Der Predigttext für den heutigen Ostersonntag steht im
1.
Korintherbrief des Apostel Paulus, Kap 15, 1-11
Liebe
Gemeinde,
I.
„Ich lebe, also erzähle ich“ – na, werden Sie
sagen, das ist doch trivial und eine Selbstverständlichkeit, die keines Aufhebens
bedarf. Wie andes sonst könnte ich oder könnten wir erzählen, wenn wir nicht
lebendig wären. Am Leben zu sein, das ist doch die erste und elementare Voraussetzung
für alle unsere Tätigkeiten und damit auch für unser Erzählen.
Zugegebenermaßen ist unser Ostersonntagswort
„Ich lebe, also erzähle ich“ einem anderen Wort nachgestaltet, das allerdings
beanspruchen kann, eine wirkliche Mitteilung und Erkenntnis zu sein. Das andere
Wort, das ich meine, prägte ein Philosoph vor vielen, sehr vielen Jahren, und
es lautet:
„Ich denke, also bin ich.“
Was für einen Sonnenaufgang für uns und unsere
Vernunft bringt dieses Wort herauf: mag auch alles um uns her unsicher sein
und wanken, solange wir aber denken, solange wir unserer selbst bewußt sind,
solange stehen wir auf sicherem Boden. Die Welt um uns herum ist voller Tücke
und falschen Schein, auf den eigenen Leib können wir uns auch nicht immer verlassen,
in alles und jedes kriecht der Giftwurm des Zweifelns. Doch unsere kleine Ich-Insel
des Bewußtseins, auf der wir sicher stehen, die gibt uns Gewißheit, daß wir
wirklich existieren, daß wir wahrhaft sind.
„Ich denke, also bin ich“ – der Rest mag Spuk
und Trug sein, allemal das Leben. Denn gibt es etwas, das anfälliger wäre für
plötzlichen Wechsel und böse Unsicherheit als gerade das Leben? Diese kleine
gefährdete Nußschale auf dem launischen Wellenspiel?
II.
Und doch: wir stellen das kluge Philosophenwort
beiseite und halten uns an das Osterwort für heute „Ich lebe, also erzähle ich“;
denn aus diesem Osterwort für heute spricht der auferweckte Christus zu uns.
Er spricht zu uns durch das, was der Apostel Paulus seiner Gemeinde in Korinth
damals und unserer Gemeinde heute hier zu sagen hat. Gewiß, wir finden das Wort
nicht so direkt und wörtlich in der Rede des Paulus, sondern müssen ein wenig
suchen. Aber zu suchen, das ist ja eine Tätigkeit, der wir zu Ostern recht gerne
nachgehen.
Paulus hat ein Problem. Er hat das Problem
aller Menschen, die glaubwürdig von einer sehr wichtigen Geschichte erzählen
wollen, die sie aber selbst nicht miterlebt haben. Paulus ist ein Spätgeborener,
besser ein später Geborener.
Er ist kein Augenzeuge wie die anderen Apostel,
die mit Jesus von Nazareth lebendige Weggenossenschaft hatten und so aus unmittelbarer
Lebensgemeinschaft her erzählen konnten. Gleichwohl ist Paulus ein Apostel,
ein glaubwürdiger Zeuge Christi, denn auch er ist von Christus geschickt worden
zum Zeugnis - nichts anderes heißt nämlich übersetzt „Apostel“: ein Geschickter,
ein Gesandter.
Einem später Hinzugekommenen steht es nicht
an, groß zu tun. Und so macht sich Paulus klein, sehr klein und übrigens damit
seinem Namen alle Ehre.
Denn beiher gesagt, bedeutet „paulus“ ja übersetzt
„klein“.
Er macht sich so klein und gering, daß geringer
und kleiner es gar nicht mehr möglich ist: er spricht von sich selbst als einer
„Fehlgeburt“.
Allen anderen Aposteln, dem Petrus zuerst und
dann den Zwölfen, erschien der auferweckte Herr, und sogar noch 500 weiteren
Geschwistern, die gar nicht mehr alle am Leben sind, und hernach und ganz zuletzt
erst dem Paulus.
Es wäre nun einfach und billig, diese
Erzählung als eine nur scheinbar sehr demütige, in Wahrheit aber doch recht
hochmütige Selbst-Verkleinerung abzutun. Lassen wir das, hören wir stattdessen,
daß Paulus aus wirklicher Not schreit, aus der Not einer Todeserfahrung. Denn
was ist eine Fehlgeburt anderes denn eine Totgeburt? Nicht Mißgeburt
als Umschreibung für verkrüppeltes Leben, aber Leben immerhin auch das, ist
gemeint, und auch nicht Frühgeburt, die dank medizinischer Künste doch ins Leben
hinübergerettet wird, nein Totgeburt: ein Leben, dem Leben vorenthalten wird,
das vom Leben abgeschnitten wird, noch ehe es recht begann. So war Paulus dran,
bevor der auferweckte Christus sich ihm zuwandte und an ihm handelte.
Eifernd, unfriedlich und zum Tod geboren war
er, nun aber, da ihm G“tt das auferweckte Leben in Christus zeigte, ist er ins
Leben gesandt, davon zu erzählen.
„Ich lebe, also erzähle ich“: aus dem Notschrei,
ein Toter gewesen zu sein, wird der überschwengliche Dank an G“tt, ins Leben
gerettet worden zu sein – ein Dank, der sich in den Strom der Erzählung ergießt.
„Ich lobe meinen G“tt, von ganzem Herzen, erzählen will ich von all seinen
Wundern und singen seinen Namen“, heißt es deshalb ja auch in einem bekannten
Lied (EG 272).
III.
Was also, liebe Gemeinde, ist dann das Evangelium?
