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 Und wenn e i n Glied leidet,
s
o leiden alle Glieder mit

Predigt über 1. Brief an die Korinther
Kap 12, vv. 12-27

Brigitte Gensch

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist,
der da war und der da kommt!


„Wir sind in e i n e m Geist alle zu e i n e m Leib getauft worden... 
Und wenn e i n Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; 
wenn e i n e m Glied Herrliches zuteil wird, 
so freuen sich alle Glieder mit“

Liebe Gemeinde!
Ein kleiner Plastikteller für das Geld steht neben der Kasse. Davor die Lebensmittel, die ich zum Kauf ausgesucht habe, das Übliche: etwas Käse, ein Brot, ein Salatkopf. Das zu zahlende Geld habe ich nicht passend, und so lege ich den 10-EUR-Schein auf den Teller, „bitteschön“. „Ja, danke“, sagt die Verkäuferin und legt das Wechselgeld statt in meine Hand auf den kleinen Teller; ich lese das Kleingeld zusammen. Ein flüchtiger Blickkontakt noch, ein beiderseitiges „Tschö“, aber keine direkte Berührung. Die einzige leibliche Berührung, indirekt genug, haftet am Geld, das zwischen uns, der Verkäuferin und mir, getauscht wurde, dem Geldschein einerseits, den Münzen des Wechselgeldes andererseits.
Auf der Post: ich habe einen falschen Zugang zum Schalter genommen, etwas müde, wie ich bin. „Nein halt, Sie sind hier falsch, Sie müssen dort hinten zum Beginn der Absperrung“, sagt nicht unfreundlich, aber bestimmt der Schalterbeamte. Dort am Beginn des Absperrungsbandes hängt ein Schild:
„Bitte Diskretion wahren - Abstand halten“, so als ob das durchaus schützenswerte Brief- oder Bankgeheimnis dadurch gefährdet wäre, daß wir hintereinander in einer Schlange stünden.

Diskretion und Abstand halten, sich bloß nicht zu nahe kommen oder berühren müssen: diese  modern-bürgerliche Tugend üben wir nicht nur draußen in der Welt, sondern durchaus auch hier in der kirchlichen Gemeinschaft. Ein freibleibender Platz zwischen einzelnen G"ttesdienstbesuchern? Gar nicht so selten und unerwünscht, zumal dann, wenn man sich nicht oder nicht gut kennt.
Und die erste Reihe oder sogar ersten Reihen in der Kirche bleiben bekanntlich meistens leer, man wahrt doch 
den Abstand zum Geschehen „da vorne“.
Und nun zuletzt ich hier vorne vor Ihnen, auch ich wahre und schaffe Abstand:
mit meiner Amtstracht des Talars, mit meiner zumindest räumlich leicht erhöhten Stellung hier auf der Kanzel.

Doch nun das: Wir sind in e i n e m Geist alle zu e i n e m Leib getauft worden... 
Und wenn e i n Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; 
wenn e i n e m Glied Herrliches zuteil wird, so freuen sich alle Glieder mit
“, 

so habe ich jetzt den Anfangs- und Endpunkt unseres Predigttextes zusammengenommen.
In einem Leib, in unseren Leibern gibt es keine Diskretion, Abstand zu halten und so für sich sein zu können; alle Teile des Leibes sind miteinander verbunden und voneinander abhängig. Durch alle gehen Blut, Nerven und Sauerstoff, ohne welche die Teile des Organismus abstürben. Nichts ist da nur für sich, jedes zugleich für alle anderen Teile. Jedes funktioniert für sich nur, wenn es auch für alle anderen funktioniert; und jedes erhält sich allein, indem es zugleich alle anderen erhält. 
Aus der Medizinkritik wissen wir längst, wie recht Paulus mit seiner „ganzheitlichen“ Rede vom Leib und seinen Gliedern hat, wie unsinnig es ist, nur ein Organ isoliert zu betrachten, ohne den ganzen Menschen zu sehen.

