat der Herr, dein G"tt, für sich erwählt, daß du sein Eigentum seiest, mehr als alle Völker , welche auf der Erde sind.
7: Nicht weil ihr zahlreicher als alle Völker seid, hat der Herr sein Herz euch zugewandt; denn ihr seid das kleinste unter allen Völkern;
8: sondern weil der Herr euch liebt und weil er den Eid hält, den er euren Vätern geschworen, führte der Herr euch mit starker Hand hinaus und befreite dich aus der Sklavenheimat, aus der Hand des Pharaos, des Königs von Ägypten.
9: So weißt du denn, daß der Herr, dein G"tt, "G"tt" ist, der G"tt, dem man vertrauen kann, der den Bund und die Liebe denen bewahrt, die ihn lieben und die seine Gebote hüten, bis ins tausendste Geschlecht.
10: Er bezahlt auch dem, der ihn haßt, aber in sein Angesicht, ihn verloren gehen zu lassen! Er verschiebt es nicht seinem Hasser, in sein Angesicht bezahlt er ihm.
11: So hüte denn das Gebot, die Satzungen und Rechtsordnungen, die ich dir gebiete, heute sie zu erfüllen.
12. So wird geschehen: als Folge davon, daß ihr diese Rechtsordnungen hört und sie achtsam erfüllet, wird der Herr, dein G"tt, dir den Bund und die Liebe wahren, die er deinen Vätern geschworen.

Liebe Gemeinde!

Es ist Urlaubszeit. Alle Welt verreist. Auch ich will sie einladen, mit mir eine kleine Reise zu machen, eine Phantasie- und Zeitreise viele Jahrhunderte zurück in die Vergangenheit, ins alte Israel, wie es so um das Jahr 630 v.Chr. ausgesehen haben mag.

Dort in Jerusalem, in der Davidgasse, nahe dem Tempelbezirk, wohnt Fam. Salomon: Jehuda, der Schuster und seine kluge Frau Schulamith. 5 Kinder haben sie, 3 Söhne –Ruben, der Älteste, Schimon und Benjamin, der jüngste der Söhne – und die beiden Töchter Schoschana und Lea. Lea ist das Nesthäkchen, aber mehr noch liebt Jehuda Schoschana, d.h. übersetzt "die Rose".

Die guten Zeiten Israels sind schon lange vorbei, seit das mächtige Assur Israel unter seine Gewalt gebracht hat. Doch jetzt, da die syrischen Zwingherren noch höhere Abgaben und Steuern einfordern, droht das jüdische Leben in der Davidgasse und nicht nur dort ganz zu ersterben. Viele Familien sind bereits fortgezogen, stattdessen fremde, auch vornehme Leute eingezogen. Sie bringen neue Götter und Kulte mit, beten die Schicksalsmächte des Himmels, die Gestirne, und die Kräfte der Erde an. Eigentlich sind diese Menschen Jehuda verhaßt. Aber wenn man überleben will, muß man da nicht wohl oder übel mit ihnen kooperieren, sich mit ihnen einlassen? Ruben, der Älteste, hat bereits Überlebensschläue bewiesen. Bald wird er eine wohlhabende assyrische Bürgerstochter heiraten. Und so sehr Jehuda seinem Sohn auch alles Glück wünscht, so schmerzt ihn doch der Gedanke, daß die ersten ersehnten Enkelkinder nach dem Gesetz schon nicht mehr jüdisch sein werden. Und Schoschana, seine Rose?

Versprochen war sie ihrem Cousin Ephraim, doch die jüngste Deportationswelle hat Ephraim und seine ganze Familie ins ferne Assur verschlagen. So wird es wohl auch für Schoschana besser sein, einen assyrischen Fremdling zu heiraten.

Gestern brachte Schulamith, Jehudas Frau, ein kleines Bronzebildnis mit nach Hause, erworben für wenig Geld auf dem tempelnahen Markt. Das Götzenbild stellt ein Rossegespann dar, mit dem der assyrische Sonnengott des Tags über den Himmel, des Nachts durch die Unterwelt fährt. Zwar schalt Jehuda seine Frau deswegen, doch auch in seinem Herzen ist da eine Stimme, die ihm zuflüstert: "Mit dem G"tt Israels ist es wohl aus. Du willst es dir nur noch nicht eingestehen, Jehuda, aber wo ist Er denn, der G"tt deiner Väter, warum wirft Er deine Feinde nicht machtvoll zu Boden? Halte dich an die neuen Herren und ihre Götter, ihnen gehört die Zukunft. Sieh doch, wie erfolgreich sie sind."

Immer aufdringlicher wird diese Stimme, vor allem nachts, wenn Jehuda nicht schlafen kann. Eines Morgens, eine dieser quälenden Nächte liegt hinter ihm, geht Jehuda zum Marktplatz. Dort hat sich viel Volk versammelt, um einem Mann zu lauschen, der Neues predigt, nein eigentlich nicht Neues, sondern Altes, aber fast schon Vergessenes. Der Prediger spricht dem Volk die Worte zu, die wir eingangs gehört haben. Auch Jehuda hört sie, sie schneiden ihm ins Herz. Er macht auf dem Absatz kehrt und läuft – so schnell ihn seine selbstgemachten Schuhe tragen – nach Hause....

Liebe Gemeinde, woraufhin wohl kehrt Jehuda um?