Nichts aus raschelndem Papier ist es, keine
nur gedruckte oder überhaupt schriftliche Wahrheit, keine Objektivität oder
historische Tatsache weit weg von uns in der Geschichte, kein Teil der Bibel,
den wir lesen oder auch nicht lesen können – all das ist das Evangelium nicht.
Vielmehr ist es die Kraft G“ttes, mit der Er an uns handelt, uns zugute und
zur Rettung. So hat es Paulus erfahren, und so können auch wir es erfahren.
Wir müssen uns nur zutrauen, in unserem Leben
diese G“tteskraft zu entdecken, wie auch wir auferstehen, `manchmal, zur Auferstehung
aufstehen – mitten am Tage, mit unserem lebendigen Haar, mit unserer lebendigen
Haut´ (Marie-Luise Kaschnitz „Auferstehung“, 1. Strophe); gar nichts Revolutionäres
muß das sein, aber doch ganz und gar unser Leben Verwandelndes.
Wer sich von G“ttes befreiender Lebendigkeit
angehen läßt, der wird gerade nicht unempfindlich gegen den Tod. Das genaue
Gegenteil trifft zu: berührt von der Lebendigkeit G“ttes werden wir argwöhnisch
gegen die Macht des Todes, der um sich frißt und mit Angst und Einschüchterung
sich willige Bundesgenossen verschafft – werden wir dünnhäutig und empfindlich
für die Verletzlichkeit und Fragilität allen Lebens, nicht nur des unsrigen,
sondern auch für das der ganzen Schöpfung – werden wir treuer gegen unser diesseitig
- sterbliches Leben, ohne an unserer Endlichkeit zu verzweifeln.
Wen G“ttes Lebenstreue eingebunden hat, der
liebt das Leben, doch nicht um jeden Preis, und gewiß nicht um den Preis, dem
armen kurzen Leben alles abpressen zu wollen. Vielmehr wie je ein Liebender:
inständig und auch gelassen – anders wäre es Selbstsucht.
IV.
Paulus hält nichts von selbstgewissen Ich-Inseln,
dafür unendlich viel von der Treue G“ttes. G“ttes Handeln ist verläßlich,
und Ihm vertrauen wir unsere Lebensbruchstücke an; wir haben bloß angefangen,
Er wird vollenden – so leben wir gelassen.
Treue verträgt sich nicht mit Isolation, Treue haftet an
und stiftet Verbindungen.
Eine Tat zieht die nächste nach sich, so entstehen
Ketten, G“ttes Handlungsketten. Sie fügen unsere Erzählungen zusammen,
eine greift da in die nächste.
Und wie die Erzählungen, so auch die, die sie
erzählen. Wir nennen so etwas Tradition: die Generationen haken ineinander,
eine Generation erzählt´s der nächsten, diese gibt weiter, was sie von der vorherigen
empfangen hat – so spiegelt die erzählende Tradition die Treue G“ttes wider.
Zum Evangelium, der rettenden Kraft G“ttes,
gehört also auch, daß wir von ihr erzählen, daß wir sie bezeugen. G“ttes Treue
braucht Erzählerinnen und Erzähler, die von G“ttes Werken erzählen, damit Seine
Werke ihre ganze Kraft entfalten können.
Und deshalb drehen wir jetzt zum Schluß unser
Osterwort mit allem Fug und Recht um: „Ich erzähle, also lebe ich“, oder besser,
um vom einsamen Ich loszukommen: „Wir erzählen, also leben wir.“ Indem
wir erzählen, erinnern wir, was G“tt uns alles schon zugute tat. Und indem wir
erinnern, entreißen wir das Vergangene dem Vergessen und vertiefen die Gegenwart.
Ihr aktuelles Glitzern macht uns nicht blind, das Allerneueste
überrumpelt uns nicht. Vielmehr wir deuten es, denn wir schreiben unsere Gegenwart
ein in die große Geschichte, in der uns G“tt geschieht – schon lange unterwegs
und noch lange nicht am Ziel.
Was uns zu hoffen gegeben wird, entnehmen
wir durchaus nicht nur der Gegenwart; Altes kann eine Zukunft haben,
denn nicht wir sind die Meister der Zeit.
Wir schreiben uns ein in die große Geschichte
Seiner Treue zu uns; so gewinnen wir Stand und Festigkeit und leben.
Amen.
1
Kor 15, 1-11
1 Ich tue euch aber, Brüder,
das Evangelium kund, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt,
in dem ihr auch steht,
2 durch das ihr auch errettet werdet, wenn ihr festhaltet, mit welcher
Rede ich es euch verkündigt habe, es sei denn, daß ihr vergeblich zum
Glauben gekommen seid.
3 Denn ich habe euch vor allem überliefert, was ich auch empfangen habe:
daß Christus für unsere Sünden gestorben ist nach den Schriften;
4 und daß er begraben wurde und daß er auferweckt worden ist am dritten
Tag nach den Schriften;
5 und daß er Kephas erschienen ist, dann den Zwölfen.
6 Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen
die meisten bis jetzt übriggeblieben, einige aber auch entschlafen sind.
7 Danach erschien er Jakobus, dann den Aposteln allen;
8 zuletzt aber von allen, gleichsam der unzeitigen Geburt, erschien er
auch mir.
9 Denn ich bin der geringste der Apostel, der ich nicht würdig bin, ein Apostel
genannt zu werden, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe.
10 Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin; und seine Gnade mir
gegenüber ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet
als sie alle; nicht aber ich, sondern die Gnade Gottes, <die> mit mir <ist>.
11 Ob nun ich oder jene: so <jedenfalls> predigen wir, und so seid ihr
zum Glauben gekommen.