Aber lassen wir die Medizin und ihre Kritik, halten wir uns an unsere eigenen Erfahrungen: wenn ein Teil unseres Leibes leidet, dann strahlt dieses Teil-Leiden doch auf uns als ganze Person aus, dann sind wir insgesamt in Mit-Leidenschaft gezogen. So verhält es sich auch mit der Gesundung und Genesung. Wenn aus dem erkrankten Organ die Krankheit und der Schmerz weichen, dann fühlen wir uns insgesamt befreit. Und wenn es sich um das „Herrliche“, wie Paulus sagt, um das „Herrliche“ einer wirklich großen Genesung handelt, dann werden uns das ganze Dasein und die ganze Welt neu geschenkt.
Wie aber unser eigener Leib die Einheit all seiner Glieder ist, so ist nun auch und genauso die christliche Gemeinde e i n Leib in der Einheit seiner verschiedenen Glieder. Damit hier kein Mißverstehen aufkommt, mit dem wir uns die Dringlichkeit des Vergleiches vielleicht auf Abstand halten wollen: 
Paulus
rede hier etwa in Bildern oder Metaphern, es sei wohl eher „übertragen“ und so wörtlich und konkret schon nicht gemeint. Doch so konkret ist es gemeint: wie unser einzelner Körperleib eine verletzbare und leidensfähige Einheit all seiner Teile ist, so ist auch die christliche Gemeinde, im kleinen der Einzelgemeinde wie im großen der weltweiten Kirche, e i n verletzbarer und leidensfähiger Leib, der Leib Christi nämlich. 
So sind wir also alle Glieder eines Leibes und deshalb genauso dran wie Glieder eines Leibes. Aufeinander angewiesen und voneinander abhängig, ganz unabhängig davon, ob es uns im Einzelfall gefällt oder ob wir erst zustimmen möchten. Der Andere, die Anderen gehen mich unbedingt an, ich kann da gar nichts gegen machen, seit ich getauft bin, seit ich ein Glied des Leibes Christi geworden bin. 

Hinter die Abstandsbarrieren meines Ich kann ich mich nicht mehr zurückziehen, seit Christus die Wände meines Ich eingerissen hat: „Ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir“ – so bricht es aus Paulus einmal heraus, in einem anderen Brief. 
Wie es mir geht? Das ist schon entschieden dadurch, wie es meinen Anderen geht; ich bin schon berührt vor all meinem Ja oder Nein dazu, denn ich bin berührbar gemacht worden, seit ich durch die Taufe ein Leib-Teil Christi geworden bin. 
Mein Leben, eine einzige „vita passiva“, d.h. nun nicht einfach passiv oder leidend, es heißt sensibel, wahrnehmungsfähig, empfindsam, durchlässig für das, was meinem Anderen widerfährt. Meine Haut, die Grenze zwischen meinem Innen und der Welt da draußen, sie ist dann so etwas wie die durchlässige Membran zu meinem Anderen, zu meinem Nächsten.
Und was ich Böses tue und an Gutem unterlasse, das bleibt nicht beim Anderen, sondern kehrt zu mir als meines Nächsten Leid zurück. Und was ich Gutes tue und an Bösem unterlasse, das kehrt als meines Nächsten Freude zu mir zurück.

So also sind wir dran als Glieder des EINEN Leibes, oder wie Paulus sagt:
„Ihr aber seid Christi Leib und, als Teile betrachtet, Glieder“ (V.27).
„Ihr seid es“, sagt Paulus. Er sagt nicht: „So sollt ihr sein“ oder „so werdet ihr einmal sein“
Einen möglichen Fluchtweg, es sei doch bloß eine moralische Forderung oder etwas für eine ferne Zukunft, den Fluchtweg eines solchen Mißverstehens verbaut uns der dringliche Paulus. Jetzt nämlich ist das alles schon so, im guten wie im schlechten. 
Das bequeme Denken aber verwehrt uns Paulus. Denn es wäre durchaus bequem so zu unterteilen: ja sicher, eigentlich sollte Kirche und Gemeinde so sein, eigentlich sollten wir alle als Glieder eines Leibes aneinander hängen, das wäre schon eine scharfe Forderung an unser Gewissen, uns weiter um Verbesserungen zu bemühen, ja und vielleicht werde es dann auch einmal so sein und wir wären dann der EINE Leib Christi. So bequem könnten wir es uns machen, und so bequem machen wir es uns auch zumeist.
Doch der unbequeme Paulus glaubt anders. Was wir einander antun zum Guten wie zum Bösen, das tun wir gleichermaßen Christus an, denn wir sind sein Leib.
Einen anderen hat er nicht.