Ich denke, weil die Predigtworte ihm schlagartig den Sinn seiner jüdischen Existenz erhellt haben, weil er den Grundstein sieht, auf dem G"tt das ganze Haus Israel errichtet hat:

"Ein heiliges Volk bist du, Israel, deinem G"tt", das meint: Ein Zeuge und Zeichen der Heiligkeit G"ttes selbst bist du, Israel, in der Welt. Heißt es doch an anderer Stelle: "Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr, euer G"tt."

Und noch etwas fiel Jehuda jetzt wieder ein, ein Satz, den er vor langer Zeit gelesen hatte:

"G"tt und Israel sind Zwillinge:" Ein unerhörtes Bild, nicht wahr? Sind doch Zwillinge auf eine ganz besondere Weise einander ebenbildlich, kann man doch an dem einen den jeweils anderen erkennen. So auch verhält es sich mit G"tt und Seinem Volk: beide verweisen aufeinander, spiegeln einander die Heiligkeit zu.

Mögen andere Völker und andere Nationen ihren Daseinszweck in sich selbst tragen, Israels Ziele und Zwecke stehen ganz bei G"tt. Mögen andere Völker und Nationen also selbstbestimmt sein, Israel ist G"ttes Eigentumsvolk: erwählt vor und unterschieden von allen Völkern.

Auch von G"ttes zuvorkommender Liebe hatte der Mann auf dem Marktplatz gesprochen. So anfänglich und zuvorkommend ist G"ttes Liebe zu Israel, daß alles Fragen nach dem Grund dieser Liebe sinnlos-abgründig erscheint. Genauso gut könnte man nach dem Existenzgrund G"ttes selbst fragen, danach fragen, warum G"tt überhaupt existiert.

Eine Liebe von Anfang an: Als G"tt aus dem brennenden Dornbusch heraus Mose dazu beruft, Israel aus dem Sklavenhaus Ägypten in die Freiheit zu führen, da sagt er zu Mose: "Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten wohl gesehen." Es ist das erste Mal in der Hl. Schrift, daß G"tt vom Volk Israel spricht, und sofort geschieht es im liebend-engagierten Zugriff: Mein Volk!

Israel also: G"ttes erste Liebe. Und wie es sich mit der ersten Liebe eben verhält: nicht nur ist sie besonders dauerhaft und hält gar manches Mal ein ganzes Leben lang, sondern auch: an und mit der ersten Liebe lernt man das Lieben überhaupt erst.

Vielleicht gebraucht deshalb der Prophet Sacharja einmal das schöne Bild, Israel sei der Augapfel G"ttes. Wenn uns etwas sehr Wertvolles anvertraut wird, so sagen wir: "Ich will es hüten wie meinen Augapfel. Es soll mir so kostbar wie mein Augenlicht sein."

Aber noch etwas anderes, etwas Biblisches schwingt in dem Bildwort des Propheten mit.

Mit dem Augenlicht nehmen wir die Welt wahr, erkennen wir die Welt, und "erkennen", das wissen Sie vielleicht von Adam und Eva her, "erkennen" heißt "lieben": die beiden ersten Menschenkinder, Mann und Frau, erkannten einander, d.h. sie lernten, einander liebend zu umarmen.

Wohl wahr, G"tt ist der Herr alles Geschaffenen, vor Ihm neigen sich Himmel und Erde, allein, daß Er mit allen Menschen im Bunde sein will, ein Bundesgenosse von uns Menschen, dieses Lieben gewann sich G"tt, als Er Sein Volk sich zum Eigentum erkor – Schoschana, die Rose unter lauter Dornen.

"Gesegnet seist du, Ewiger, König der Welt, der du uns geheiligt hast durch deine Gebote" – so beginnt eine Fülle jüdischer Segenssprüche , um dann jeweils fortzufahren, das konkrete geheiligte Tun zu nennen, z.B.: "und uns geboten hast, das Schabbatlicht zu entzünden."

Einander in Heiligkeit verbunden zu sein, das ist weder ein unbeweglicher Zustand noch gar ein einmal erworbener Besitz, sondern solcher Bund bewährt sich fort und fort im konkreten Tun. Wäre es anders, G"tt und Israel verlören einander aus dem Blick, denn sie wären einander nicht mehr kenntlich. Israel, ein Volk wie alle anderen Völker?.... G"ttes liebender Blick ginge da ins Leere.

So aber umschloß G"tt Seine Rose mit fünf Kelchblättern, sagen die jüdischen Mystiker, welche fünf Blätter die fünf Bücher Mose bedeuten. Auf daß Israel alle Weisungen und Gebote G"ttes in der Welt tue, als Zeuge und zum Zeichen Seiner Heiligkeit.

Und wir Christen?

Lange, viel zu lange hat uns unsere Selbstverliebtheit verblendet und blind gemacht für G"ttes ewige Liebe zu Seinem auserwählten Volk. Statt uns an Seiner Liebe mitzufreuen, verkehrten wir oft, viel zu oft die Verheißungen des Neuen Bundes, indem wir uns das neue und wahre Israel nannten. So stahlen wir Israel die Krone seiner Erwählung und nahmen ihm sein Erbteil. Wir können nur demütig hoffen, der getreue G"tt möge zu Seinen Verheißungen stehen, unter die uns Jesus Christus geführt hat. Denn er führte uns aus der heidnischen Götternacht heraus und gab uns das Zeichen der Taufe: auf daß auch wir teilhaben an G"ttes erster Bundesliebe.

Dank sei G"tt, daß Er uns aus Seinem Volk entgegenkommt in Jesus Christus, unserem Herrn.

Kanzelssegen: "Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus." (Phil 4,7).

Amen.

(6.So nach Trinitatis)


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