Paulus schreibt dieses sein Glaubenszeugnis der Gemeinde in Korinth. Die Korinthergemeinde ist zutiefst zerstritten und droht an Parteiungen und Spaltungen zugrunde zu gehen. Da gibt es einige, die halten es mit einem gewissen Apollo, andere wieder sind Parteigänger des Petrus oder des Paulus, einige wenigstens halten sich auch zu Christus. Und entsetzt fragt Paulus:
„Ist Christus etwa zerteilt?“ (1Kor 1,13).
Wie wir wissen, war Paulus durchaus ein streitbarer Mann. Nicht nur, daß er keinem wichtigen theologischem Streit auswich, er brach auch den ein oder anderen vom Zaun, wenn es das Glaubenszeugnis gebot. Und wie sollte es denn anders sein, solange wir noch auf das Glauben und Hoffen angewiesen sind und alles noch so verrätselt und in Spiegelgestalt uns erscheint und noch nicht
„von Angesicht zu Angesicht“ (1Kor 13, 12)
Solange noch nicht alles offenbar geworden ist, solange wird es verschiedene Zeugnisse und Weisen geben, G"tt gerecht zu werden. 
Aber darauf doch war Paulus stolz: theologische Streitigkeiten und Differenzen darüber, wie es in der Gemeinde konkret zu halten sei, die trug er offen aus, dem Anderen „ins Angesicht“, wie es im Galaterbrief heißt (Gal 2, 11).
Und gleich, wie weit der Streit die Kontrahenten auch voneinander entfernte, daß sie trotzdem in Christo zusammengehörten, dessen war Paulus stets gewiß.
Wer aber eine Gemeinde spaltet oder einer Spaltung zuarbeitet, der zerteilt den Leib Christi selbst, der bricht Christi Leib entzwei.

BonhoefferIm Juli 1944 schreibt Dietrich Bonhoeffer aus dem Gefängnis Tegel ein bewegendes und berühmtes Gedicht; es heißt: „Christen und Heiden“, dessen erste beiden Strophen der insgesamt drei ich Ihnen nun zitiere:

„Menschen gehen zu Gott in ihrer Not,
flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot
um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tod.
So tun sie alle, Christen und Heiden.

Menschen gehen zu Gott in Seiner Not,
finden ihn arm, geschmäht, ohn Obdach und Brot, 
sehn ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod.
Christen stehen bei Gott in Seinem Leiden.“

Gott kam in Not, als Er mit Christus Wohnung unter den Menschen nahm und Sein Wort in Christus Leib und Sichtbarkeit annahm: „arm, geschmäht, ohn Obdach und Brot“. Er kam in Not, als Christi Leib am Kreuz zerbrochen wurde: „verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod“.
Und Gott kommt durch uns erneut in Not, seit Christus an uns, seiner Kirche, seinen EINEN Leib hat, den einen Leib, der gekreuzigt, begraben, auferweckt und verklärt wurde - einen anderen nämlich hat er nicht
Und nicht anders können wir Christi Nöte und Leiden lindern, als dadurch, daß wir füreinander zum Christus werden:
- so wie er sich für uns gab, so geben wir uns füreinander
- so wie er vor Gottes Thron für uns bittet, so bitten auch wir füreinander bei Gott
- so wie er unsere Schuld abnahm und vergab, so vergeben auch wir einander 
und nehmen einander die Schuld ab.
Dazu helfe uns der ewige G"tt. 
Amen.

Und der Friede G"ttes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus 
Jesus. Amen.


Predigt für den 21. So n. Trin. ( 20.10.02 )

Revidierte Elberfelder Bibel 1992
12 Denn wie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl viele, ein Leib sind: so auch der Christus].
13 Denn in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft worden[a], es seien Juden oder Griechen[A], es seien Sklaven oder Freie[b], und sind alle mit einem Geist getränkt worden.
14 Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele[a].
15 Wenn der Fuß spräche: Weil ich nicht Hand bin, gehöre ich nicht zum Leib: gehört er deswegen nicht zum Leib?
16 Und wenn das Ohr spräche: Weil ich nicht Auge bin, gehöre ich nicht zum Leib: gehört es deswegen nicht zum Leib?
17 Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo wäre das Gehör? Wenn ganz Gehör, wo der Geruch?
18 Nun aber hat Gott die Glieder bestimmt, jedes einzelne von ihnen am Leib[b], wie er wollte[a].
19 Wenn aber alles ein Glied wäre, wo wäre der Leib?
20 Nun aber sind zwar viele Glieder, aber ein Leib.
21 Das Auge kann nicht zur Hand sagen: Ich brauche dich nicht; oder wieder das Haupt zu den Füßen: Ich brauche euch nicht;
22 sondern gerade die Glieder des Leibes, die schwächer zu sein scheinen, sind notwendig;
23 und die uns die weniger ehrbaren am Leib zu sein scheinen, die umgeben wir mit größerer Ehre; und unsere nichtanständigen haben größere Wohlanständigkeit;
24 unsere wohlanständigen aber brauchen es nicht. Aber Gott hat den Leib zusammengefügt und dabei dem Mangelhafteren größere Ehre gegeben,
25 damit keine Spaltung im Leib sei[a], sondern die Glieder dieselbe Sorge füreinander hätten[b].
26 Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; oder wenn ein Glied verherrlicht wird, so freuen sich alle Glieder mit[a].
27 Ihr aber seid Christi Leib[a] und, einzeln genommen, Glieder.

Luther-Bibel 1545: Der erste Brief des Paulus an die Korinther. 1Kor 12, 12-27)
12 DEnn gleich wie ein Leib ist / vnd hat doch viel Glieder / alle glieder aber eines Leibes / wiewol jr viel sind / sind sie doch ein leib / Also auch Christus. 
13 Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leibe getaufft / wir seien Jüden oder Griechen / Knechte oder Freien / Vnd sind alle zu einem Geist getrencket. 
14 Denn auch der Leib ist nicht ein glied / sondern viele. 
15 So aber der Fus spreche / Jch bin kein Hand / darumb bin ich des leibes glied nicht / Solt er vmb des willen nicht des leibes glied sein? 
16 Vnd so das Ohre sprech / Jch bin kein Auge / darumb bin ich nicht des leibes glied / Solt es vmb des willen nicht des leibes glied sein? 
17 Wenn der gantze leib Auge were / Wo bliebe das gehöre? So er gantz das gehöre were / Wo bliebe der geruch? 
18 Nu aber hat Gott die glieder gesetzt / ein jgliches sonderlich am Leibe / wie er gewolt hat. 
19 So aber alle glieder ein glied weren / wo bliebe der Leib? 
20 Nu aber sind der glieder viel / aber der Leib ist einer.
21 ES kan das Auge nicht sagen zu der Hand / Jch darff dein nicht. Oder widerumb das Heubt zu den Füssen / Jch darff ewer nicht. 
22 Sondern viel mehr / die glieder des Leibes / die vns düncken die schwechsten sein / sind die nötigsten / 
23 vnd die vns düncken die vnehrlichsten sein / denselbigen legen wir am meisten Ehre an. Vnd die vns vbel anstehen / die schmücket man am meisten / 
24 Denn die vns wol anstehen / die bedürffens nicht. Aber Gott hat den Leib also vermenget / vnd dem dürfftigen Glied am meisten Ehre gegeben / 
25 Auff das nicht eine spaltung im Leibe sey / sondern die glieder fur einander gleich sorgen. 
26 Vnd so ein glied leidet / So leiden alle glieder mit / Vnd so ein glied wird herrlich gehalten / So frewen sich alle glieder mit.
27 JR seid aber der Leib Christi vnd Glieder / ein jglicher nach seinem teil.

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